Straubinger, 3.Feb2005

Die erwartete Hiobsbotschaft

Clement hat das Land auf den Arbeitslosen-Schock vorbereitet – Hoffen auf Reformen

Es war der erwartete schwarze Tag. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat die Zahl der offiziell gemeldeten Erwerbslosen die Fünf-Millionen-Marke übersprungen. Damit ist der rotgrünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ein Eintrag im Geschichtsbuch sicher. Doch der Gipfelpunkt ist offensichtlich noch nicht erreicht. Selbst die Regierung erwartet einen weiteren Anstieg. Experten sehen dennoch keinen entscheidenden Einfluss auf die anstehenden Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Dass das neue Jahr mit einem Paukenschlag beginnen würde, war klar: Im Dezember wurden schon fast 4,5 Millionen Arbeitslose gezählt. Die Zahl musste deutlich steigen, denn mit dem Start der Hartz-IV-Reform wurden erstmals auch die bislang nicht erfassten arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Statistik eingerechnet. Allein dies ließ die Januar-Zahl um etwa 240 000 anschwellen.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) gab trotz der "erschreckenden Zahl" wie immer den unerschrockenen Reformer: Es gebe nun "fünf Millionen Gründe", am rot-grünen Reformkurs festzuhalten. Die "Zäsur" müsse Anlass sein, die Beschäftigung endlich wieder hochzufahren, sagte er an die Adresse der Arbeitgeber: "Die Phase der Kostenreduktion ist an ihre Untergrenze gelangt."

Clement hatte vorgebaut und das Land auf die Hiobsbotschaft eingestimmt: Endlich sei Schluss mit Dunkelziffern, komme "die ganze Wahrheit über den deutschen Arbeitsmarkt ans Licht". Besserung erwartet der Minister erst in der zweiten Jahreshälfte: Zu spät, um die Durchschnitts-Arbeitslosenquote noch zu senken. Immerhin sollen es zum Jahresende 200000 Arbeitslose weniger sein als zwölf Monate zuvor.

Die Union sieht in der höchsten Arbeitslosenzahl seit mehr als 70 Jahren den Beweis für das Scheitern von Rot-Grün, erhofft sich davon politischen Rückenwind. Unklar ist, wie die CDU kurzfristig aus Hartz IV Wahlkampfkapital schlagen will, denn sie hat daran mitgewirkt. So erwartet der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung, aktuell keinen Einbruch der SPD in der Wählergunst. Zu sehr hätten sich die Bürger an die Hiobsbotschaften aus Nürnberg gewöhnt.

Schröder und die von wieder günstigeren Umfragewerten getragene SPD-Führung versuchen, jeden Anschein von Irritation und Zweifeln an der Wirksamkeit der Reformen zu vermeiden. Die Hoffnung schwingt mit - und Experten wie der Chef des Deutschen Institutes der Wirtschaft (DIW), Klaus Zimmermann, teilen diese -, dass es mit der Kombination aus Aufschwung und Hartz IV gar gelingen könnte, die Arbeitslosenzahl bis zur Bundestagswahl 2006 unter die Vier-Millionen-Marke zu drücken. Clement setzt auf ein "ökonomisches Gesamtkunstwerk".

Manche malen angesichts der beklemmenden Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen allerdings das Schreckgespenst der Weltwirtschaftskrise von 1929 an die Wand, fühlen sich an das Ende der Weimarer Republik erinnert. Auch damals gab es Horror-Schlagzeilen vom Arbeitsmarkt, erhielten die Rechten - wie heute im Osten - Zulauf. Anfang 193l gab es mehr als fünf Millionen Stellenlose ein Jahr später wurde die Sechs-Millionen-Marke erreicht. Ein historischer Höchststand.

Die Arbeitslosenquote lag damals bei mehr als 30 Prozent, ungefähr dem Dreifachen des aktuellen Wertes. Grund dafür war die allgemein niedrige Erwerbstätigkeit: Bei nur zwölf Millionen Beschäftigten kam auf zwei Stelleninhaber ein Arbeitsloser. Heute stehen einem Jobsuchenden sechs bis sieben Arbeitnehmer gegenüber.

Ein Blick in die Arbeitslosenstatistik zeigt, dass die Entwicklung seit 1970 unter Schwankungen nach oben geht. Erstmals mehr als drei Millionen Menschen ohne Arbeit gab es im Januar 1992, mehr als vier Millionen waren es dann zwei Jahre später. 1997 war das erste Jahr im Nachkriegsdeutschland, in dem die Zahl der Stellensuchenden in keinem Monat mehr unter die Vier-Millionen-Marke sackte.

Die fünf Millionen schienen nur noch eine Frage der Zeit. Anfang 1998 wurde dann - im letzten Jahr der Regierung von CDU-Kanzler Helmut Kohl - die bisherige Nachkriegs-Rekordmarke von 4,823 Millionen Arbeitslosen erreicht. Rot-Grün gelang es trotz Sozialreformen und Lockerungen beim Arbeitsrecht nicht, den zuletzt von drei Jahren Konjunkturflaute verstärkten Negativ-Trend zu drehen.

Vielen unverqessen ist das Vorpreschen von Kanzler Schröder im Frühjahr 2001, als er sich im Überschwang positiver Konjunkturprognosen zur Ankündigung verleiten ließ, die Zahl der Arbeitslosen werde bis zum Wahltermin im Herbst 2002 auf 3,5 Millionen sinken. Tatsächlich waren es dann fast 500 000 mehr. Daneben lag auch VW-Personalchef Peter Hartz. Der Namensgeber der Arbeitsmarktreformen hatte 2002 an die Halbierung der Arbeitslosigkeit innerhalb weniger Jahre geglaubt. Günther V o s s, dpa

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