Straubinger, 1.Dec2004
Endlich umdenken
VON HANKO WESTERMANN

Was der Deutsche Industrie und Handelskammertag zur Bedeutung der betrieblichen Arbeitszeit für die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen gesagt hat, lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Binsenweisheit. Doch die ist in diesem Land unglücklicherweise in weiten Teilen der politischen und gewerkschaftlichen "Klasse" in Vergessenheit geraten. Die Arbeitszeit entscheidet neben der Steuer- und Abgabenlast sowie dem Lohn- und Gehaltsniveau - über die Leistungskraft der Betriebe. In der Debatte über die Reform des Arbeitsmarkts kommt dieser Aspekt meistens allerdings noch immer zu kurz.

Zu den einsamen Rufern in der Wüste, die unverdrossen eine rasche und umfassende Modernisierung des Arbeitsmarkts anmahnen, gehört der ehemalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer. Denn ohne eine marktwirtschaftliche Neuausrichtung geht's nicht. Es zeigt sich immer klarer, dass die rot-grüne Planwirtschaft auf dem Arbeitsmarkt nichts Gutes bewirkt. Zum einen hat die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse ohne Sozialabgaben jetzt einen neuen Rekord erreicht. Damit ist der "big bang" programmiert. Zum anderen vermitteln die Arbeitsagenturen immer weniger: Minus 25 Prozent in 2004 und 20 Prozent in 2003. Sie machen sich selbst überflüssig.

Die Bundesagentur für bzw. gegen Arbeit verschleiert das Debakel mit albernen Statistik- und Einstufungstricks. Während gleichzeitig die Debatte über Niedrig- und Mindestlöhne weitergeht, zeigt die IG Metall bei Opel, dass sie immer noch nichts begriffen hat und sich stur weigert einzugestehen: Die 35-StundenWoche war ein Irrweg in Richtung Arbeitslosigkeit, Rationalisierung und Werksschließungen. Die vom DIHK nun erneut angemahnte Flexibilisierung der Arbeitszeiten kann dagegen ein Ausweg aus der selbst verschuldeten Misere sein. Umdenken ist angesagt, bevor alles zu spät ist.

 

Straubinger,3.Dec2004: Kommentar

FROSTIGE ZEITEN
VON HUBERT OBERMAIER

Der Winter ist bekanntlich immer schlecht für den Arbeitsmarkt. Doch der für diese kalte Jahreszeit übliche Anstieg der Arbeitslosenzahlen ist für Rot-Grün ein Kälteschock, hat er doch den höchsten Stand seit sieben Jahren erreicht. Die Koalition, zu Beginn des Jahres noch guten Mutes, das wirtschaftliche Wachstum spürbar steigern und bei den Erwerbslosen unter die Vier-Millionen-Marke rutschen zu können, muss nun zum Ende von 2004 mit ansehen, wie die Hoffnungen an der bitteren Wirklichkeit zerschellen. Das ernüchternde Datenmaterial lieferte gestern die Bundesagentur für Arbeit: Ende November waren bei den Arbeitsämtern fast 4,3 Millionen Arbeitslose registriert. Das waren 50800 mehr als vor einem Monat und 73 700 mehr als noch vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,2 Punkte auf 10,3 Prozent.

Und angesichts der Erwartung, dass die Zahl der Arbeitslosen im Februar 2005 auf fünf Millionen hochschnellen könnte, wirken die immer wieder gehörten Beschwichtigungen von rot-grünen Koalitions-Vertretern, die von unüberhörbaren Signalen einer Zeitenwende am deutschen Arbeitsmarkt sprechen, nur noch wie Gesundbeterei. Tatsache ist vielmehr: Die Lage ist inzwischen so ernst, dass die neuerlichen Hiobsbotschaften aus Nürnberg gebieterisch verlangen, endlich tiefgreifende Reformen unserer sozialen Sicherungssysteme durchzusetzen und nicht auf eine mögliche Erholung der Konjunktur hoffnungsvoll zu warten.

Allerdings findet derzeit in Berlin die Reformpolitik nur in einer Rückschau statt. Oder aber im Ausblick auf eine ungewisse Zukunft, die weit jenseits der Bundestagswahl 2006 liegt und wofür Rot-Grün mit ihrer Bürgerversicherung oder die Union mit ihrem Gesundheitskompromiss nur wenig Überzeugendes, dafür aber viel Unausgegorenes zu bieten haben. Und Konzepte für die Gegenwart? Nichts. Im Moment lässt man stattdessen rhetorische Luftballons steigen oder führt Scheingefechte: ein klägliches Schauspiel vor einer düsteren Kulisse von Millionen von Arbeitslosen.

Dabei ist der Auftrag an die Politik ebenso klar wie bekannt: Sie muss dafür sorgen, dass die Lohn- und Lohnnebenkosten sinken und damit die Arbeit billiger wird, damit sich Neueinstellungen für die Unternehmen schneller wieder rechnen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Ländern leisten wir uns einen eher teuren Sozialstaat und den finanzieren wir auch noch in weiten Teilen über die Nebenkosten, die am Ende wie eine Art Strafsteuer auf Arbeit wirken. Rund 26 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind hierzulande für jedes Wehwehchen der 80 Millionen Einwohner zuständig. Damit überfordern wir die Wirtschaft. Und der verschärfte internationale Wettbewerbsdruck wird die Unternehmen wohl weiterhin dazu veranlassen, bei den Arbeitskosten zu sparen.

