Landshuter, Straubinger, 8.Nov 2004

Rund 500 000 Arbeitslose erhalten

kein Geld mehr

Fast jeder vierte Bezieher von Arbeitslosenhilfe geht ab 2005 leer aus - Viele Anträge werden wohl abschlägig ausfallen, weil der Partner verdient oder Ersparnisse da sind

Berlin. (AP/dpa) Fast jeder vierte Bezieher von Arbeitslosenhilfe wird nach einer Schätzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) von 2005 an keine staatliche Unterstützung mehr bekommen. Wie eine Berliner Zeitung am Wochenende berichtete, geht die Nürnberger Behörde davon aus, dass insgesamt rund 500 000 der derzeit über zwei Millionen Bezieher von Arbeitslosenhilfe künftig leer ausgehen. Der Grund: Viele sind nicht mehr anspruchsberechtigt, weil ihr Partner Geld verdient oder weil sie über Ersparnisse verfügen.

Nach Schätzung der Bundesagentur würden rund 23 Prozent der derzeitigen Arbeitslosenhilfeempfänger das ab Januar gültige Arbeitslosengeld II (ALG II) nicht erhalten, berichtete das Blatt. Diese Größenordnung sei eine der Grundlagen des Haushaltsentwurfs der Bundesagentur für Arbeit. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte dazu, die in dem Bericht zitierten 23 Prozent beruhten auf Schätzungen der Arbeitsgruppe zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe aus dem Jahr 2003. Verlässliche Zahlen lägen jedoch erst vor, wenn alle Anträge auf ALG II vorlägen.

Die Bundesagentur rechnet damit, dass allein zehn bis 15 Prozent der Betroffenen gar keinen Antrag auf ALG II stellen werden, weil sie sich selbst keine Chancen auf Leistungen ausrechnen. Bei weiteren 200 000 bis 300 000 Antragstellern wird erwartet, dass der Bescheid aus Nürnberg abschlägig ausfallen wird. Wie aus Kreisen der Bundesagentur weiter verlautete, dürften insbesondere Frauen aus den neuen Bundesländern von der Neuregelung betroffen sein.

Der MDR berichtete, dass sich die Thüringer Justiz bereits auf eine Klagewelle wegen abschlä-giger ALG-11-Bescheide vorbereite. Sein Haus bemühe sich derzeit um eine Verstärkung der Sozialgerichte, sagte der Sprecher des Justizministeriums, Fried Dahmen, dem Sender am Wochenende. Dazu würde bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten nach Richtern gesucht.

Einem Bericht der "Welt" zufolge rügte der Bundesrechnungshof die BA wegen Fehlern bei der Förderung von Ich-AGs. Er warf der BA den Angaben zufolge schwere Versäumnisse bei der Förderung von Existenzgründern vor. Sie reichen von schlechter Beratung, über eine unzureichende Prüfung der Existenzgründungsvorhaben bis hin zur Verschwendung von Beitragsgeldern, wie die Zeitung unter Berufung auf eine interne Mitteilung des Bundesrechnungshofes berichtete.

Bayerns Arbeits-Staatssekretär und Mitglied im BA-Verwaltungsrat, Jürgen W. Heike, bezeichnete den Haushaltsentwurf der Bundesanstalt als nicht tragfähig. "Zwar geht die BA angesichts der desolaten Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Konzeptlosigkeit der Bundesregierung zu Recht über die vom Bundesfinanzminister eingeplanten 3,5 Milliarden Euro an Bundeszuschuss hinaus", erklärte er. Aber auch die von der BA veranschlagten 4 Milliarden Euro würden nicht ausreichen und die BA im nächsten Jahr wieder in ein Milliardenloch schlittern lassen.

Rund 7 000 Menschen demonstrierten am Wochenende unter dem Motto "Gemeinsam gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV" in Nürnberg gegen die Reformen der rot-grünen Bundesregierung. Die Veranstaltung verlief nach Angaben der Polizei trotz anfänglicher Sicherheitsbedenken ruhig. Die Demonstranten, unter denen sich auch einige hundert gewaltbereite Personen befunden hätten, seien aus ganz Deutschland angereist, hieß es weiter.

