Straubinger, 18.Dez 2004

Streit um Bildung: Aus für Föderalismusreform

Müntefering: Unüberbrückbare Differenzen - Stoiber sieht Chance auf Jahre vertan - Parteichefs und Ministerpräsidenten tief enttäuscht - Diskussion über neuen Anlauf

Berlin. (dpa/AP) Die historische Neuordnung des Machtverhältnisses von Bund und Ländern ist nach einem beispiellosen Verhandlungspoker gescheitert. Nach einjährigen Gesprächen in der Föderalismuskommission erklärten die beiden Vorsitzenden Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) am Freitag in Berlin das Aus für die größte Staatsreform seit Jahrzehnten. Sie gaben dafür jeweils der anderen Seite die Schuld. Parteichefs und Ministerpräsidenten zeigten sich tief enttäuscht darüber, dass es nicht gelungen ist, das verkrustete politische System zu reformieren.

Grund für das Scheitern war ein Zerwürfnis zwischen rot-grüner Koalition in Berlin und unionsgeführten Ländern über den Neuzuschnitt der Bildungskompetenzen. Der Bund wollte nicht der Forderung der Unions-geführten Länder nachgeben, sich aus der Bildungspolitik weitgehend zurückzuziehen. Die Länder hatten demgegenüber auf Zugeständnisse in anderen Fragen - insbesondere bei der Reduzierung der Zustimmungsrechte im Bundestag verwiesen. Dafür wollten sie als Ausgleich unter anderem die Entscheidungshoheit über Schulen und Hoch-

schulen bekommen. Bayerns Ministerpräsident Stoiber erklärte: "Die große Chance für eine Renovierung des Grundgesetzes ist auf Jahre vertan." Stoiber bedauerte, dass eine Entflechtung im Bereich Bildung "letztendlich nicht mit dem Bund zu vereinbaren" gewesen sei. "Es ist alles an dem einen Punkt gescheitert." Dabei hätten sich die Länder in anderen Bereichen" außerordentlich weit bewegt", sagte Stoiber. Sie seien bereit gewesen, die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze von jetzt 60 auf 30 Prozent zu reduzieren. Zudem hätten sie ihre Beteiligung an Strafzahlungen an die EU ebenso hingenommen wie erweiterte Zuständigkeiten des Bundeskriminalamts. Mit dem Scheitern sind die geklärten Fragen nun aber wieder vom Tisch.

SPD-Chef Müntefering sagte, die Differenzen in der Bildungspolitik seien unüberbrückbar gewesen. Die Länder hätten diese Frage mit dem Erfolg der Gesamtreform verbunden.

Ungeachtet des Scheiterns wurde aber über eine Neuauflage der Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert. Die Grünen-Fraktionschefin Sager zeigte sich überzeugt, "dass heute nicht das letzte Wort gesprochen ist". Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Böhmer sagte: "Alle Beteiligten sollten durchatmen und sich im Januar wieder zusammensetzen." Auch Arbeitgeberpräsident Hundt rief zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf.

Bereits am Vormittag hatten Müntefering und Stoiber die Gespräche für gescheitert erklärt, dann am Nachmittag aber noch einen letzten Rettungsversuch unternommen. Auch eine Vertagung war zwischenzeitlich erwogen worden.

Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) verteidigte die harte Haltung der Koalition. "Ein völliger Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik wäre gerade angesichts der Herausforderungen für die Zukunft Deutschlands das falsche Signal und gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung." Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zeigte sich "sehr betroffen, dass eine so weit gediehene Reform nicht zustande gekommen ist." Die GrünenVorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer: "Das Scheitern ist eine Niederlage für die politische Handlungsfähigkeit."

Straubinger, 18.Dez 2004

"Die Blockade ist vom Kanzleramt gekommen"

Von unserem Redaktionsmitglied Martin Ferber

Ihre Gesichter sprachen Bände.Mit hängenden Köpfen, versteiinerten Mienen und starren Blicken verließen die 16 Ministerpräsidenten am Freitag Nachmittag ihren Sitzungssaal in der Parlamentarischen Gesellschaft. Eben hatte ihnen ihr Verhandlungsführer, der bayerische Regierungschef Edmund Stoiber, über seinen letzten Einigungsversuch mit dem Verhandlungsführer des Bundestages, SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering, berichtet. Und seine Botschaft war unmissverständlich: Die Differenzen zwischen den Positionen der Länder und des Bundes in den Fragen der Bildungs- und Hochschulpolitik seien unüberbrückbar, ein Kompromiss nicht in Sicht, eine Annäherung unmöglich.