Das A und 0 der Politik aber ist es, dafür zu sorgen, dass neue Arbeitsplätze entstehen, damit Suchende auch finden können. Arbeit schafft allerdings nicht der Staat, sondern der Unternehmer. Der Staat hat die Aufgabe, Voraussetzungen zu schaffen, damit neue Arbeitsplätze entstehen können. Was muss er zusätzlich zur Senkung der Lohnnebenkosten nun tun? Die Attraktivität für den Standort Deutschland steigern: durch ein wettbewerbsfähiges Steuersystem, durch weniger Bürokratie, durch mehr Bildung und Forschung. Andernfalls dürfte der zu beobachtende kräftige Abbau von sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Arbeitsplätzen kaum aufzuhalten sein. Mit Hartz IV jedenfalls lässt sich die Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen, weil ja keine neuen Jobs geschaffen werden. Und wenn es keine Stellen zu vermitteln gibt, hilft auch eine verbesserte Vermittlung nichts.

Und auch die ohnehin schon schwächelnde Konjunktur will der Politik nicht beispringen. Experten und Forscher gehen übereinstimmend davon aus, dass die Wirtschaft bei uns nicht so stark wachsen wird, um den Arbeitsmarkt wieder auf Trab zu bringen. Die Beschäftigungsschwelle liegt nach wie vor bei einer Marke um die 2,5 Prozent, was so viel heißt: Die Arbeitslosigkeit lähmt das Land auch nächstes Jahr. Ohne deutlich mehr Arbeitsplätze werden jedoch die Beiträge für Rente, Arbeitslosen- und Krankenversicherung steigen. Frostige Tage in trüben Zeiten.

 

Frostige Aussichten auf dem Arbeitsmarkt

Arbeitslosenzahl steigt auf 4,26 Millionen - Opposition attestiert Regierung Versagen

Nürnberg. (AP/dpa) Die einsetzende Winterpause hat dem Arbeitsmarkt im November einen Kälteschock versetzt. Wie die Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag in Nürnberg bekannt gab, nahm die Zahl der Erwerbslosen bundesweit um 50800 auf 4,257 Millionen zu. Im Vergleich zum November des Vorjahres waren 73 700 Erwerbslose mehr registriert. Die Opposition attestierte der Bundesregierung Versagen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement rief dazu auf, die Arbeitsmarktreformen ohne Verzögerung umzusetzen.BA-Chef Frank-Jürgen Weise erklärte, das abgeschwächte Wirtschaftswachstum reiche noch nicht aus, "um genügend positive Impulse für den Arbeitsmarkt zu geben". Nach Einschätzung von Clement ist das Zwischenziel, den Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu stoppen, "fast erreicht". Jetzt komme es darauf an, "dass wir den vorerst letzten und größten Reformschritt, den Start des Arbeitslosengeldes II, mit aller Konsequenz tun". Als positiv bewertete der Minister, dass die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen sei und sich der Aufschwung verfestige. "Deutsche Unternehmen investieren wieder", betonte Clement (R.Ki.:Träumer: Realitätsverlust!).

Nach Ansicht von CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer droht ein "Winter der Hoffnungslosigkeit" für die, die Arbeit suchten. "Diese Regierung steht für die höchste Arbeitslosigkeit in einem November seit der Wiedervereinigung", sagte Meyer. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl-Josef Laumann, sprach von "Trostlosigkeit in Reinform". Zum zehnten Mal in Folge seien die saisonbereinigten Arbeitslosenzahlen gesstiegen.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende, Ursula Engelen-Kefer, machte eine "mentale Blockade" als Grund für die anhaltend hohen Erwerbslosenzahlen verantwortlich. Eine "dogmatisch geführte Reformdebatte" über die Abschaffung von Kündigungsschutz oder weitere Einschnitte bei den Sozialleistungen blockiere eine positive Entwicklung. Der Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, Mario Ohoven, sah in dem "gescheiterten Bürokratieabbau" die wesentliche Ursache für den nicht gelungenen Abbau der Erwerbslosigkeit.

Vor allem der Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente wie der so genannter Ein-Euro-Jobs hat nach BA-Angabeneinen noch stärkeren Anstiegder Erwerbslosigkeit im November verhindert.

Diesen entlastenden Effekten stehen laut BA-Vize Heinrich Alt zahlreiche Arbeitslosmeldungen von Sozialhilfeempfängern wegen des Arbeitslosengeldes II gegenüber.

Trotz deutlich mehr Existenzgründungen sei es viel weniger Menschen gelungen, nach der Arbeitslosigkeit eine neue Beschäftigung zu finden. Nach Ansicht der BA werden durch die Ausweitung so genannter Mini-Jobs keine sozialversicherungspflichtigen Jobs verdrängt.

Nach einer kurzen Herbstbelebung ist die Zahl der Arbeitslosen in November in Bayern wieder gestiegen. Sie nahm saisonbedingt um 13 900 auf 434 100 zu. Das sind 8 800 mehr als vor einem Jahr. Laut Regionaldirektion für Arbeit stieg die Arbeitslosenquote um 0,2 Punkte auf 6,7 Prozent. Arbeitsministerin Christa Stewens (CSU) sagte, es gebe noch kein Licht am adventlichen Arbeitsmarkt in Bayern.Derweil haf die Kritik des Verwaltungsratschefs der BA, Peter Clever, an der Vermittlung Arbeitsloser ei, nen Streit über den Erfolg der BA ausgelöst. Clement forderte Clever indirekt zum Rückzug auf.

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