 

10.Nov 2004

R.Kiehl: Man sollte die Arbeitszeiten nicht nur flexibilisieren, sondern dabei vermehrt auch auf 40/42/46 oder mehr Stunden ohne Lohnausgleich ausdehnen und diese dann entsprechend auf eine/zwei oder drei Personen aufteilen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen...

Vermehrt Stimmen für flexible Arbeitszeiten

Differenziertere Töne von Unternehmern und Gewerkschaften - Nachspiel wegen 3. Oktober

Berlin. (AP/dpa) Im Streit über eine Arbeitszeitverlängerung verschaffen sich die Befürworter bedarfsorientierter, flexibler Arbeitszeiten zunehmend Gehör, Unternehmer und Gewerkschaften verwiesen am Dienstag darauf, dass es die tariflich vereinbarte 40-Stunden-Woche bereits gebe. Die Gewerkschaften warnten jedoch davor, dies als generelles Allheilmittel gegen die Wachstumskrise zu betrachten. Gerade im Auto- und Maschinenbau sei nämlich das Gegenteil richtig.

Der nach 24 Stunden wieder ad acta gelegte Plan zur Verlegung des arbeitsfreien Tages der deutschen Einheit vom 3. Oktober auf einen Sonntag löst unterdessen ein parlamentarisches Nachspiel aus. Der CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Volker Kauder kündigte für den heuigen Mittwoch eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu dem Thema an. Dabei werde es zum einen um den Umgang mit der deutschen Geschichte, zum anderen um Wege zu mehr Wirtschaftswachstum gehen.

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hielt Bundeskanzler Gerhard Schröder eine völlig hilflose Wirtschaftspolitik vor. Nach dem Feiertagsdesaster stehe die Bundesregierung bei ihrer zentralen Aufgabe, für mehr Wachstum zu sorgen, "blamiert und in kurzen Hosen da". Deutschland brauche flexiblere Arbeitszeiten, mehr Entscheidungsbefugnisse in den Betrieben und als Richtgröße die 40-Stunden-Woche: "Mehr Arbeit bringt mehr Wachstum", sagte der CSU-Chef. Wie VW, Mercedes und Siemens zeigten, sei die große Mehrheit der Arbeitnehmer für sichere Jobs zu Mehrarbeit bereit. BDI-Vizepräsident Diether Klingelnberg sagte, den Betrieben müsse es möglich sein, bei Bedarf auch an Samstagen normal zu arbeiten. Dem schloss sich DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun an, der die Bedeutung flexibler Zeitkorridore unterstrich. FDP-Vize Rainer Brüderle sagte: "Wir brauchen die 40-Stunden-Woehe mit flexiblen Arbeitstagen."

Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie, Hubert Schmoldt, hielt den Unternehmern vor, "stur und unbeirrt die Schlachten von gestern noch einmal" zu schlagen. Sie führten sich auf "wie Betonköpfe". Die Arbeitszeitverlängerung "nach Schema F" wäre kontraproduktiv und würde Arbeitslosigkeit steigern. Nötig seien Flexibilität, die sowohl den Interessen der Arbeitnehmer wie denen der Unternehmer entspreche.

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di machte gegen längere Arbeitszeiten mobil. Die badenwürttembergische Landesbezirksleiterin, Sybille Stamm, sagte in Stuttgart "allein 60 000 Arbeitsplätze stünden im öffentlichen Dienst, in der Druck-und Papier verarbeitende Industrie und im Handel durch beschlossene beziehungsweise geforderte Mehrarbeit auf dem Spiel.

Die IG Metall Bayern nannte die Befürworter längerer Arbeitszeiten "wirtschaftstheoretische Klugscheißer". Bezirksleiter Werner Neugebauer sprach von einem Irrtum, wenn längere Arbeitszeiten als Ausweg aus der Wachstumskrise angesehen würden: "Dort, wo wir die kürzeste Wochenarbeitszeit haben, sind wir Weltspitze. Das zeigen unter anderem die Automobilindustrie und der Maschinenbau."Der Schlüssel des Erfolgs liege in flexiblen Arbeitszeiten, erklärte Neugebauer.

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