Willkommen im Club! Die Erweiterung

Die Folgen der europäischen Wende

Das Ende der Sowjetunion und die damit verbundenen Folgen brachten für die nach dem 11. Weltkrieg von der SU in das sozialistische Lager gezwungenen Staaten die volle nationale Selbstständigkeit. Außerdem entstanden neue Staaten. Gleichzeitig wurden durch diese Entwicklung die Perspektive einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union für diese Staaten und damit die endgültige Überwindung der Teilung Europas zum Gegenstand konkreter Politik.

Der Transformationsprozess

Von Beginn an war klar, dass der entscheidende Schritt für die Aufnahme in die EU ein Umwandlungsprozess bisher nie gekannten Ausmaßes (Transformationsprozess) sein würde, der das politische Systen-4 die politische Kultur und die Wirtschaft erfassen musste. Es ist nicht zu bestreiten, dass Warschau, Budapest und Prag ebenso zu Europa gehören wie Paris, Berlin oder Madrid. Es wurde aber auch sehr schnell deutlich, dass vor allem die Herrschaft des Marxismus-Leninismus und der Sowjetunion in diesen Staaten viele Strukturen des gemeinsamen europäischen Erbes zerstört hatte, die wieder aufgebaut werden mussten. Hinzu kam, dass die Volkswirtschaften dieser Staaten wegen des Versagens der Zentralverwaltungswirtschaft und der auf die Bedürfnisse der Sowjetunion ausgerichteten Wirtschaft mit der wirtschaftlichen Leistungskraft marktwirtschaftlich strukturierten Volkswirtschaften in der EU nicht konkurrieren konnten.

Die Aufnahmekriterien

Vor diesem Hintergrund legten 1993 in Kopenhagen und 1995 in Madrid die Regierungen der EU der 15 die Bedingungen fest, deren Erfüllung als Voraussetzung für einen Beitritt neuer Mitglieder festgesetzt wurde:

. Ein politisches System westlicher Demokratie, das Rechtsstaatlichkeit,

Menschenrechte und Minderheitenschutz Garantiert

·Eine funktionierende Marktwirtschaft und eine Volkswirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der EU gewachsen ist

·Die Übernahme und Anwendung des gesamten Rechtsbestandes der EU ("Acquis communautaire")

Vorbeitrittshilfen

Zur Vorbereitung eines möglichen Beitritts stellte die EU Vorbeitrittshilfen zur Verfügung. Über drei spezielle Programme werden schwerpunktmäßig die Schritte zur Übernahme der Rechtsvorschriften der EU, der Aufbau einer effizienten Verwaltung und die Modernisierung der Landwirtschaft unterstützt. Allerdings müssen die Empfängerstaaten bei der Finanzierung der jeweiligen Projekte aus ihren Haushalten ebenfalls Mittel zur Verfügung stellen (Prinzip der Kofinanzierung). Die Summe der von der EU von 1990 bis 2003 zur Verfügung gestellten Mittel beträgt rund 32 Mrd. Euro. Diese Mittel konnten jedoch wegen der immer noch teilweise vorhandenen unzureichenden Verwaltungsstrukturen in den Beitrittsländern und wegen fehlender nationaler Haushaltsmittel zur Kofinanzierung nicht vollständig abgerufen werden. Zusätzlich hat die Europäische Investitionsbank (S-S. ) bis 2003 27 Mrd. Euro als Kredite bereit gestellt.

Neue und künftige Mitglieder

Als Ergebnis der Beitrittsverhandlungen sind zum 1. Mai 2004 folgende neuen Mitglieder der EU beigetreten: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. Die Beitrittsverträge waren am 16. April 2003 in Athen unterzeichnet worden.

Mit Bulgarien konnten die Verhandlungen 2004 abgeschlossen werden.

Mit Rumänien werden die Verhandlungen mit dem Ziel des Beitritts 2007 fortgesetzt.

Kroatien hat im Februar 2003 seinen Aufnahmeantrag vorgelegt, Auf dem Juni-Gipfel 2004 wurde beschlossen, die Beitrittsverhandlungen am 17. März 2005 zu beginnen. Voraussetzung ist allerdings eine zufrieden stellende Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Internationalen Haager Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien.

Makedonien hat einen Aufnahmeantrag vorgelegt. Eine Stellungsnahme der Kommission liegt noch nicht vor.

Ein Blick auf die Landkarte Europas zeigt, dass eine Reihe von Staaten unter dem Aspekt der Zugehörigkeit zu Europa mittelfristig als Mitglieder in Betracht gezogen werden müssen. Unter politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten zerfallen diese Staaten in zwei Gruppen: Island, Norwegen und die Schweiz einerseits; Albanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro, ggf Moldawien und die Ukraine andererseits.

Nach der Entscheidung der EU der 25, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (s. S. ....) zu beginnen und nach den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine zeichnet sich ein Sonderverhältnis der Ukraine zur EU ab. Es kommt im Zehnpunkte-Vorschlag für einen raschen Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zum Ausdruck. Dieser Vorschlag ist allerdings dem neu gewählten Präsidenten zu wenig. Er möchte ab 2007 mit der EU über einen Beitritt verhandeln.

