Straubinger, 18.11.2005
Kompromiss bei der Chemikalien-Richtlinie
Europaparlament reduziert den bürokratischen Aufwand – Umweltschützer enttäuscht

Straßburg. (dpa/AP) Das Europaparlament hat das umstrittene EU-Chemikalienrecht REACH in wichtigen Teilen zu Gunsten der Industrie verändert. In einer mehr als zweistündigen Abstimmung reduzierten die Abgeordneten am Donnerstag in Straßburg die Anforderungen an die Wirtschaft zur Datenerhebung, die im ursprünglichen Vorschlag der Kommission vorgesehen waren. Damit soll vor allem der Mittelstand vor zu hohen Kosten und zu viel Bürokratie geschätzt werden. Ziel der Verordnung ist es, den Schutz von Verbrauchern und Umwelt vor Chemikalien zu verbessern.

Der europäische Mittelstandsdachverband reagierte positiv auf die Entscheidung. Man könne mit dem Kompromiss gut leben, sagte der deutsche und europäische Mittelstandspräsident Mario Ohoven. Der IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt sprach von einem "guten Tag für Deutschland und Europa". Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) bezeichnete die Abstimmung als widersprüchlich.

Hingegen zeigte sich die Europäische Verbraucherorganisation beuc "tief enttäuscht". Eine genaue Untersuchung der gefährlichsten Substanzen sei nun nicht möglich. Enttäuscht waren auch die Umwelt- und Frauenverbände BUND, Greenpeace und WECF. Die chemische Industrie habe sich weitgehend mit ihren Zielen durchgesetzt, hieß es in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Der Schutz von Frauen, Männern, Kindern und Umwelt dürf'en aber nicht kurzsichtigen Interessen von Chemieproduzenten geopfert werden.

Bei dem Votum in erster Lesung stimmten 407 Abgeordnete für den veränderten Gesetzestext, 155 dagegen. Die Mitgliedsländer müssen dem Gesetz noch zustimmen. In einigen wesentlichen Punkten ist der Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft dem Parlamentspapier sehr ähnlich. Dennoch rechnet der sozialistische italienische Parlamentsberichterstatter Guido Sacconi mit einer zweiten Lesung in der Volksvertretung: "Ich könnte mir vorstellen, dass das Gesetz 2007 in Kraft tritt", sagte er nach dem Votum am Donnerstag.

REACH (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien) verlangt von den Unternehmen, binnen elf Jahren umfassende Datensätze von rund 30000 Stoffen zu erheben, die vor 1981 auf den Markt kamen. Sie werden zum Teil seit Jahrzehnten verwendet, ohne jemals genau untersucht worden zu sein. Eine noch zu schaffende EU-Behörde wird die Daten prüfen und die Substanzen gegebenenfalls zulassen.

Im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag hat das Parlament die Datenmengen aber vor allem in kleinen mittelstandsrelevanten Produktionsmengen deutlich gesenkt. Grüne, Linkssozialisten und Verbraucherverbände sehen darin eine untragbare Verwässerung von REACH. "Für fast 40 Prozent der Substanzen müssen die Unternehmen nicht ausreichend Daten zur Verfügung stellen. Dadurch steigt die Gefahr, dass giftige Substanzen nicht entdeckt werden", betonte die Europaabgeordnete Hiltrud Breyer von den Grünen.

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