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Landshuter,Straubinger,6.August2004

GASTKOMMENTARNICHT LÄNGER TRAGBARVON ROSWIN FINKENZELLER Bei kaum einem anderen Thema haben sich die Deutschen so viel vorgemacht und vormachen lassen wie beim Asylrecht. Die bitter ernste Komödie begann nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Parlamentarische Rat eine Grundgesetzbestimmung schuf, von der er nie und nimmer annahm, sie könnte praktische Auswirkungen haben. "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Wer in aller Welt sollte denn in das bettelarm, zerstörte und entehrte Deutschland fliehen und sich auf diese vier Worte berufen? Was mittlerweile gang und gäbe ist, überstieg damals jede Vorstellungskraft, weshalb dem legendären Satz ein Quäntchen Großspurigkeit innewohnte.

Oder sagen wir so: Er war eine Geste der Großherzigkeit und außerdem gar nicht so übel. Vor allem war er kurz und passte deshalb stilistisch viel besser in ein Grundgesetz als der Wortschwall, der ihn ein knappes halbes Jahrhundert später ergänzte. Jene vier Worte hätten es den Deutschen erlaubt, den Ankömmlingen zu verkünden: "Asyl könnt ihr haben. Doch der Cappuccino kostet zweifünfzig. " Da solche Schnoddrigkeit der deutschen Mentalität zuwiderläuft, kam es zu Musterbeispielen landesüblicher Regelungswut. Praktisch bedeutsamer als Grundgesetzartikel 16 waren alsbald das Asylverfahrensgesetz, das Asylbewerberleistungsgesetz und verschiedene Durchführungsverordnungen. Alle diese Texte atmen die Gewissheit, in der Bundesrepublik flössen Milch und Honig. Die Bewohner der dritten Welt hielten Deutschland für steinreich. Die Deutschen auch.

Dann traten die Grünen auf und schwärmten für Multikulti. Mehr oder minder unverblümt verkündeten sie, dass es schlecht für eine Bevölkerung sei, wenn sie nur aus einem einzigen Volk bestehe, wenn die Lebensformen wie die Umgangsformen nicht vor Vielfalt strotzten und die Sprachverwirrung sich nicht der babylonischen annähere. Es galt als ausgemacht, dass hinter jedem, dem bei der Sache nicht ganz wohl war, ein kleiner Rassist stecken müsse. Auf diese Weise avancierte der Asylbewerber vom armen Kerl zum Heilsbringer. Wie in allen Einwanderern sahen die Grünen auch in ihm einen inneren Gewinn für die einheimische Gesellschaft. Die Gefahr, ihn wieder loszuwerden, etwa durch Abschiebung, sahen die Multikulti-Verfechter in guter Kenntnis der deutschen Rechtslage als vernachlässigenswert gering an.

Tatsächlich ist das Asylrecht ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Richter und Rechtsanwälte. Den in Deutschland zu führenden Papierkrieg hat der Chef der französischen Asylverwaltung einmal in einem Privatgespräch mit Stoiber als "Luxus" bezeichnet. Dabei bedienen sich die Asylbewerber bewährter Standardformeln, etwa der, dass sie zwar bisher noch nicht verfolgt worden seien, jedoch ganz bestimmt verfolgt werden würden, kehrten sie jetzt in ihr Heimatland zurück. Womöglich ergibt es sich, dass die Öffentlichkeit zum soundsovielten Mal durch das Wort "Abschiebung" in die Irre geführt werden darf. Denn "Abschiebung" bedeutet nicht Hinauswurf, sondern Durchführung eines zeitraubenden Verwaltungsaktes, gegen den weiterhin Rechtsmittel eingelegt werden können. Von den sich in Bayern aufhaltenden Asylbewerbern wartet nur eine Minderheit noch auf den angeblich endgültigen Bescheid. Die meisten müssten das Land schön längst verlassen haben, sind aber nach wie vor hier, wofür sich ein ausnehmend schönes Wort gefunden hat. Es heißt "Duldung".

