Straubinger, 25.11.2005
Widerstand gegen Nahverkehrs-Sparpläne
Haushälter erwägen Kürzung von drei Milliarden Euro – Letztes Wort noch nicht gesprochen

Berlin. (dpa/AP) Die von den Haushältern der großen Koalition geplanten massiven Einschnitte beim öffentlichen Personennahverkehr stoßen parteiübergreifend auf zunehmenden Widerstand. Selbst die an der Erarbeitung des Koalitionsvertrages beteiligten Verkehrspolitiker der SPD wiesen die Kürzungen von insgesamt 3,1 Milliarden Euro in der Zeit von 2006 bis 2009 als "abwegig" und vertragswidrig zurück. Haushaltspolitiker der Union bestätigten dieses Einsparvolumen auf dpa-Anfrage, davon 350 Millionen für das Jahr 2006. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) reklamierte einen verbindlichen Rechtsanspruch der Länder auf die Bundesmittel bis 2007: "Im kommenden Jahr ist eine Reduzierung ausgeschlossen."

Fachleute in den Fraktionen gehen davon aus, daß noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, zumal Bahn Lobby und Verkehrsverbände vor Fahrpreis-Erhöhungen, größeren Fahrabständen und Streckenstilllegungen warnten. Auch das Bundesverkehrsministerium äußerte sich zurückhaltend über die Pläne der Haushaltsexperten. So sei ohnehin erst für 2007 eine Revision der Mittelvergabe an die Länder vorgesehen, sagte eine Sprecherin.

Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Uwe Beckmeyer, verwies auf den Koalitionsvertrag: "Wir werden auch weiterhin den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit einem ausreichenden Finanzierungsbeitrag auf hohem Niveau fördern", heiße es dort. "Etwaige Nebenabsprachen der Koalitionspartner über derartige Kürzungen sind nicht von den Parteitagen beschlossen worden und somit nicht Teil des Koalitionsvertrages", sagte Beckmeyer. Dort ist allerdings von - nicht bezifferten - "Korrekturen" die Rede.

Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Dietrich Austermann (CDU) will die geplante Mittelkürzung nicht hinnehmen. Sie würde die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs verschlechtern. Vor allem Berufspendler würden hart getroffen, zumal für diese auch die Entfernungspauschale gekürzt werde. Bei den Hilfen für die allgemeine Daseinsvorsorge handele es sich nicht um Subventionen, so der frühere Haushaltssprecher der Unionsfraktion des Bundestages. Sein Mainzer Kollege Hans-Arthur Bauckhage (FDP) bemüht sich indes um eine Sondersitzung der Verkehrsminister der Länder.

Bundesfinanz- und Verkehrsministerium erklärten, es seien noch keine Entscheidungen gefallen. Unter Bezug auf den Koalitionsvertrag verlangte die Sprecherin des Finanzressorts jedoch "Kürzungen", während das Verkehrsressort einen "ausreichenden Finanzierungsbeitrag (des Bundes für den Nahverkehr) auf hohem Niveau" einforderte. Bei der Revision 2007 stehe die sachgerechte Verwendung der Mittel im Blickpunkt, so das Verkehrsressort. Dabei geht es unter anderem darum, daß manche Kommunen das Geld nicht nur für Züge, Bahnen und Busse ausgeben, sondern auch zur Deckung von Fahrkartenermäßigungen für Schüler und Behinderte, was aus anderen Töpfen zu finanzieren ist.

 

Mittelbayerische Zeitung, Freitag, 25. November 2005
Nahverkehr: Berlin will Mittel streichen
Freistaat.in Sorge: Geht zu Lasten der Pendler

MÜNCHEN (ddp). Gegen die von der neuen Bundesregierung geplante Streichung von Zuschüssen für den Nahverkehr regt sich in Bayern heftiger Widerstand. Einsparungen bei den Regionalisierungsmitteln würden "erhebliche Auswirkungen' auf den öffentlichen Personennahverkehr haben, warnte Verkehrsstaatssekretär Hans Spitzner (CSU). Im Nahverkehr sollen nach den Plänen der Bundesregierung bis 2009 3,1 Milliarden Euro eingespart werden.

