Straubinger, 15.August 2005
Kommentar zur Rente
Schrittweise
VON PETER LEYER

Die Deutschen wissen, wie kritisch es um ihre Rente steht, um die jetzige und die künftige. Die Rentenkasse ist so wenig gefüllt, daß die Versicherer sich im Herbst beim Bund Geld leihen müssen, um ihren Verpflichtungen gegenüber den Rentnern nachkommen zu können. Hätten Bundestag und Bundesrat außerdem nicht die vorgezogene Überweisung der Sozialabgaben durch die Arbeitgeber beschlossen, wäre ein höherer Rentenbeitrag ab dem folgenden Jahr unausweichlich gewesen. Noch schwerwiegender ist allerdings das künftige Verhältnis von Beschäftigten und Ruheständlern. Kommen gegenwärtig noch 28 Senioren auf 100 Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren, werden es 2020 schon 36 sein und 2030 mehr als 47. Das heißt, zwei Arbeitnehmer müssen dann die Rente eines älteren Menschen finanzieren. Das ist nicht zumutbar.

Die gegenwärtigen Rentenempfänger spüren die wenig gefüllte Rentenkasse bereits seit Jahren durch die ausbleibenden Rentenerhöhungen. Auch im nächsten Jahr wird es nicht anders sein. Und bei den jüngeren Arbeitnehmern hat es sich auch längst herumgesprochen, daß sie von der Rente für den Lebensunterhalt im Alter nicht viel erwarten können. Doch wenn Wissenschaftler Vorschläge zur Problemlösung machen, die sowohl den gegenwärtigen als vor allem aber auch den künftigen Rentenbeziehern Opfer abverlangen, stecken sie den Kopf vor dem Blick auf die Probleme in den Sand und tun so, als gäbe es sie nicht. Sie wehren sich deswegen gegen die Lösungsvorschläge.

Kein Wunder, daß da auch die Politik Vogel-Strauß-Politik betreibt. Zwar können auch die Politiker das gegenwärtige Loch in der Rentenkasse nicht leugnen. Es muß gefüllt werden. Das geschieht auch oder wird dadurch kleiner gemacht, daß Rentensteigerungen gestrichen werden. Aber grundlegende Reformen werden aus Angst vor dem Wähler nicht angepackt. Wer sich trotzdem ein Herz faßt, wird von den eigenen Parteifreunden zurückgepfiffen. So brachte Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) zwar mutig einen Renteneintritt mit 67 Jahren ins Gespräch. Doch mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl verpaßte Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich ihr einen Maulkorb. Nicht besser erging es CDU-Chefin und Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel. Sie wünschte sich ursprünglich auch eine Rente ab 67. Aber sie konnte sich in den eigenen Reihen nicht durchsetzen. Allzu viel Wahrheit will man dem Wähler nicht zumuten, weil er sie nicht hören will.

Da überraschte es verständlicherweise nicht, daß es in der letzten Woche einen lauten Aufschrei gab, als Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Chef des Instituts zur Zukunft der Arbeit, zur Rettung der maroden Rentenkasse einen Renteneintritt mit 70 Jahren forderte. Nicht nur Politiker, vom Bundeskanzler angefangen, auch Rentenexperten erteilten Zimmermann rundheraus eine Absage. -

Dabei ist es angesichts von rund fünf Millionen Arbeitslosen unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsmarktes sicherlich schwer bis gar nicht vermittelbar, eine längere Lebensarbeitszeit zu fordern. Für die Rentenkasse ist ein 67-jähriger Arbeitnehmer wegen des hohen Gehaltes und damit Versicherungsbeitrages zwar wertvoller als ein 25-Jähriger mit geringerem Einkommen und entsprechendem Beitrag. Trotzdem macht es gesellschaftspolitisch keinen Sinn, die älteren Arbeitnehmer länger arbeiten zu lassen und die jüngeren arbeitslos zu Hause sitzen zu lassen.

Bevor das Renteneintrittsalter zur Auffüllung oder zumindest Stabilisierung der Rentenkasse erhöht wird, sollte zunächst einmal das tatsächliche Rentenalter dem gesetzlich vorgesehenen von 65 angenähert werden. Großzügige Vorruhestandsregelungen, die in den 90er Jahren zur Entlastung des Arbeitsmarktes geschaffen wurden, sind zwar schon reichlich wieder gestrichen worden. Trotzdem hat das durchschnittliche Renteneintrittsalter in diesem Jahr erst gerade die 60 überschritten. Wenn hier die Grenze von 65 in Sicht ist, kann sie auf 67 Jahre angehoben werden.

Ob die Deutschen dann eines Tages sogar erst mit 70 Jahren in Rente gehen können, sollte man diskutieren, wenn sich die Auswirkungen der vorherigen Bemühungen deutlich abzeichnen. Man sollte schrittweise vorgehen. Schritte, auch einschneidende, sind aber notwendig. Da sollte sich niemand täuschen, weder die jetzigen Rentenbezieher noch erst recht die künftigen. Und die Politiker sollten sofort nach der Wahl den Mut aufbringen, die notwendigen Beschlüsse zu fassen.

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