GASTKOMMENTAR

Dramatische Erblast

VON MICHAEL GLOS

Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag

Nach der letzten Bundestagswahl proklamierten Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Clement ein "rot-grünes Jahrzehnt". Knapp drei Jahre später steht Rot-Grün vor dem Ende. Nach einer historisch beispiellosen Reihe von Wahlniederlagen bei Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen und nach dem Verzicht auf das Amt des SPD-Vorsitzenden betreibt Gerhard Schröder die Flucht in Neuwahlen. Ganz offensichtlich will er für seine Partei noch retten, was zu retten ist. Ohne sofortige Neuwahlen befürchtet er völlig zu Recht eine Fortsetzung seiner Selbstdemontage. und einen sich beschleunigenden Niedergang der SPD. Angesichts niederschmetternder Umfragewerte hofft Schröder, vielleicht noch auf dem Umweg einer großen Koalition ein vollkommenes Desaster seiner Partei zu verhindern. Tatsächlich ist jedoch die Flucht in Neuwahlen das Eingeständnis des politischen Scheiterns von Rot-Grün auf der ganzen Linie. Diejenigen, die vor knapp sieben Jahren antraten, um das moderne, wirtschaftlich blühende und sozial gerechte Deutschland zu schaffen, stehen heute vor einem unvorstellbaren Scherbenhaufen. Alle von Rot-Grün nach der Wende 1998 verfolgten Ziele wurden verfehlt. Ein sich selbst tragender Aufschwung ist nicht in Sicht, obwohl die Weltwirtschaft um uns herum eine ausgeprägte Hochkonjunktur verzeichnet. Die Jahr für Jahr versprochene Wende auf dem Arbeitsmarkt ist ausgeblieben, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat bis zuletzt abgenommen. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen sollte zum Markenzeichen rot-grüner Politik werden, tatsächlich sind die öffentlichen Finanzen völlig aus dem Ruder gelaufen. Trotz erster Reformen ist die Finanzlage der sozialen Sicherungssysteme weiterhin dramatisch, die Sozialversicherungsbeiträge liegen nach wie vor deutlich über der 40%-Grenze. In Parteiprogrammen stellt sich Rot-Grün als Hüter der sozialen Gerechtigkeit dar, in der Realität haben jedoch die Einkommens- und Vermögensdifferenzen erheblich zugenommen.

Die Unionsparteien begrüßen den von Schröder beschnittenen Weg zu Neuwahlen. Voraussichtlich in der zweiten Septemberhälfte werden die Wähler darüber entscheiden, ob Deutschland weiterhin von Rot-Grün oder aber von einer Koalition der bürgerlichen Mitte regiert wird. Wir, CSU und CDU, sind bereit, in der schwersten Krise unseres Landes die politische Verantwortung zu übernehmen. Unser Land braucht den Wechsel.

In den Bundesländern, in denen die Unionsparteien die Regierung stellen, ist die wirtschaftliche und soziale Lage eindeutig besser als in SPD-regierten Ländern. Doch wenn in Berlin makroökonomisch falsche Weichenstellungen vorgenommen werden, dann können sich dem auch die unionsregierten Länder mit einer noch so guten Politik nicht entziehen. Seit rund drei Jahren leidet Deutschland primär nicht an einem ökonomischen, sondern an einem psychologischen Problem. Dieses Problem heißt Verunsicherung. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, die tief sitzende Verunsicherung zu überwinden, um so wieder Zuversicht und Zukunftsvertrauen zu schaffen.

Unser Land bedarf endlich wieder politischer Führung. Die Bürgerinnen und Bürger verlangen zu Recht Wahrheit und Klarheit. Verlässlichkeit muss wieder zur Leitschnur politischen Handelns werden. Deutschland braucht ein Ende der Flickschusterei, des permanenten Nachbesserns und des ewigen Infragestellens einmal gefasster Beschlüsse, wie wir das bei der Umsetzung der Agenda 2010 und jüngst bei der Umsetzung des sog. "Job-Gipfels" erleben mussten.

Will Deutschland wieder Anschluss an die Spitzengruppe finden, werden wir um einschneidende Maßnahmen nicht herumkommen. Spielräume für neue soziale Wohltaten und deutliche Einkommenssteigerungen bestehen auf absehbare Zeit nicht. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, wieder mehr zu leisten und länger zu arbeiten.

Deutschland sitzt in der Schuldenfalle. Finanzielle Spielräume für eine aktive Gestaltungspolitik bestehen nicht mehr. Die Staatsfinanzen sind ausgelaugt. Deshalb liegt der Schlüssel zu einer Wiedergewinnung politischer Handlungsfähigkeit in der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Nur durch einen schonungslosen Kassensturz und eine Wiedergesundung der Staatsfinanzen wird es möglich sein, eine große Steuerreform mit einer spürbaren Nettoentlastung durchzuführen, die Familien mit Kindern gezielt zu entlasten und die Investitionen in den Bereichen Bildung, Forschung und Infrastruktur anzuheben. CSU und CDU gehen mit der frisch gekürten Kanzlerkandidatin Angela Merkel beherzt in die bevorstehende Bundestagswahl. In den kommenden Wochen geht es darum, die Menschen von der Notwendigkeit eines Neuanfangs in Berlin zu überzeugen. Je schneller das rot-grüne Desaster beendet wird, umso besser für Deutschland. Wir wissen, welche dramatische Erblast Rot-Grün hinterlässt und wie schwierig es werden wird, die Wirtschaft anzukurbeln, die Massenarbeitslosigkeit zurückzuführen und die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Wir werden keine Illusionen wecken, sondern mit Geradlinigkeit und Geschlossenheit die vor uns liegenden Probleme anpacken.

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