zurück

 

 

15102003 Frankfurter Rundschau Autokats

http://www.fr-aktuell.de/ressorts/wissen/auto_motor_verkehr/?cnt=322072&sid=8e78ceac0ce37e319c94d14b1d6cdbf0

 

Krebs durch Katalysatoren?
Die Keramikfasern aus Auto-Abgasreinigern wirken in der menschlichen Lunge ähnlich wie Asbest
VON GERHARD WIRSIG

Wenn Abgaskatalysatoren zum Recycling gelangen, schauen die verwertenden Betriebe gelegentlich in eine leere Röhre. Manchmal hat sich der Keramik-Monolith rund gescheuert und die umgebende Lagermatte aus krebserregenden Keramikfasern hat sich ganz oder teilweise verflüchtigt, manchmal ist der Kat auch komplett entleert. Nach unterschiedlichen Quellen tritt der Schwund bei fünf bis 30 Prozent der Keramik-Kats auf. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) soll er nur im unteren einstelligen Prozentbereich liegen.

In die Umwelt geblasene Fasern können, wenn sie von Anwohnern und Passanten dicht befahrener Straßen eingeatmet werden, zu einem Gesundheitsrisiko werden. Extrem dünne und kurze Keramikfasern wirken in der Lunge ähnlich wie Asbest, so weiß Professor Elisabeth Borsch-Galetke vom Institut für Arbeitsmedizin der Universität Düsseldorf zu berichten. Fresszellen in den Atemwegen versuchen die Fremdkörper zu entfernen, werden aber von den spitzen Fasernadeln verletzt, was zu Gewebewucherungen führt. Bösartige Wucherungen treten durch Asbest oft erst nach 25 Jahren auf.

Durch Keramikfasern wurden bei Menschen noch keine Erkrankungen nachgewiesen, dies sei auf die Schutzmaßnahmen in den faserverarbeitenden Betrieben zurückzuführen. Bei Versuchen mit Ratten wurde durch die Fasern bereits Krebs hervorgerufen. Die Medizinerin geht davon aus, dass für Menschen grundsätzlich das gleiche Krebsrisiko durch Keramikfasern besteht wie in den Tierversuchen.

Da nicht bekannt ist, ab welcher Faseranzahl Lungenkrebs entstehen kann - theoretisch reicht eine - haben die EU-Kommission und die deutsche Gefahrstoffverordnung die dünnen Keramikfasern als krebserregend eingestuft. Das Internationale Krebsforschungszentrum IARC bescheinigt diese Gefahr auch einem Abbauprodukt der Keramikfaser, Cristobalit (kristalline Kieselsäure), das nach längerer Zeit bei hohen Temperaturen im Kat entstehen kann. Gealterten Keramikfasern ordnet die Bayerische Landesanstalt für Umweltschutz ein hohes krebserregendes Potenzial zu, das unter Umständen höher als bei Asbest sein kann. Auch aus stark erhitzten Hochtemperaturglasfasern, die derzeit als möglicher Ersatzstoff erforscht werden, kann solches Cristobalit entstehen.

Die Zulieferer aus der Keramikfaser-Industrie suchen eifrig nach Ersatzstoffen, die ebenfalls elastisch und hitzefest, nach unbeabsichtigtem Einatmen aber nicht krebserregend sind. Es wird nach so genannten biolöslichen Fasern geforscht. Der Branchenverband Deutsche Keramikfaser-Gesellschaft teilt jedoch mit, dass es zur Zeit keinen generellen Ersatzwerkstoff für die Anwendung in Abgaskatalysatoren gebe. Möglicherweise hoffen die Hersteller auf ein Privileg, das Keramikfasern schon bei der Anwendung im Industrieofenbau zuteil wurde. Da es dort erwiesenermaßen keine Ersatzstoffe für Keramikfasern gibt, dürfen sie weiterhin trotz ihres Gefahrenpotenzials eingesetzt werden. Der Bundesregierung ist das Problem bekannt. Schon vor Jahren gab es Studien, Fachanhörungen und Maßnahmeempfehlungen. Konkrete Vorschriften gibt es bislang nicht, wenn man davon absieht, dass nach der Gefahrstoffverordnung nach Ersatzstoffen für die Keramikfasern gesucht werden muss.

Eventuell löst sich das ökologische Problem auf ökonomische Weise. Vor zwölf Jahren, so sagen die Recycler, lag der Marktanteil der Keramik-Katalysatoren noch bei 90 bis 95 Prozent. Den übrigen Anteil machten Ganzmetall-Katalysatoren aus, die keinerlei Fasermatten benötigen. Heute sollen die Metall-Kats weltweit schon einen Marktanteil von 18 bis 20 Prozent haben, so ist von dem Hersteller Emitec zu erfahren. Bislang war die Keramik-Version preiswerter als die Ganzmetall-Ausführung. Bei Emitec geht man davon aus, dass der Preisunterschied bei hohen Stückzahlen weiter schrumpfen und letztlich gegen null gehen wird. Metall-Kats kommen außerdem dem Trend entgegen, den Abgasreiniger näher an den Motor zu rücken, damit er nach einem Kaltstart schneller seine Betriebstemperatur erreicht. Motornah herrschen jedoch bei Vollast sehr hohe Abgastemperaturen, verbunden mit starken Vibrationen - für bruchempfindliche Keramik-Monolithen eine echte Herausforderung. Die Metallseite hat die Anforderungen erkannt. Thyssen Krupp VDM entwickelte eine Stahllegierung mit 20 Prozent Chrom- und sieben Prozent Aluminiumanteil, die bis über 1300 Grad Celsius hitzefest, korrosionsbeständig und als Katalysatorträger bis auf 30 Mikrometer dünn auswalzbar ist. In der Vergangenheit mussten die Folien 50 Mikrometer dick sein, damit sie nicht durchkorrodierten. Die modernen Metallkats mit dünner Trägerfolie sind durch das Abspecken leichter, kompakter und schneller aufheizbar.

Noch weitgehend unklar ist, wie die Automobilhersteller das Thema Haltbarkeit und Materialwahl intern bewerten. Ihre Pressestellen verhalten sich zu Anfragen einsilbig bis schweigsam.