Straubinger, 9.Mai 2005

"Ohne EU können wir Zukunft nicht meistern"
Festakt mit Europaminister Sinner zur Einweihung des "Europe Direct"-Büros im ATT

Furth im Wald. (t1) Vom kräftigen Zuschuss aus Brüssel während der Bauphase über den Europa-Sternenbogen im Foyer bis hin zu den vielen grenzüberschreitenden Veranstaltungen - das Further Tagungszentrum stand schon immer im Zeichen der Europäischen Union. Doch seit Samstag, 11.05 Uhr, hat das Kind sozusagen auch einen Namen: Das ATT beherbergt nun ein "Europe Direct"-Büro - eine Informationsstelle für Fragen rund um die EU. Was dahinter steckt und wie wichtig eine solche Einrichtung gerade in dieser Zeit ist, das wurde im Rahmen eines Festaktes immer wieder betont. So machte Bayerns Europaminister Eberhard Sinner unmissverständlich klar, dass Deutschland die Europäische Union benötige, um auf dem globalen wirtschaftlichen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb warnte er: "Ohne EU können wir die Zukunft nicht meistern! "

Die Zukunft dieser Grenzregion machte zu Beginn lautstark auf sich aufmerksam. Jungen Trommlern der gemeinsamen Musikschule Furth im Wald/Domazlice oblag die Ouvertüre zur feierlichen Eröffnung des "Europe Direct"-Büros - und das nicht nur aus musikalischem Zweck. "Bei der Europa-Müdigkeit haben wir uns gedacht, wie wecken wir die Leute auf. Ich hoffe, dass es uns gelungen ist mit den jungen Schlagzeugern", meinte Bürgermeister Reinhold Macho zu Beginn schmunzelnd. Denn der Gedanke an das vereinte Europa löse bei vielen Menschen auch Unwillen aus. "Unwillen über fehlende Transparenz, über Regelungswut und Bürokratie. Oft herrscht schlichte Unwissenheit, wie dieses Europa funktioniert. Wir müssen uns alle vielmehr darum bemühen, Europa den Menschen zu erklären", zitierte Macho Bundespräsident Horst Köhler. Und genau das sei es, was sich die EU mit den Informationsbüros "Europe Direct" zur Aufgabe gemacht habe. Besonders freute ihn, dass er zu diesem Festakt nicht nur eine Reihe politischer Persönlichkeiten willkommen heißen konnte, sondern auch Schüler der Gymnasien in Domazlice, Cham und Kötzting. "Es ist viel zu selten, dass junge Menschen bei solchen Veranstaltungen vertreten sind. Dabei geht es um euere Zukunft", mahnte er.

Furth eine europäische Stadt

Die Eröffnung dieses Büros sah Macho zwischen zwei Meilensteinen - zum einen die EU-Osterweiterung vor etwas über einem Jahr, zum anderen die Ratifizierung der europäischen Verfassung, die demnächst erfolgen soll. Diese beiden Daten kennzeichnen für ihn auch die breite Palette an Stimmungen, die den europäischen Einigungsprozess begleitet: Auf der einen Seite gemischte Gefühle über offenkundige Schwächen, auf der anderen - insbesondere in Frankreich und Tschechien - nicht zu überhörende Stimmen gegen eine europäische Verfassung. Deshalb nutzte er die Gelegenheit, um Europaminister Sinner zu danken, der kürzlich betont habe: Europa braucht eine Phase der Konsolidierung.

Das "Europe Direct"-Büro in Furth soll eine Anlaufstelle für alle sein, die sich für Europa interessieren, "alle die mehr wissen wollen über ihre Rechte und Möglichkeiten, alle, denen die europäische Idee am Herzen liegt". In diesem Zusammenhang dankte der Further Bürgermeister dem Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, Dr. Gerhard Sabathil, für das Vertrauen - ein Vertrauen, das Furth sicherlich auch verdient hat. Denn Macho erinnerte bei dieser Gelegenheit an die rund 20 Jahre, in denen enge Partnerschaften mit Städten in Frankreich, Österreich und auch Tschechien gepflegt werden. "Furth im Wald, dies dokumentiert die vom Europarat überreichte Fahne, darf sich mit Recht eine europäische Stadt nennen", folgerte Macho stolz. Aus diesem Grund wolle man dieses Büro auch nutzen, um mit den Städten Domazlice (Taus) und Pobezovice (Ronsperg) zu kooperieren, "damit die Bürger in unserem Nachbarland alle wichtigen Informationen über das neue Europa erhalten können". Doch neben den Informationen wolle man auch einen Beitrag leisten, die Bürger vom "Jahrtausendwerk Europa" zu überzeugen, sie zu begeistern. Dabei rief Macho abschließend die Worte des früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors in Erinnerung, der einst mahnte: "Wenn es uns nicht gelingt, Europas Seele zu vermitteln, verlieren wir Europa."