Der Geschäftsführer des Münchner Verkehrsverbundes (MVV), Alexander Freitag, sagte: "Wir sehen die Entwicklung mit Sorge". Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fürchtet eine erneute Belastung für Pendler. Die Landtags-Grünen forderten den künftigen Verkehrsminister Erwin Huber (CSU) auf, den Widerstand gegen die geplanten Einschnitte im Bundesrat. mit anderen Ländern zu organisieren.

Gerade das Flächenland Bayern mit mehr als 100 Millionen Zug-Kilometern zur Bedienung der Zentren wie der Fläche sei auf den Schienenverkehr angewiesen und brauche deswegen entsprechende Mittel für die Bestellung, betonte Spitzner. Darüber hinaus beinhalten die Regionalisierungsmittel, die eingespart werden sollen, dem Verkehrsstaatssekretär zufolge auch einen wesentlichen Anteil an Mitteln, die Bayern für geplante Investitionen im Schienenpersonennahverkehr und im allgemeinen ÖPNV brauche. Fielen diese Mittel weg, seien eine Reihe von Projekten nicht mehr zeitgerecht realisierbar, prognostizierte der CSU-Politiker.

MVV-Geschäftsführer Freitag betonte, der öffentliche Personenverkehr sei auf die Mittel aus Berlin angewiesen. Bereits in den vergangenen Jahren habe man Einsparungen hinnehmen müssen. Wie sich die geplanten Kürzungen auf die Fahrpreise auswirken würden, sei Freitag zufolge derzeit noch nicht absehbar. Ver.di befürchtet durch die geplante Mittelkürzung eine Verschlechterung des Nahverkehrs-Angebots und höhere Fahrpreise., Fahrgäste seien die Verlierer, warnte die Gewerkschaft. Angesichts der angekündigten Sparpläne bezeichnete ver.di-Geschäftsführer Heinrich Birner die Entscheidung des Freistaats, am Transrapid festzuhalten, als "widersinnig und unsozial".

Grünen-Verkehrsexperte Christian Magerl forderte den designierten Verkehrsminister Huber auf, dem Landtag zu berichten, welche Auswirkungen die Kürzungen auf den Nahverkehr in Bayern hätten. Maria Scharfenberg, Oberpfälzer Landtagsabgeordnete der Grünen, kritisierte das Vorhaben mit den Worten: "Der öffentliche Nahverkehr ist offenbar das erste Opfer der großen Koalition."

Straubinger, 24.11.2005
NIEDERBAYERN/OBERPFALZ

(pah) Bei der IHK-Vollversammlung hat sich der scheidende Wirtschaftsminister Otto Wiesheu erneut für einen Ausbau von wichtigen Bahnverbindungen in Bayern stark gemacht. So sei etwa der Ausbau der Strecken München - Landshut Plattling - Passau oder Dingolfing Landshut dringend erforderlich. Zugleich verwahrte er sich dagegen, dieses Engagement in Verbindung mit seinem Wechsel zur Bahn AG zu sehen. Es sei "nun einmal Tatsache, daß der Bund für die Schiene verantwortlich ist", sagte Wiesheu. Dabei dienten Investitionen in das Schienennetz keineswegs nur der Bahn, sondern auch deren Konkurrenten. Wesentlich sei es aber, Bahnverbindungen zu verbessern, nicht zuletzt um den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern.

Zu einer Entzerrung des Güterverkehrs könne auch der Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen beitragen, der endlich umgesetzt werden müsse. Daneben seien aber auch Mittel für den Staatsstraßenbau erforderlich.

