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Landshuter,Straubinger,28.Aug 2004: LEITARTIKEL

DEMONTAGE DER DEMOKRATIE

VON FRIDOLIN M. RÜB

Nicht einmal mehr die Hälfte der Deutschen ist zufrieden mit der Gesellschaft. Besonders hoch ist der Anteil der Unzufriedenen in Ostdeutschland. Dies geht aus einem am Montag in Berlin vom Statistischen Bundesamt und Sozialwissenschaftlern vorgestellten "Datenreport 2004" hervor.

Besonders krasse Ost-West-Unterschiede zeigen sich bei der Einstellung zur Demokratie. Jeder zweite Ostdeutsche hält die demokratische Staatsform nicht für die beste. Ein Viertel meint sogar, es gebe eine bessere. 76 Prozent der Ostdeutschen halten den Sozialismus für eine gute Idee, die in der DDR nur schlecht ausgeführt wurde. Im Westen bejahen 51 Prozent diese Frage. Die Daten stammen aus 2002. "Eine aktuellere Bewertung könnte sogar noch schlechter ausfallen", heißt es lapidar in dem Report. Dem wäre sicher so, denn die in den vergangenen zwei Jahren erfolgten Einschnitte in die sozialen Besitzstände haben die Politikverdrossenheit weiter wachsen lassen.

Ein reichlich düsteres Bild von der Zukunft der parlamentarischen Demokratie hatte bereits 2001 der in London lebende Soziologe Lord Ralf Dahrendorf gezeichnet. Der einstige Hoffnungsträger der FDP glaubt zwar, wie er in einer Rede vor der Friedrich Naumann-Stiftung versicherte, nach wie vor "an die lebendige Kraft der repräsentativen Demokratie", er zweifle jedoch, ob die Parlamente ihre klassische Funktion, Veränderungen ohne Gewalt zu ermöglichen", noch wahrzunehmen im Stande seien. Von zwei Seiten droht dem Parlamentarismus Gefahr, sagt Dahrendorf, der seit heute Mitglied des britischen Oberhauses ist: Durch die zunehmende Popularisierung und Internationalisierung der Politik.

Dass die weltweit operierenden multinationalen Konzerne und Großbanken, deren Bilanzsummen oft genug höher sind als die Etats selbst mittelgroßer Staaten, ungerührt ein ethikfreies, nur auf Gewinnmaximierung ausgerichtetes Eigenleben führen, ist sattsam bekannt. Ob Demokratie oder Diktatur, wenn der Profit stimmt ist das - wie die Geschichte lehrt für die Herren in den Vorstandsetagen Jacke wie Hose. Großbanken und Konzerne minimieren - es lebe die Globalisierung! - ihre Steuerschuld daheim in Richtung Null und erklären das damit, dass sie - welch Zufall - die zu versteuernden Gewinne immer dort erzielen, wo der Fiskus weniger zugriffsfreudig ist als hierzulande. Da müssen sich die Arbeiter, die Angestellten und die Handwerksmeister, alle die halt, die dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, wie die Deppen der Nation vorkommen. Zusätzlich erschüttert wird das ohnehin nicht sehr ausgeprägte Vertrauen in den demokratischen Staat durch Polit-Skandale und die Raffke-Mentalität einer Manager-Kaste, die sich nur dem eigenen Profit und dem "shareholder value" verpflichtet fühlt.

Noch funktionieren die demokratischen Mechanismen halbwegs leidlich. Doch die Gefahren, die ihr durch die "Popularisierung der Politik" drohen, können und dürfen nicht länger bagatellisiert werden. Immer häufiger versuchen die Regierungen am Parlament vorbei auf angebliche "Volksmeinungen" einzugehen, melden Handlungsbedarf an und verkünden Maßnahmenkataloge.