Wichtig für Werte und Wirtschaft

Dies ist auch Eberhard Sinner, Staatsminister für Europaangelegenheiten, ein großes Anliegen. Viele wurden sehr differenziert über die EU denken, dabei verkörpere Europa eine wichtige Wertetradition, welcher gerade die Deutschen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts übel mitgespielt hätten. Dies sei ihm wieder deutlich geworden, als er den Jubiläumstag der Befreiung Dachaus an der Seite des Vize-Vorsitzenden des tschechischen Senats, Petr Smutny, miterlebte - an der Seite des Mannes, dessen Vater im KZ Dachau saß. "Wir haben unter den Völkern Europas einiges angerichtet", so Sinner. Deshalb wertete er die Papstwahl als ein Signal, wie Europa sich verändern kann. "Einem polnischen Papst folgte ein deutscher..."

Der Europaminister gestand ein, dass derzeit manch negatives Thema im Zusammenhang mit der EU im Vordergrund steht wie zum Beispiel die Dumping-Löhne. "Natürlich gibt es Missbrauch, aber den kann man abstellen", zeigte er sich zuversichtlich. Viel wichtiger sei jedoch, die EU als Chance zu sehen, auf dem globalen Markt bestehen zu können, denn: "Die Welt nimmt auf unsere Gemütlichkeit keine Rücksicht." Starker Euro, Gemeinschaftsprojekte wie beim neuen Airbus, Wettbewerbskontrolle gegen Monopole (wie bei Microsoft) oder auch ein Einschreiten gegen Preistreiberei wie zum Beispiel bei Handy-Roaminggebühren - vieles würde ohne die EU nicht funktionieren. Deshalb gab sich Sinner, der Macho einen Pionier Europas nannte, überzeugt: "Gerade die Menschen, die Angst haben von einer Globalisierung, können darauf vertrauen ... Ohne die EU können wir unsere Zukunft nicht meistern! " Dennoch sei es wichtig, dass sich der europäische Staatenverbund "nicht zu Tode wächst" und ein Regelwerk bekommt. Den Bürgern legte er abschließend die Worte es einstigen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß ans Herz, der einmal meinte: "Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft."

 

Furth im Wald hat sich dieses EU-Büro verdient
Posselt und Dr. Sabathil würdigten Rolle der Grenzstadt im zusammenwachsenden Europa

Furth im Wald. (t1) Europafähnchen, Tischbänder in den Farben Blau und Gold, jede Menge Info-Broschüren und nach den Reden gar blauen Bols mit gelber Sternfrucht in Sektgläsern serviert - das ATT stand am Samstag ganz im Zeichen von Europa. Doch eine EU-gemäße Dekoration ist sicherlich kein Grund, warum bei über 100 Bewerbern für das "Europe Direct"-Büro ausgerechnet die Wahl auf Furth im Wald fiel. Der Europaabgeordnete Bernd Posselt und Dr. Gerhard Sabathil, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, unterstrichen, dass sich gerade die Drachenstichstadt diese Einrichtung verdient hat. Grund: Sowohl während des Kalten Krieges als auch nach der Öffnung der Grenze habe sie stets über den Tellerrand hinausgeblickt und die grenzüberschreitende europäische Nachbarschaft gefördert.

So pflegte Furth im Wald schon längst eine enge Partnerschaft mit der Stadt Domazlice, als am 1. Mai 2004 Tschechien der Europäischen Union beitrat. "Somit ist unser langjähriges Bestreben, sich in die Gemeinschaft derjenigen europäischen Länder einzugliedern, die sich entschlossen haben, ein Europa des Friedens als einen sich wirtschaftlich entwickelnden, stabilen und sich um eine gerechte Welt bemühenden Kontinent aufzubauen, in Erfüllung gegangen", erinnerte Petr Smutny. Der Vize-Vorsitzende des Senats der Tschechischen Republik betonte aber auch die Bedeutung der europäischen Politik auf regionaler Ebene. Vor 1989 hätten sich die beiden Grenzregionen in miteinander konkurrierenden Welten befunden, seit 1989 stehen "wir plötzlich an der Kreuzung europäischer Wege - dort, wo wir uns schon über Jahrhunderte befanden". Tschechien hätte es ohne fremde Unterstützung nicht geschafft, mit den reicheren Regionen gleichzuziehen. Auch ein Jahr nach dem EU-Beitritt sei das Interesse an Förderungen aus den Strukturfonds der Europäischen Union hoch "und wächst weiter an".

