Straubinger, 13.Dec 2004
Streit um PISA-Konsequenzen wird schärfer
Staatskanzleichef Huber nennt Ministerin Bulmahn
"bildungspolitische Geisterfahrerin"

Berlin/München. (AP/dpa) Der Streit zwischen Bund und Ländern über Konsequenzen aus der jüngsten PISA-Studie droht zu eskalieren. Die bayerische Staatsregierung attackierte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn am Wochenende in scharfer Form. Der Chef der Münchner Staatskanzlei, Erwin Huber (CSU), nannte die SPD-Ministerin im AP-Interview eine "bildungspolitische Geisterfahrerin".

Huber bezeichnete Vorschläge Bulmahns zum Überdenken des dreigliedrigen Schulsystems als "bildungspolitisch verfehlt und pädagogischen Unsinn". Auch die Kultusministerkonferenz der Länder hatte einen Zusammenhang zwischen dem Schulsystem und schlechten Gesamtleistungen verneint.

Huber nannte es eine völlige Irreführung, "wenn gesagt wird, bei den .Zehnjährigen würde bereits eine endgültige Entscheidung getroffen". Das bayerische Schulsystem zeige, dass auch Hauptschüler fast im gleichen Zeitraum zum Abitur kommen könnten wie Gymnasiasten. Man müsse die Kinder "bei ihren speziellen Begabungen abholen, und da ist das gegliederte Schulsystem allen anderen weit überlegen". Huber warf der rot-grünen Koalition in Berlin" Ideologie pur" in der Bildungspolitik vor und lehnte darüber hinaus Bundeszuständigkeiten in Schulfragen strikt ab. Der CSU-Politiker erklärte, die "linken Bildungsexperten" hätten "leider ihre Scheuklappen nicht abwerfen können". "Wir brauchen aber keine Bildungsideologie, sondern wir müssen uns messen an den internationalen Ergebnissen, vor allem am Wohl des Kindes."

Huber zeigte sich offen gegenüber dem Vorschlag bundeseinheitlicher Standards bei Schulabschlüssen. Aber sie dürften "nicht durch den Bund vorgegeben" werden. "Der Bund hat keine Zuständigkeit und wird auch keine bekommen."

Bulmahn forderte indes die Länder zur weiteren Zusammenarbeit in der Bildungspolitik auf. Bildung könne man nicht in völlig voneinander losgelöste Bereiche abtrennen. "Monopol auf Bildung gibt's nicht, sondern für Bildung sind alle verantwortlich", sagte die Ministerin im Deutschlandfunk.

Bulmahn bekräftigte zugleich ihre umstrittene Forderung, das dreigliedrige Schulsystem solle überdacht werden. Man müsse überlegen, ob es auf Dauer richtig sei, dass man Kinder schon mit zehn Jahren auf eine Schulform festlege. Man dürfe auch die Frage, ob auf Dauer in Hauptschulen noch Lernfortschritte erreicht werden könnten, nicht tabuisieren, meinte die Ministerin.

Bulmahn sagte aber zugleich, dass alleine die Veränderung einer Schulform nicht ausreichen würde: "Es ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen und Schritten notwendig, um unser Bildungssystem deutlich zu verbessern. " Dazu gehöre der Ausbau von Ganztagsschulen sowie die Verbesserung der frühkindlichen Bildung.

Bodenhaftung verloren
VON RUDI WAIS

BERLIN Sie sitzen überall. Reinhard Göhner zum Beispiel ist nicht nur Bundestagsabgeordneter der CDU, sondern im Zweitberuf auch noch Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände - ein ebenso einträgliches wie einflussreiches Amt. Oder Kläus Brandner: Er hat für die SPD-Fraktion das umstrittene Gesetzpaket Hartz IV mit ausgehandelt - zu Hause in Ostwestfalen führt er als Berufsfunktionär den Kreisverband der IG Metall, die eben jene Reform erbittert bekämpft hat. Ein Interessenkonflikt? Natürlich. Aber wer verzichtet schon gerne auf Geld und Mitsprache? Göhner nicht. Brandner nicht. Und andere auch nicht. Gut dotierte Mandate in Aufsichts- und Konzernbeiräten, lukrative Beraterverträge, großzügig honorierte.Vorträge: In der deutschen Politik ist das Dazuverdienen inzwischen die Regel und nicht die Ausnahme.

Nicht jeder tut es so schamlos und doppelmoralisch wie der zurückgetretene Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Hermann-Josef Arentz, der 60 000 Euro Gehalt und dazu noch 7 500 Kilowattstunden kostenlosen Strom im Jahr einstrich. Nicht jeder tut es so beiläufig ab wie CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, der seinen Billig-Strom korrekt als geldwerten Vorteil versteuert und sich auf sicherem Terrain wähnt.

Fälle wie der von Arentz oder die rasanten Gehaltssprünge in den Chefetagen der deutschen Konzerne bestätigen den Eindruck vieler Menschen: Das Führungspersonal in Politik und Wirtschaft hat, von Ausnahmen abgesehen, längst die Bodenhaftung verloren und sich weit vom wahren Leben entfernt. Musste ein Durchschnittsverdiener Mitte der siebziger Jahre zweieinhalb Jahre arbeiten, um auf das Monatssalär eines Top-Managers zu kommen, so braucht er dazu heute 20 Jahre.

Ob Göhner oder Brandner, ob Arentz oder Meyer: Was sie tun, ist legal - aber nicht legitim. Das Argument, man bleibe mit einem Bein im Beruf und sei damit freier in seiner politischen Arbeit, sticht in den seltensten Fällen. Wer sich dennoch als Parlamentarier nicht ausgelastet oder unterbezahlt fühlt, der sollte zumindest zur Transparenz gezwungen sein. Im Klartext hieße das: Einkünfte und Vermögen offen legen, damit der Wähler auch weiß, wem ein Abgeordneter außer seinem Gewissen sonst noch verpflichtet ist.

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