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Landshuter, Straubinger, 23.Juni 2004 Teure Gesundheit

Kommentar VON KARL HEINRICH

Einig sind CDU und CSU sich nur darin, dass sie sich über die künftige Finanzierung des Gesundheitswesens nicht einig sind. Auf keinen Fall will die CSU davon abgehen, dass Geringverdiener auch in Zukunft niedrigere Krankenkassenbeiträge zahlen als Großverdiener. Die CSU besteht auf dem sozialen Ausgleich, während CDU-Chefin Angela Merkel vor allem die Absenkung der Lohnnebenkosten bei den Unternehmen in den Blick genommen hat. Dafür plant sie einen einheitlichen Beitrag in Höhe von rund 200 Euro pro Monat, den sowohl der Chefarzt als auch die Krankenschwester zahlen sollen. Allerdings soll, um beim Beispiel zu bleiben, die Krankenschwester vom Staat einen Zuschuss erhalten, wenn der künftige Beitrag höher ist als der bisherige.

Vor allem der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer lässt keine Gelegenheit aus, die Einheitsprämie als unsozial und unfinanzierbar zu brandmarken. In der Tat: Großverdiener würden beträchtlich entlastet, die Staatskasse würde mit jährlichen Zuschüssen in zweistelliger Milliardenhöhe belastet werden. Vor diesem Hintergrund gewinnen alternative Überlegungen in der CSU an Charme. Danach könnte, wie auch von der CDU geplant, der heutige Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag dem Arbeitnehmer ausgezahlt werden, was die Unternehmen von weiteren Steigerungen im Bereich der Krankenversicherung freistellen würde. Aber nach Auffassung der CSU muss dann ein gestaffelter Beitrag den derzeit prozentualen Beitragssatz ersetzen.

Im Kern geht es um eine Antwort auf die Frage: Wie sozial ist die Union? Soll darauf verzichtet werden, den Krankenkassenbeitrag an den Lohn zu koppeln; soll es überhaupt noch einen sozialen Ausgleich bei der Finanzierung des Gesundheitswesens geben? Klar ist nämlich, dass der Staat mit dem Zuschuss an Geringverdiener an Finanzierungsgrenzen stößt, die er nicht überwinden kann. Denn es muss ja nicht nur die Finanzierung der Krankenversicherung neu geordnet werden, unerlässlich ist auch ein neuer Anlauf bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte. Seehofers Sorge, dass beim CDU-Modell am Ende die kleinen Leute die Zeche zahlen, ist nicht unberechtigt. Hinzu kommt, dass die CSU sich mehr noch als die CDU als Interessenvertretung der breiten Arbeitnehmerschichten versteht und von daher der soziale Ausgleich bei ihr einen höheren Stellenwert hat als bei der Schwesterpartei.

 

22.Juni 2004

CSA gegen Kopfpauschalenmodell
"Einstieg in die Entsolidarisierung und staatliche Gesundheitsversorgung"

Vilshofen. (ta) "Lauthals protestiert" hat der niederbayerische Bezirksvorstand der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft (CSA) gegen die geplante Einführung der so genannten "Kopfpauschale" in der Krankenversicherung.

Damit leite man nicht nur den Ausstieg aus der bisherigen Solidarversicherung ein, das Modell sei eine unzumutbare Belastung für Familien mit Kindern und koste die öffentliche Hand jährlich rund 5 bis 20 Milliarden Euro, sagte der CSA-Bezirksvorsitzende, MdL Konrad Kobler, am Wochenende in Vilshofen (Kreis Passau). Auch die am Wochenende bekannt gewordene "Stufenlösung" der CSU sei so mit der CSA nicht machbar.

Der CSA-Bezirksvorstand jedenfalls debattierte nach eigener Pressemitteilung das Kopfpauschalen-Modell, das von weiten Kreisen der CDU und der FDP favorisiert wird, "höchst verärgert". Von einer "Umverteilungs- und Entsolidarisierungsorgie" sei die Rede gewesen, vom "Verstoß gegen ein grundlegendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts" und vom "geraden Weg an die steuerfinanzierte Gesundheitsversorgung."