Umfragen oder Protestaktionen lautstarker Gruppen werden von den Regierungen ernster genommen als Debatten im Parlament. Und die wiederum geraten - weil mit stetem Blick auf den "Großen Bruder" Fernsehen gehalten - zu wohlfeilen Seicht-Reden für die TV-Galerie draußen. So entsteht eine Art "Situationspolitik" ohne Dauer, nur so lange gültig, bis die Situation sich wieder geändert hat, bis wieder eine neue Sau durch das Dorf getrieben wird. So wird der Begriff von der "Nachhaltigkeit" für die Politiker zu einem Fremdwort. Originalton Dahrendorf: "Regierungen gefällt es, direkt vor das Volk zu treten. Manchmal bin ich geneigt, von Wegwerfpolitik zu reden."

Die Parlamentsdebatten würden zudem immer kürzer, klagt Dahrendorf. Im britischen Unterhaus lasse die Regierung meist sehr schnell die "Guillotine der Abstimmung fallen". In Großbritannien habe sich inzwischen paradoxerweise das (nicht gewählte) machtlose Oberhaus mit seinen gründlicheren Diskussionen zur "eigentlichen Legitimation" des Regierungshandelns entwickelt.

Im Freistaat Bayern besteht jedoch diese "Gefahr" der gründlichen und abwägenden Debatte seit der Abschaffung des Senats nicht mehr. "Schlanker Staat ohne Senat" hieß der Schlachtruf der Gegner der zweiten Kammer. Den Bayerischen Senat, in dem "alle gesellschaftlich relevanten Gruppen" vertreten waren und sich jenseits parteipolitischer Aufgeregtheit - gutachterlich an der Landespolitik beteiligten, gibt es nicht mehr - wo aber bleibt der von seinen Gegnern versprochene Preis, der "schlanke Staat"?

Die wie eine Pest grassierende "Popularisierung der Politik" macht auch vor den Parteien nicht Halt - zu deren Schaden und damit zum Schaden der Demokratie. Wie weit diese Popularisierung bereits die Parteienlandschaft prägt, wird an ihren Führungskräften sichtbar: Die programmatische Unschärfe einer Partei wird immer dann augenfällig, wenn ihr Spitzenleute mit Profil fehlen.

Dass die CDU nicht viel mehr als ein reiner Kanzlerwahlverein mit dem hohen C als-Dach war, blieb weitgehend unbemerkt, solange Helmut Kohl an der Spitze stand. Nicht viel anders verhält es sich mit Edmund Stoiber und seiner CSU, die ihr - einst profiliertes - Grundsatzprogramm zu einem politischen Versandhauskatalog für jedermann verkommen ließ.

Und auch die Botschaft des Medien-Kanzlers Gerhard Schröder lautete einst, nicht auf seine Partei, die SPD, sondern auf ihn, den populären Regierungschef komme es an. Nun da der Lack ab ist, der einstige Polit-Sonnyboy mit Eiern beworfen wird, ergeht es den Sozialdemokraten so, wie in Andersens Märchen dem Kaiser in seinen neuen Kleidern.

Mittlerweile ist jedoch auch der Sympathievorschuss, den die" unverbrauchte" Angela Merkel bei ihrer Wahl zur CDU-Chefin bekommen hatte, aufgebraucht. Jetzt wird sie mit der üblichen Polit-Elle gemessen. Und da sie ihrer CDU keine klare, in sich schlüssige politische Marschrichtung vorgeben konnte, die schwarzen Länderfürsten deshalb Politik nach Gutsherrenart betreiben, bröckeln die Umfragewerte langsam aber stetig ab. So ist auch der Fall Merkel ein Lehrstück dafür, wie fatal sich für eine Partei das Fehlen eines überzeugenden Programms auswirken kann.

Ähnliches gilt für die CSU. Was wäre sie ohne Stoiber? Wenn dessen Stern sinken sollte, wäre es vermutlich schnell vorbei mit der Herrlichkeit der Alleinherrschaft im weiß-blauen Freistaat.

Überrollt von einer ständig steigenden Informationsflut und angesichts eines multimedial präsentierten Polit-Aktionismus, der nur kleinmütige Reformen mit kurzer Haltbarkeit zeitigt, fällen leider immer mehr Wähler das EinfachUrteil: Die können es nicht!

Die Popularisierung der Politik fordert ihren Tribut. Bezahlt wird mit Demontage der Demokratie. Der Unterschied zwischen Ossis und Wessis? Im Osten schneller.

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