 

Aachen. (dpa) Höherwertige Mittelklasse-Autos können nach einem Urteil bei Arbeitslosengeld-II-Empfängern als Vermögen angerechnet werden. Das Aachener Sozialgericht wich mit seiner am Dienstag veröffentlichten Entscheidung von der Linie anderer Gerichte ab. Nach dem Sozialgesetzbuch II sei ein "angemessenes Kraftfahrzeug" nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Was angemessen sei, habe der Gesetzgeber aber nicht definiert. Das Gericht sah es als zumutbar an, auf ein kleineres Auto umzusteigen (AZ S 9 AS 31/05).

Ein "angemessenes Fahrzeug" orientiere sich an den Lebensumständen des ALG-II-Empfängers, stellte das Aachener Sozialgericht fest. Grundlage sei das vernünftige Verhalten eines Menschen mit einem Einkommen in Höhe des Arbeitslosengeldes II.

Hartz-Gesetz diskriminiert ältere Arbeitnehmer
Europäischer Gerichtshof: Befristungen ohne Einschränkung für über 52-Jährige nichtig

Luxemburg/Berlin. (dpa/AP) Arbeitnehmer, die älter als 52 Jahre sind, dürfen in Deutschland nicht unbegrenzt mit befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt werden. Der Europäische Gerichtshof (EUGH) urteilte am Dienstag in Luxemburg entsprechend über einen Teil der Hartz-Gesetze (Aktenzeichen C-144/04). Allerdings erkannten die Richter an, daß die Bundesregierung mit der Förderung älterer Menschen zurück in den Beruf ein richtiges Ziel verfolge.

Das rechtfertige allerdings nicht, daß Menschen mit Erreichen des 52. Lebensjahres von unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen würden, hieß es in Luxemburg. Gegen das Urteil des höchsten europäischen Gerichtes sind keine Rechtsmittel möglich.

Die Bundesregierung hatte die umstrittene Regelung 2003 eingeführt, um die Einstellungschancen für ältere Arbeitnehmer zu verbessern. Nach gegenwärtiger Rechtslage dürfen Arbeitnehmer unter 52 Jahren nur maximal zwei Jahre lang befristet beschäftigt werden. Die bis Ende 2006 befristete Sonderregelung, nach der ältere Arbeitnehmer beim selben Arbeitgeber unbegrenzt befristet beschäftigt werden dürfen, hat nach Einschätzung von Regierungspolitikern in der Praxis aber nicht zu mehr Einstellungen geführt.

Die Luxemburger Richter verwiesen darauf, daß niemand in der Europäischen Union wegen seines Alters diskriminiert werden dürfe. "Eine unmittelbar auf das Alter gestützte Ungleichbehandlung stellt grundsätzlich eine gemeinschaftsrechtlich verbotene Diskriminierung dar", hieß in der Pressemitteilung. Das Arbeitsgericht München hatte den Fall an den EUGH überwiesen, um die Rechtmäßigkeit des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) zu klären.

Das Bundeswirtschaftsministerium teilte am Dienstag mit, die Bundesregierung werde die Entscheidung sorgfältig prüfen. Soweit das geltende Recht zu ändern sei, werde dies im Rahmen der von der Koalition vorgesehenen Änderungen des Kündigungsschutz- und Befristungsrechts geschehen. Im Koalitionsvertrag sei bereits "eine europarechtskonforme Gestaltung der erleichterten Befristungsmöglichkeiten" vorgesehen.

Der Berliner Rechtsanwalt Dieter Hummel, der den Kläger vertrat, sagte, die Entscheidung werde hinsichtlich der anstehenden Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung und auch im Hinblick auf alle Fälle, in denen alleine das Alter Differenzierungsmerkmal im Arbeitsleben sei, von großer Bedeutung sein. "Diese Entscheidung stellt damit einen erheblichen Fortschritt im Hinblick auf die Gleichstellung auch älterer Arbeitnehmer im Arbeitsleben dar."

Die bayerische Arbeitsministerin Christa Stewens nannte das Urteil einen "erheblichen Rückschlag" für die Anstrengungen, Beschäftigungshindemisse abzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen. "Der EUGH hat damit den Gestaltungsspielraum nationaler Politik eingeschränkt", erklärte die CSU-Politikerin.

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