Das CDU-Modell, das dem Erbebungsverfahren in der Schweiz ähnelt, sieht eine einheitliche Krankenversicherungsprämie "vom Neugeborenen bis zum Pflegefall" in Höhe von rund 200 Euro monatlich vor. Die kostenfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern, wie bislang möglich, wäre damit beendet. Eine Familie mit drei Kindern hätte dann nach Berechnungen der CSA - monatlich 1 000 Euro aufzubringen, was bei 1 400 bis 1 500 Euro Monatseinkommen nicht zu leisten sei. Zwar sehe man für solche Fälle eine zumutbare Höchstbelastung von 600 bis 650 Euro vor, doch müsse der fehlende Restbetrag dann von der öffentlichen Hand übernommen werden. "Das wären jährlich rund 15 Milliarden Euro", errechnete CSA-Bezirksvorsitzender Kobler.

Die Delegierten sehen in dem Kopfpauschalen-Modell auch einen Verstoß frontal gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. "Danach gilt die Familie als besonders schützenswert. Sie wird nach dem Modell aber stärker belastet", sagte Kobler. Kobler will sich in der Angelegenheit deshalb umgehend an die beiden Parteivorsitzenden Edmund Stoiber (CSU) und Angela Merkel (CDU) sowie an die betreffenden Ressortminister wenden.

 

Landshuter,Straubinger, 26.Juni 2004

Aus dem Berliner Reichstag
Therapiefrage unbeantwortet:Bürgerversicherung oder Kopfpauschale? Von Rudi Wais Nach der Reform ist vor der Reform. Obwohl die Operateure von Koalition und Union mit der Praxisgebühr, höheren Zuzahlungen und einer Reihe weiterer Änderungen tief ins deutsche Gesundheitssystem hinein geschnitten haben, ist die wichtigste Therapiefrage noch unbeantwortet: Bürgerversicherung oder Kopfpauschale? Sowohl bei SPD und Grünen als auch bei CDU und CSU wird in den nächsten Wochen viel diskutiert, gerechnet und geplant. Nachfolgend ein Überblick über den Stand der sich allmählich aufhellenden Diskussion:

Bürgerversicherung:Nach dem Willen der rot-grünen Regierungskoalition sollen in die gesetzliche Krankenversicherung in Zukunft alle Bürger, also auch Beamte, Freiberufler und Selbstständige einzahlen. Die Höhe der Beiträge hinge dabei nicht alleine vom Verdienst ab, sondern auch von möglichen Zusatzeinnahmen. Versicherte müssten also auch auf Zins- und Mieteinkünfte oder Spekulationsgewinne Kassenbeiträge bezahlen. Das Problem: Falls die geltende Beitragsbemessungsgrenze von knapp 3500 Euro monatlich in Kraft bleibt, wären Gut- und Besserverdiener im Vorteil: Jeder Euro, den sie über diesen Betrag hinaus verdienen, wäre dem Zugriff der Kassen entzogen. Im Gespräch sind daher im Moment zwei verschiedene Beitragsgrenzen: Eine für den Lohn und eine weitere für Kapitalerträge. Damit würde für höhere Einkommen die Beitragspflicht nicht schon bei 3 5 0 0 Euro enden.

Alternativ dazu diskutiert die SPD auch eine Art Sparerfreibetrag. Dabei blieben Zusatzeinkünfte bis zu einer gewissen Höhe grundsätzlich beitragsfrei. Noch unklar ist auch die künftige Rolle der privaten Krankenkassen. Die radikalste Variante, bei der ihre Mitglieder ebenfalls in die Bürgerversicherung wechseln und die Privatkassen nur noch Zusatzpolicen für Klinikaufenthalte etc. anbieten dürfen, ist politisch kaum durchzusetzen. Möglicherweise werden Privatversicherte aber eine Art Wahlrecht erhalten: Denkbar wäre auch, dass Beamte oder Selbstständige erst ab einem bestimmten Stichtag in die Bürgerversicherung müssen, alle anderen könnten wie bisher privat versichert bleiben. Dieses Modell aber hat einen großen Nachteil: Es spielt in den ersten Jahren kaum zusätzliche Beiträge ein. Im Extremfall könnte die Bürgerversicherung sogar teurer werden als das gegenwärtige System: Wenn die Jungen und Gesunden, die bisher bei Privatkassen versichert sind, dort bleiben können und nur Ältere oder Kranke den Weg zurück zur gesetzlichen Kasse finden.

