FAZ,12.Febr2005

Keine Bedenken gegen DNA-Analysen

Zur Berichterstattung über Gentests: Eine jahrelange, ideologisch geprägte Desinformationskampagne hat offenbar dazu geführt, daß bei vielen Menschen – auch bei hohen Politikern und Richtern – der gesunde Menschenverstand aussetzt, wenn sie Begriffe wie "Gentest" oder "DNA-Analyse" hören. Die Entscheidung des BGH zur Unverwertbarkeit "heimlicher Vaterschaftstests" ist – mit Verlaub gesagt - fachlich mißglückt, fügt dem allgemeinem Rechtsbewußtsein schweren Schaden zu und ignoriert völlig die menschliche Dimension des Problems. Auf derselben Linie liegt die unsinnige Idee der Bundesjustizministerin, ein hochsensibles zwischenmenschliches Problem mit der Keule des Strafrechts erschlagen zu wollen. In der jetzt wieder aufgeflammten Diskussion über den "genetischen Fingerabdruck" werden Horrorszenarien an die Wand gemalt, die bei mir die Frage aufwerfen, ob die Skeptiker noch in derselben Welt leben wie ich oder ihre Informationen aus Science-fiction-Heftchen beziehen. Äußerungen von Datenschutzbeauftragten lassen mich daran zweifeln, ob Sachkenntnis bei deren Berufung immer eine wesentliche Rolle spielte.

Nach heutiger Rechtslage gilt als Vater, wer zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratet ist oder die Vaterschaft anerkannt hat. Diese der Rechtssicherheit dienende Fiktion kann, muß aber bekanntlich nicht mit der Realität übereinstimmen. Gewißheit kann ein DNA-Vergleich bringen. Hat einer der unmittelbar Beteiligten - Mutter, Kind oder gesetzlicher Vater - Zweifel an der biologischen Vaterschaft, lassen sich diese nicht verbieten. Der heimliche (sprich: unauffällige) Vaterschaftstest ist der für alle Beteiligten schonendste Weg zur Bestätigung oder Entkräftung dieser Zweifel - sicherlich sinnvoller als etwa die Einschaltung eines Privatdetektivs, der in der Vergangenheit wühlt. Wenn man überhaupt von Eingriffen in Persönlichkeitsrechte sprechen kann, so sind diese marginal. Die Abstammung ist das biologische Band zwischen zwei Personen und kann schon deshalb nie das Privatgeheimnis eines einzelnen sein. Eine andere Frage ist die nach dem Beweiswert eines solchen Vaterschaftstests, weil im Einzelfall zweifelhaft sein kann, ob das untersuchte Körpermaterial auch tatsächlich von dem Kind stammt, dessen Abstammung geklärt werden soll.

Es gibt auch keine vernünftigen Bedenken gegen die Herstellung eines "genetischen Fingerabdrucks" sowohl als routinemäßige polizeiliche Ermittlungsmethode (Tatortspuren) als auch für erkennungsdienstliche Zwecke; notwendig wäre allenfalls eine gesetzliche Präzisierung der Analysemethode. Entgegen anders lautenden Gerüchten werden weder Persönlichkeitsmerkmale noch Krankheitsdispositionen "entschlüsselt". Es werden vielmehr nicht codierende Teile der menschlichen DNA mit Hilfe biologisch-technischer Verfahren graphisch ähnlich einem Strichcode - dargestellt. Gespeichert wird lediglich das DNA-Identifizierungsmuster, das nur für Vergleichszwecke und sonst nicht verwendet werden kann.

Das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen wird nicht stärker als bei Abnahme eines normalen Fingerabdrucks und deutlich weniger als bei Anfertigung eines Lichtbildes tangiert. Einen "gläsernen Menschen" wird es wegen dieser Methode nie geben. Wer beispielsweise von der Erstellung von "Bewegungsprofilen" faselt, sollte auch real sagen, wer auf welche Weise täglich die zig Millionen Proben ziehen und untersuchen soll, die dafür notwendig wären. Mir ist auch nicht so ganz klar, warum es für einen Ermittler interessant sein soll zu wissen, daß der Spurenleger, ein mutmaßlicher Einbrecher, ein um 22 Prozent erhöhtes Darmkrebsrisiko hat. Natürlich ist es theoretisch denkbar, daß kriminelle Wissenschaftler das für die Erstellung eines "genetischen Fingerabdrucks" zur Verfügung gestellte Material weiter gehenden Untersuchungen unterziehen oder für solche Zwecke weitergeben. Diese Gefahr besteht aber immer, wenn Körpermaterial entnommen wird, seien es die Blutproben mutmaßlicher Alkoholsünder, seien es die unzähligen Proben, die Tag für Tag auf ärztliche Veranlassung, aber ohne jede staatliche Kontrolle in privaten Laboratorien untersucht werden. Im übrigen gibt es Vorkehrungen, die Mißbrauch nach menschlichem Ermessen ausschließen. Dazu gehört beispielsweise, dem Untersuchenden die Probe nur anonymisiert zu überlassen (wie es schon heute geregelt ist).

Am sinnvollsten (aber wohl viel zu teuer) wäre es, nach und nach von allen sich in Deutschland aufhaltenden Personen ein DNA-Identifizierungsmuster anfertigen zu lassen. Da es sowohl der Entlastung zu Unrecht Beschuldigter als auch der Identifizierung von Verbrechens oder Katastrophenopfern dienen kann, würde auch das dumme Gerede vom "Generalverdacht" aufhören.

Hermann Summa,

Richter am Oberlandesgericht Mainz

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