Die unsägliche Mühe, die es kostete, dem Grundgesetz die Drittstaatenregelung einzuverleiben, verdeutlicht die Schwierigkeiten bei Asylrechtsänderungen. Nun gut, seit einigen Jahren kann (unter Umständen) an der Grenze zurückgewiesen werden, wer den weiten Weg nach Deutschland über einen Staat genommen hat, dem ein ordentliches Rechtswesen nicht abzusprechen ist. Allmählich richtet sich die deutsche Aufmerksamkeit auch auf die Begrüßungen, die unsere Nachbarn den Fremdlingen angedeihen lassen, und nicht zuletzt auf die mit der Illegalität verbundenen Strapazen. Um im Asylbewerberstil zu reisen, muss einer schon sehr sportlich sein. Für die Ärmsten der Armen kommen solche Parforcetouren von vornherein nicht in Frage. Die sich da auf den weiten Weg machen, mit oder ohne Schleuser, per Auto oder per Schiff, sind in der Regel Abenteurer und Draufgänger, die in der Ferne ihr Glück suchen, mit Vorliebe in der Bundesrepublik Deutschland.

Dort stehen sie sich besser als mancher Bundesbürger. Wo sind denn bei uns die kleinen Leute, die sich im Netto-Zustand eine schöne Wohnung, beste Verpflegung, modernste Kleidung, erstklassige medizinische Versorgung und Jahreskarten für alle Nahverkehrsmittel leisten können, um dann noch 40 Euro monatlich übrig zu haben? Asylbewerber leben gratis und kriegen Taschengeld. In dieser unbefriedigenden Dauersituation hat Bundesinnenminister Schily die Liste irriger Vorstellungen um eine Idee verlängert, die an Abenteuerlichkeit einer Flucht im Schlauchboot kaum nachsieht. Ihre Sachbearbeiter sollen die Flüchtlinge künftig nicht mehr in deutschen Amtsstuben, sondern in einem nordafrikanischen Auffanglager antreffen. Das wird nicht funktionieren. Selbst wenn sich ein Potentat fände, der aus lauter Lust an der abendländischen Bürokratie bereit wäre, unter die Lagergründer zu gehen, wäre damit noch nicht sichergestellt, dass die aparte Institution immer und ewig im Geiste Schilys oder wenigstens im Sinne der Mitteleuropäer zu Werke ginge. Vor allem aber ist nicht einzusehen, wieso kräftige und tatkräftige Personen, die es zu den sagenhaften Fleischtöpfen nördlich des Mittelmeeres zieht, nicht auf den Einfall kommen sollten, das famose Lager einfach links liegen zu lassen. Sollen sie dorthin mit Gewalt verfrachtet werden, etwa von Porto Empedocle aus? Genau dazu müsste sich das sanfte Europa aufraffen. Gekrönt werden die Asylillusionen von einer wahrhaft globalen Erwartung. Wie wäre es, wenn auf der ganzen Welt eitel Freude herrschte, dazu allüberall der Friede und dann auch noch der Wohlstand? Dann entfiele mit jedem Fluchtgrund auch jeder Fluchtversuch. Prompt ergibt sich aus dieser Vision der skurrile Imperativ, fürs erste mit der Rettung der ganzen Welt zu beginnen. Als Herzensangelegenheit ist diese Vorstellung politologischer Edelkitsch, als Programm ein klassischer Fall von Verschiebung einer Notwehrmaßnahme auf den St.Nimmerleinstag. Nein, die Deutschen müssen ihr Problem daheim lösen. Den politisch Verfolgten, es sind nicht viele, sollen sie schnellstens Asyl gewähren und den übergroßen Rest im gleichen Tempo abschieben, wirklich abschieben. Entsprechende Gesetzesänderungen sind überfällig.

Die Deutschen, die Europäer, dürfen sich von der Reiselust begehrlicher Personen nicht länger fremdbestimmen lassen. Der Volkssouverän und seine Regierungen haben souverän zu sein, vor allem gegenüber ihren Gästen.