Die tschechischen Bürger interessiere aber nicht nur der wirtschaftliche Vorteil; auch die politische und soziale Entwicklung, vor allem die Problematik der europäischen Verfassung. Dazu sei auch das neue Europa-Büro in Furth im Wald dienlich. "Ich bin davon überzeugt, dass es diesen Anforderungen gerecht wird. Seine Tätigkeit wird zur Entwicklung unserer beiden Regionen beitragen, die nicht mehr nur noch Nachbarn, sondern auch Partner in der EU sind", sagte Smutny.

Macho ein Verfechter Europas

Einer, dem diese Eröffnung des "Europe Direct"-Büros in Furth offensichtlich sehr viel bedeutet, ist der Europaabgeordnete Bernd Posselt. Der Gründer der Paneuropa-Jugend erinnerte an die alljährlichen Treffen in Furth im Wald. "Wir haben uns Jahr für Jahr hier versammelt, um uns mit den Quellen und Wurzeln Europas zu befassen." Dabei habe er immer die Unterstützung von Bürgermeister Macho erfahren. Das Further Stadtoberhaupt sei stets bemüht gewesen, den Sinn und Zweck Europas den Bürgern nahe zu bringen. "Er hat sein Bürgermeisteramt immer auch als ein Amt für Europa verstanden." Posselt erinnerte auch an den Herbst 1989, als die Paneuropa-Jugend dank Macho Visa erhielt und zunächst in Ronsperg, der Heimat des Paneuropa-Gründers Coudenhove-Kalergi, und dann in Prag die "samtene Revolution" erlebte. "Die Geschichte hat an dieser Grenze sehr viele Wunden geschlagen. Deshalb bin ich sehr glücklich, dass diese Wunden heute geheilt werden durch Versöhnung und aktive Völkerverständigung", sagte das MDEP. Dieses Büro im Further ATT sieht Posselt als wichtigen Beitrag, dass Europa an seiner Nahtstelle zusammenwächst. Er endete mit den Worten des Gründers der Paneuropa-Bewegung, Graf Coudenhove-Kalergi: "Europa ist keine Neuerfindung, es ist eine Wiederentdeckung."

Woher EU-Desinteresse kommt

Dass jedoch Europa nicht nur auf hoher politischer Ebene zusammenfindet, sondern auch in den Regionen, dafür sind die "Europe Direct"-Büros dienlich. Das betonte Dr. Gerhard Sabathil, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Dass der Sinn von Europa schon früh erkannt wurde, belegte er mit den Worten von Robert Schumann, der einst meinte: Wenn es gelinge, Kohle und Stahl in Deutschland und Frankreich zu fusionieren, dann ist ein Krieg nicht mehr führbar. "Er hat recht gehabt", so Dr. Sabathil. Und dennoch sei es nicht leicht, die Vorteile Europas den Menschen klar zu machen, "denn Wunder sind schwer zu erklären". Er sah dafür hauptsächlich fünf Gründe. Zum einen nannte er das sehr komplizierte EU-Recht, das sich in seinen Organen und in der Verfassung widerspiegle. Zum anderen entwickle sich Europa sehr schnell." Die Bürger kommen nicht mit." Deshalb benötige die EU eine Konsolidierung. Von dem Büro in Furth er-warte man sich Hinweise, welche Probleme die Bürger in dieser Region beschäftigen. Ein weiterer Grund ist für Dr. Sabathil, dass Europa "keine Gesichter" hat. Dies solle sich mit einem europäischen Präsidenten und Außenminister ändern. Zudem sei für viele die EU weit weg, die Problematik vor Ort gegenwärtig. Und nicht zuletzt habe Europa schon immer als Sündenbock für vieles gegolten, was in der Nationalpolitik falsch lief. Dass der Frieden gesichert, Überschussproduktion abgebaut und der Zeigefinger bezüglich Staatsdefizite erhoben wird, werde oftmals übersehen. Dr. Sabathil: "Europa wird zu wenig als die vierte politische Ebene verstanden, nach der Kommune, dem Land, dem Bund. Dabei sind wir es alle, die Europa gestalten, die für Europa verantwortlich sind." Dass die Standort-Entscheidung für das "Europe Direct"-Büro auf Furth im Wald fiel, habe ihn gefreut. Denn hier werde seit langem der europäische Gedanke durch den Kontakt über die Grenze hinweg gelebt. Deshalb zweifelt er nicht daran, dass das EU-Büro in Furth im Wald ein "aktives Zentrum" wird, "damit Europa verständlicher wird, damit wir wieder an Wunder glauben können."

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