CHEManager 16/2004
Patentstrategien in der chemischen Industrie
Einsatzmöglichkeiten von "Schutzrechts-Tools" zur Unterstützung von Unternehmensstrategien
Vor dem Hintergrund der Globalisierung, die auch vor Unternehmen der chemischen Industrie nicht halt macht, erhebt sich immer öfter die Frage: wie kann ein Unternehmen auf dem Weltmarkt noch attraktiver gemacht werden, bzw. – aus der Sicht des Anbieters – wie kann der Wert eines Unternehmens noch weiter gesteigert werden. Ein Vergleich erfolgreicher Unternehmen mit sog. "Under-performen" zeigt, daß die Patentstrategie auf dem Weg zum Erfolg heute eine entscheidende Rolle spielt.
Was ist das Geheimnis einer erfolgreichen Patentstrategie? In allererster Linie: Unterstützung von ganz oben. Ohne den Rückhalt und auch die Überzeugung der Geschäftsleitung, dass es einer aktiven Patentstrategie bedarf, ist diese nicht zu etablieren. So banal es auch klingt, eine Patentstrategie erfordert weiterhin die Existenz anderer Strategien, in die sich dann die Patentstrategie einpasst: z. B. eine F&E-Strategie, eine Marketingstrategie und vor allem eine Unternehmensstrategie. Wenn die Unternehmensstrategie fehlt (das gibt es durchaus) oder nicht .nach unten kommuniziert wird, schießt der Patentstratege quasi mit Schrot auf sein Ziel, nach dem Motto: ein bisschen wird schon hängen bleiben; aber der durchschlagende Erfolg wird ausbleiben.
Eine besondere Rolle im Rahmen der Unternehmensstrategie nimmt dabei die Innovationsstrategie ein. Das Ziel jeder Innovation ist die Generierung von Geld aus Wissen. Dieses Wissen wiederum entsteht durch Einsatz von Geld im F&E-Prozess. Patente schützen in diesem Zusammenhang das firmeninterne Wissen gegen unbefugte Nutzung. Sie sichern die Inventionen und Investitionen des Unternehmens und sind entscheidend für die Kommerzialisierung der Innovation.
Vorteile durch Patente
Die Vorteile des Patentes liegen also auf der Hand:
Sicherung einer staatlich geschützten
Monopolstellung Schlüssel für den Zugang zu neuen Märkten Steigern des Unternehmenswerts
(Stichworte: immaterielle Güter, Verhandlungsmasse).
Zwang des Wettbewerbers zum "design around".
Darüber hinaus stellen Patente die Innovationskraft des Unternehmens nach außen dar und sind
hilfreiche Tools im Marketing. Wo also ist der Haken?
Patente kosten Geld, viel Geld und diese Ausgabe muss von der Unternehmensleitung gewollt sein.
Hier setzt auch schon ein wichtiger Strategieaspekt an: Kontrolle der Ausgaben; beispielsweise mit
Hilfe von Bewertungsmasken, die dem Management Entscheidungshilfen für die
Erstanmeldung/Aufrechterhaltung oder das Fallenlassen von Schutzrechten geben. Vorteilhaft sind
auch transparente Darstellungen des eigenen Patentportfolios, die es der Geschäftsleitung einfacher
machen, schnell die richtige Entscheidung zu treffen. Solche Darstellungen können z. B.
Aufschlüsselungen der Kosten nach
Produkten (welche Produkte verursachen welche Kosten?),
Patentsachgebieten (Patente, Marken, Gebrauchsmuster etc.),
Kostenarten (f. Anmeldung, Einspr,üche, Jahresgebühren etc.),
Altersstruktur oder Umsatz pro Anzahl genutzter Schutzrechte umfassen.
Entscheidungszeitpunkte
Unabdingbar für ein effektives Patentmanagement ist dabei das richtige Setzen von Zeitpunkten für
Entscheidungen. Wenn beispielsweise ein Gremium über Aufrechterhaltung oder Fallenlassen von
Patentanrneldungen aus dem Portfolio entscheiden soll, ist es falsch, dieses Gremium einfach nur
kalendermäßig in regelmäßigen Abständen einzuberufen. Patentkosten richten sich nicht nach dem
Kalender des Managements. Patentkosten entstehen in diskreten (feststehenden) Abständen vom
jeweiligen Anmeldetag des Schutzrechts. Jedes Schutzrecht hat seine individuellen
Entscheidungsdaten. Um nur ein Beispiel zu nennen: 12 Monate nach der Erstanmeldung muss
entschieden werden, ob, und wenn ja, wo Auslandsanmeldungen hinterlegt werden sollen (Ablauf
des Prioritätsjahres). Wenn nun das Entscheidungsgremium erst nach Ablauf dieser Frist tagt, muss
die entsprechende Anmeldung zur Wahrung der Interessen bereits im Ausland angemeldet worden
sein, und die entsprechenden Kosten sind bereits entstanden; eine Entscheidung des Gremiums,
diese Anmeldung fallen zu lassen, ist nun obsolet. In den meisten Fällen werden die Kosten nicht
zurückerstattet. Kritische und damit auch meist kostenträchtige Daten im Leben einer
Patentanmeldung sind:
Vor der Erstanmeldung (soll die Erfindung Überhaupt angemeldet werden?)
