Straubinger, 21.Dec2004

Arbeitslosenverband will gegen Hartz IV klagen

Organisation erwägt Gang nach Karlsruhe - Bescheide seien nicht nachvollziehbar

Kurz vor dem ersten Auszahlungstermin für das neue Arbeitslosengeld II sieht der Arbeitslosenverband Deutschland schwarz: Entgegen den Angaben der Bundesagentur für Arbeit rechnen die Arbeitslosenvertreter mit einer Ablehnungsquote von bis zu 30 Prozent, wie der Gesamtvorsitzende des Arbeitslosenverbands, Matthias Dittmann, sagt. 50 bis 60 Prozent der bisherigen Empfänger von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld würden zwischen 30 und 200 Euro weniger im Monat haben, nur 10 Prozent der Berechtigten erhielten mehr als bisher.

Zahlreiche der bislang versandten Bescheide seien zudem nicht nachvollziehbar. "Und das, obwohl vermutlich zunächst einmal die vorgeblich einfachen Fälle bearbeitet wurden", sagt der Verbandsvorsitzende. Deshalb seien die wirklichen Probleme erst noch zu erwarten. Schwierigkeiten bereite beispielsweise die Unterscheidung zwischen den so genannten Bedarfs- und den Haushaltsgemeinschaften.

Deutlich macht Dittmann dies an einem Beispiel: Ein 18-jähriger Auszubildender zähle als eigene Bedarfsgemeinschaft, ebenso wie seine alleinerziehende Mutter, mit der er in einem Haushalt zusammen lebe. Der Mutter würden Miete und Betriebskosten selbst dann halbiert, wenn der Sohn gar nichts dazu beiträgt. "Man geht einfach davon aus, dass er Miete und Betriebskosten mitträgt", sagt Dittmann.

Der Arbeitslosenverband hatte von Anfang an gegen die Reform der rot-grünen Bundesregierung protestiert. Bereits im Jahr 2003, als die ersten Regelungen veröffentlicht wurden, wandte man sich mit 40 000 Unterschriften an den Petitionsausschuss des Parlamentes. Doch die Protestierenden erhielten lediglich schriftlich die Mitteilung, die Reform sei richtig, auch wenn es Einschnitte für Einzelne geben könne. Dem öffentlichen Interesse an der Konsolidierung der Finanzen der Bundesagentur für Arbeit habe dem gegenüber Vorrang gegeben werden müssen, ließ man die Betroffenen wissen.

Nun überlegt der Verband, wie er sich wehren könnte. Aktuell ist ein Verfassungsgutachten zu Hartz IV entstanden, von dem man sich einiges erhofft. Zudem bekommen die Betroffenen den Rat, Einspruch gegen die Bescheide einzulegen. "Da reicht es zunächst schon einmal, wenn bemängelt wird, dass der Bescheid nicht nachvollziehbar ist", sagt Dittmann. Außerdem wolle man Bescheide auswählen, gegen die eine Einzelklage bis hin zum Bundesverfassungsgericht aussichtsreich erscheint. Pro Landesverband sollen mindestens zwei Klagen auf den Weg gebracht werden - sechs Landesverbände hat der hauptsächlich in Ostdeutschland tätige Verein. Einzige Sorge: Die Kosten von vermutlich bis zu 5000 Euro pro Fall. "Da sind wir darauf angewiesen, dass wir Hilfen erhalten", sagt Dittmann.

Auf Widerstand beim Arbeitslosenverband stoßen auch die geplanten und zum Teil schon angelaufenen Ein- oder Zwei-Euro-Jobs. "Der Ansatz zum Missbrauch ist riesengroß", kritisiert Dittmann die künftig erzwungene Arbeitsaufnahme. Deutlich machte er dies an einem Beispiel aus dem Sozialbereich: "Wenn jemand auf Ein-Euro-Basis als Vorleser in einem Altenheim beschäftigt wird, dann ist doch nicht ausgeschlossen, dass man ihn schließlich dar-um bittet, weitere Tätigkeiten zu übernehmen." Als Konsequenz könne sich ergeben, dass unter dem Strich ein reguläres Arbeitsverhältnis in diesem ohnehin schon am unteren Ende der Einkommensskala liegenden Bereich wegfällt. Zwischen 500000 und einer Millionen solcher Arbeitsgelegenheiten erwartet der Arbeitslosenverband 2005. Zudem warnt er davor, dass die Ein- und Zwei-Euro-Jobs einen "Generalangriff auf die Tarifautonomie in Deutschland " auslösen könnten.
Jörg Aberger, AP

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