So zogen die Ministerpräsidenten nach einem Tag voller Hoffen und Bangen, hektischer Konferenzen und rasch einberufener Sondersitzungen die einzig mögliche Konsequenz. Sie erklärten die Verhandlungen der Föderalismuskommission für gescheitert, eine Reform des Grundgesetzes und eine neue Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern wird es nicht geben. Der Kommission selber, die kurz danach im großen Protokollsaal 1 auf der Präsidialebene des Reichstagsgebäudes zusammentrat, blieb nur noch übrig, das Scheitern endgültig zu bestätigen. Edmund Stoiber wie Franz Müntefering bedauerten hinterher, dass es nicht zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen sei. Und doch mussten sie anerkennen, dass sich die harte Arbeit eines Jahres am letzten Sitzungstag von Bundestag und Bundesrat vor den Weihnachtsferien in Nichts aufgelöst hatte. Zu weit lagen im Hochschulbereich die Position des Bundes und der unionsgeführten Lander auseinander. Während die Länder auf ihre volle Souveränität pochten und dem Bund lediglich Kompetenzen bei der Zulassung und dem Abschluss von Studiengängen zugestehen wollten, beharrte der Bund auf erweiterte Zuständigkeiten. "Wir haben redlich und fair miteinander versucht, die unterschiedlichen Interessen des Bundes und der Länder zu berücksichtigen", stellte Stoiber fest, nun sei allerdings die große Chance, das Grundgesetz zu renovieren, für die nächsten Jahre vertan. Und Müntefering gab offen zu, das Scheitern habe ein "erhebliches Gewicht, eine große politische Dimension", die Erschrecken auslösen sollte. Er sprach sich für einen neuen Anlauf aus, denn das einfache Beibehalten des gegenwärtigen Status wäre "das Schlimmste".

Schon am Morgen hatte sich das Scheitern der Föderalismuskommission angedeutet, da sich Edmund Stoiber und Franz Müntefering in einer langen Nachtsitzung trotz einer Vielzahl an gemeinsamen Positionen nicht auf ein gemeinsames Papier einigen konnten. Mochten sich auch einige unverbesserliche Optimisten an den letzten Strohhalm klammern und spekulieren, man könnte die Verhandlungen auf Samstag vertagen, im Januar oder Februar fortsetzen oder den umstrittenen Bildungsbereich ausklammern und alle anderen feststehenden Kompromisse beschließen, so war spätestens nach einem weiteren erfolglosen Treffen von Stoiber und Müntefering am frühen Nachmittag klar, dass die Verhandlungen nicht mehr zu retten waren.

Prompt begann das in Berlin so beliebte Schwarze-Peter-Spiel. Jede Seite gab der jeweils anderen die Schuld am Scheitern. Die Länder, betonte Stoiber, seien dem Bund weit entgegen gekommen und hätten der Bundesregierung erhebliche zusätzliche Kompetenzen zugestanden. Künftig hätten statt bislang 60 nur noch 30 Prozent der Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedurft. Das hätte die Entscheidungsprozesse auf Bundesebene beschleunigt. Doch der Bund habe sich auf stur gestellt. Noch deutlicher wurde Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU): "Die Blockade ist vom Kanzleramt gekommen." Im Gegenzug warfen die Sozialdemokraten der Union vor, im Hochschulbereich für den Bund unannehmbare Forderungen gestellt zu haben. "Stoiber und die Seinen haben von Anfang an gewusst, dass der Bund im Hochschulbereich nicht mit leeren Händen dastehen kann", sagte der Justitiar der SPD-Fraktion, Hermann Bachmaier (Crailsheim) unserer Zeitung. Das Beharren der unionsgeführten Länder auf der Maximalposition habe eine Einigung unmöglich gemacht. Auch der Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) führte das Scheitern auf die "Alles-oder-Nichts-Haltung der Unionsländer" zurück, räumte aber ein: "Auch der Bund hätte sich beim Bildungsteil mehr bewegen können."

So flüchteten sich am Ende alle in die Hoffnung, dass das letzte Wort bei der Reform des Föderalismus noch nicht gesprochen sei. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, brachte es prägnant auf einen Punkt: "Alle Beteiligten sollten durchatmen und sich Mitte Januar wieder zusammensetzen."

Kommentar R.Kiehl: Betreff Bildung kann ich nur raten, das föderalistische System weitestgehend zur Leistungssteigerung bestehen zu lassen: Das heißt, Konkurrenz der Länder untereinander mit eigenen Kompetenzen und Gesetzgebungen – und dann schauen, wo wird das bestmögliche Ergebnis erzielt. Das (oder die erfolgreichsten Systeme) sollte(n) jeweils nach gewissen Kriterien (Tests) nach entsprechenden Zeitspannen (etwa einem Schuljahr oder nach ein oder zwei Semestern) von allen übernommen werden und dies unter der Aufsicht des Bundes, der dann auch für die EU zuständig sein sollte. Diese Konkurrenz sollte auf Dauer zur Weiterentwicklung des Bildungssystems etabliert werden (Elite-Universitäten, usw): Forderungen von Bundesministerin Bulmahn für eine weitestgehende Mitbestimmung des Bundes haben zu unterbleiben – denn oben wie unten zurechtgestutzte Ausbildungswege und damit gleichgemachte Bürger (oder Klons) nützen niemandem! So wird auch eine natürliche Auslese in Bezug auf Bildungsstandorte geschaffen: nicht jede Fachhochschule, Hochschule, Universität muß im Ausland als "Elite-Uni" angesehen sein. Ich kenne auch nicht jede Ausbildungsstelle in den USA oder England. Jedem sollte die Möglichkeit gegeben sein, jede Ausbildungsstätte zu besuchen, die seinen Fähigkeiten am besten entgegenkommt. Die Auslese sollte weitestgehend von den Ausbildungstätten übernommen werden können, welche auch selbst mittels Erhebung von Studiengebühren, u.a., ihren Haushalt mitbestimmen (oder allein bestimmen) sollten. Stipendien-Systeme wären dazu zu etablieren (Fortentwicklung des Bafögs oder Bildungseinrichtungsinterne Stipendien, etc).

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