vor dem Ablauf des Prioritätsjahres (hier entstehen Übersetzungskosten, Auslandsanwalts- kosten,
weitere Amtsgebühren)
vor dem Ende der internationalen Phase (Kosten wie vor Ende des Prioritätsjahres) bzw.
vor der Erteilung in Europa (Übersetzungs- und Anwaltskosten für die Benennungsländer)
ab dem 12.-15. Jahr (in vielen Ländern steigen die Jahresgebühren gegen Ende der Patentlauf- zeit
extrem an).
Wenn also ein Gremium über das Portfolio entscheiden soll, sollten diesem nur die Fälle vorgelegt werden, die im Entscheidungszeitraum einen kritischen Zeitpunkt erreichen. Entscheidungskriterien für ein solches Gremium könnte zum Beispiel der Lebenszyklus eines Produktes oder Verfahrens sein. Für einen Blockbuster ist man sicherlich eher bereit, die nötigen Gelder in die Hand zu nehmen wie für ein Produkt am Ende des Lebenszyklusses. Bei einer Cash-Cow wird man eher defensiv vorgehen und sich auf das Einreichen von Einsprüchen oder die Lizenznahme beispielsweise für neue Anwendungen beschränken wohingegen neue Produkte am Anfang des Lebenszyklusses eine sehr intensive Betreuung mit ständiger Rückkopplung zum Markt und der Intelectual Property-Situation (IP = Intelectual Property) des Wettbewerbers erfordern.
Kostenkontrolle
Noch wichtiger wird die Kostenkontrolle, wenn es denn tatsächlich einmal zu einem Rechtsstreit kommt. Insbesondere bei einem Rechtsstreit in den USA sind monatliche Anwaltsrechnungen von mehreren hunderttausend US-$ keine Seltenheit. Sinnvoll kontrolieren lässt sich ein solches Verfahren dann nur vor Ort; d. h. es zahlt sich für ein europäisches Unternehmen auf jeden Fall aus, für die Dauer des Rechtsstreits (oder zumindest für die "heiße Phase" der Discovery und des Pretrials) einen Mitarbeiter in die beauftragte US-Kanzlei zu delegieren, der an allen Meetings teilnimmt und diese bevorzugt auch ansetzt und leitet.
Wettbewerbsbeobachtung und Patentbewerbung
Um Herr des Geschehens zu bleiben ist die genaue Kenntnis der eigenen Patentlage und die des Wettbewerbers Grundvoraussetzung des erfolgreichen Patentmanagements. Dabei geht es nicht nur um die Kenntnis von Art und Umfang der Schutzrechte sondern auch um deren Bewertung. Zum Beispiel kann es entscheidend für den kommerziellen Erfolg eines Produktes sein, eine europäische Patentanmeldung des Wettbewerbers als störend für das eigene Geschäft zu identifizieren und die Einspruchsfrist bei der Erteilung einer solchen Anmeldung von nur neun Monaten nicht zu verpassen.Neben einfachen Modellen zur Bewertung von Patenten wie z. B. die Einteilung in Basis-, Abhängige- und Nischenpatente oder in Patente, welche aktuelle oder möglicherweise zukünftige Produkte schützen oder ggf. gegenwärtig keinen definerbaren Nutzen haben stehen ausgeklügelte Tools zur Portfoliobewertung wie beispielsweise die Einteilung in Technologiefelder nach Dr. H. Ernst zur Verfügung. Diese Tools und die Anwendung von Kennzahlen helfen, die teilweise sehr komplexen Zusammenhänge zu visualisieren und sie für die Geschäftsführung transparent zu machen.
Erfolgsfaktoren
Wichtigste Partner des Patentmanagers im Unternehmen sind daher neben dem Erfinder, den Anwälten und dem Geldgeber (Geschäftsführung) ein guter Recherche- und Überwachungsdienst sowie diejenigen Stellen im Haus, welche bei der Bewertung von IP herangezogen werden sollten z.B. Marketing, F&E oder Verfahrenstechnik.
Eine erfolgreiche Patentstrategie in % der chemischen Industrie lebt also in erster Linie von einem guten Schnittstellenmanagement, durch welches die verfügbaren Ressourcen (Geld, Ideen, interne u. externe Partner) in geeigneter Weise zur Flankierung der Unternehmensziele eingesetzt werden.
R.Kiehl: Siehe dazu weiteres unter www.rki-i.com (Wirtschaft/Invest und Publ): Zu klein, zu neu! – Konzerne als Innovationskiller, usw.: Es ist also unmöglich eine neue Firma zu gründen...