Kopfpauschale:Diesen Begriff hört CDU-Chefin Angela Merkel nicht so gerne. Sie spricht lieber von "Gesundheitsprämie". Kern des Modells: Der Beitrag zur Krankenkasse richtet sich nicht mehr nach dem Einkommen des Versicherten und entlastet so die Arbeitgeber, sondern ist für alle gleich: Ob nun Sekretärin oder Vorstandschef, Pförtner oder Professor: Jeder würde eine feste Pauschale bezahlen, die ursprünglich bei 264 Euro pro Kopf und Monat liegen sollte - und zwar auch für den Ehepartner, der nicht mehr beitragsfrei mitversichert wäre. Geringverdiener sollen einen Teil ihrer Kosten allerdings vom Finanzamt erstattet bekommen.

Nach heftigen Protesten, nicht zuletzt aus der CSU, hat Angela Merkel inzwischen jedoch nachgebessert: So soll die Pauschale nun nur noch 180 bis 200 Euro betragen, für Kinder wäre die Hälfte fällig - was allerdings eine aus Steuern gespeiste "Familienkasse" übernehmen würde. Wie die SPD bei der Bürgerversicherung hat aber auch die Union ein Gerechtigkeitsproblem: Die Kopfpauschale entlastet vor allem Höherverdiener. Alle anderen, darunter viele Familien, in denen nur ein Elternteil verdient, stehen tendenziell schlechter da. CSU-Vize Horst Seehofer hält die Gesundheitsprämie deshalb für einen "Sympathiekiller".

Zumindest strategisch ist die Koalition im Moment im Vorteil. SPD und Grüne stehen geschlossen hinter der Bürgerversicherung, ihre Pläne unterscheiden sich nur in Nuancen. Zwischen CDU und CSU dagegen tobt noch immer ein heftiger Streit ums Grundsätzliche: Wie viel an Reform will und kann die Union den Deutschen überhaupt zumuten?.Ärzte massiv gegen BürgerversicherungUnterdessen haben sich führende Ärztevertreter massiv gegen Änderungen an ihrem Honorarsystem durch eine Bürgerversicherung gewandt. Viele Ärzte würden durch die geplanten Maßnahmen in ihrer Existenz gefährdet, sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Hans-Jürgen Thomas. Nach Einführung der Bürgerversicherung soll nach Vorstellungen der zuständigen SPD-Kommission für Privatpatienten weniger abgerechnet werden. Derzeit berechnen niedergelassene Ärzte Privatversicherten in der Regel das 2,3fache des Satzes der gesetzlichen Krankenkassen. Mit einer Änderung würde eine Milliarde Euro aus der ambulanten Versorgung abgezogen, sagte der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Maximilian Zollner. Dadurch entstünden "Wartezeiten, wie wir sie aus England kennen", sagte Zollner. Änderungen sollen auch auf die Kassenärztlichen Vereinigungen (KBV) zukommen. Statt mit ihnen sollen gesetzliche und private Krankenkassen verstärkt Direktverträge mit Ärzten schließen. Der Vize-Vorsitzende der KBV, Leonhard Hansen, kritisierte dies scharf. Allein mit Einzel- oder Gruppenverträgen zwischen Krankenkassen und Ärzten sei die gesundheitliche Versorgung in der bisherigen Qualität nicht aufrecht zu halten. "Wer am Stuhl der Kassenärztlichen Vereinigungen sägt, erklärt der Ärzteschaft den Krieg", sagte Hansen.

Der Vorsitzende der Grünen Jugend, Stephan Schilling, kritisierte insbesondere den Hartmannbund-Chef Thomas. Ihm schienen die Interessen der 90 Prozent Mitglieder der Gesetzlichen Krankenkassen "vollkommen egal zu sein, wenn er sich einseitig als Lobby-Gruppe der Privaten Krankenversicherer positioniert", sagte Schilling. Schilling verlangt mit anderen Grünen eine drastische Heraufsetzung der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Krankenversicherung. Damit würde der Zustrom zur Privatversicherung begrenzt. Bei fahrenden Grünen und der Mehrheit in deren Arbeitsgruppe für die Bürgerversicherung findet dieser Vorschlag allerdings keine Gegenliebe. (dpa)