Die Einführung des Euro in den neuen Mitgliedstaaten

Mit dem Beitritt zur EU werden die neuen Mitgliedstaaten aber nicht gleichzeitig auch den Euro einfahren. Sie sind zwar aufgrund der Beitrittsverträge zu seiner Einführung verpflichtet, weil die Wirtschafts- und Währungsunion Bestandteil des Rechtsbestandes der EU ist. Sie können jedoch den Euro erst einführen, wenn sie die im Vertrag von Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien erfüllen. Schon heute zeichnet sich ab, dass der enorme Finanzierungsbedarf der neuen Mitgliedstaaten zur Bewältigung des Transformationsprozesses bestenfalls mittelfristig eine jährliche Neuverschuldung von 3% des BEP oder weniger bzw. eine Gesamtverschuldung von 60% des BIP oder weniger erwarten lässt. In absehbarer Zeit dürften wohl nur Estland und Slowenien die Kriterien erfüllen.

Übergangsregelungen

In den Beitrittsverhandlungen wurden eine Reihe von Übergangsregelungen vereinbart, um den neuen Mitgliedern bestimmte Fristen für die Übernahme des geltenden EU-Rechts einzuräumen (Umweltrecht) oder besondere Problemlagen in den alten Mitgliedsstaaten zu entschärfen (Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit).

Die Finanzierung der Erweiterung

Für den Zeitraum vom 1. Mai 2004 bis zum 31.12.2006 haben sich die alten Mitgliedstaaten mit den neuen Mitgliedern in dieser Frage geeinigt. Im Haushalt der EU sind für diesen Zeitraum rund 41 Mrd. Euro brutto eingestellt. 50% dieser Mittel sind für strukturpolitische Maßnahmen vorgesehen; 25% werden im Bereich der Landwirtschaft eingesetzt, der Rest entfällt auf andere Bereiche. Völlig offen ist jedoch zurzeit, wie Haushaltsvolumen und Haushaltsstruktur von 2007-2013 gestaltet werden (s. auch den entsprechenden Abschnitt "mehrjährige Finanzplanung im Abschnitt Haushalt).

Die bayerischen Grenzregionen

Leider haben bei den Beitrittsverhandlungen trotz der Bemühungen der betroffenen Länder in Deutschland, insbesondere Bayerns, die Grenzregionen keine besondere Rolle gespielt. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Menschen, Kommunen und Unternehmen in diesem Raum Einbußen im Bereich der inneren Sicherheit, einen erheblichen Druck auf dem Arbeitsmarkt, eine nicht mehr zu bewältigende Zunahme des Durchgangsverkehrs und die Verlagerung von Betrieben in die neuen Mitgliedstaaten befürchten.

Über den Druck der österreichischen Regierung ist es gelungen, Übergangsregelungen bis zu sieben Jahren für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit durchzusetzen und damit eine wichtige Auffanglinie einzuziehen. Trotzdem wird sich für die Grenzregionen die Notwendigkeit verstärken, sich der neuen Lage anzupassen. Die beiden mit je 100 Mio. Euro ausgestatteten Ertüchtigungsprogramme der Bayerischen Staatsregierung für die Grenzregionen und der von der EU eingestellte, noch viel zu knapp bemessene Förderungsschwerpunkt Grenzregionen stellen eine wichtige Hilfe dar, den unvermeidlichen Strukturwandel zu bewältigen. Vergleichbare Fördermaßnahmen von Seiten der Bundesregierung gibt es bis heute nicht.

Allerdings hat sich bereits im Vorfeld der Erweiterung gezeigt, dass sich gerade im wirtschaftlichen Bereich Vorteile für Bayern ergeben. So hat sich der Handelsaustausch zwischen Bayern und den MOE-Ländern so entwickelt, dass diese Staaten für Bayern ein immer wichtigerer Handelspartner werden. Sie nehmen hinter Italien und vor den USA inzwischen den zweiten Platz in den bayerischen Handelsstatistiken ein. Auch die bis jetzt vorliegenden Ergebnisse für die bayerische Landwirtschaft stimmen optimistisch. So sind in den ersten neun Monaten 2003 die Ausfuhren in die neuen Mitglieder um 27 % gewachsen.

Eine erste Bilanz

Der Übergangsprozess hat "einen tiefgreifenden und weitreichenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Wandel (bewirkt)" (P. Maystadt, Präsident der Europäischen Investitionsbank. Diese Bewertung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bewältigung der sozialistischen Erblasten vor allen mit Blick auf die politische Kultur und die Gesellschaftsstrukturen die meisten der neuen Mitgliedstaaten noch immer vor große Probleme stellen.

Perspektiven

"Die Osterweiterung bietet eine große und historische Chance zur Stärkung der jungen Demokratien und zur Sicherung der Stabilität in Europa. Die endgültige Überwindung der Teilung Europas ist eine kulturelle und historische Notwendigkeit und bietet darüber hinaus wirtschaftliche Chancen für alle Seiten" ("Bayern in Europa" S. 14).

Die Türkei

Nachdem die Türkei 1963 den Status eines assoziierten Mitglieds der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) erhalten hatte, entschied die EU der fünfzehn im Dezember 1999 nach langen Auseinandersetzungen, ihr den Status eines Beitrittskandidaten zu geben..

Am 7. 10. 2004 hat die Europäische Kommission nach heftigen politischen Diskussionen einen Bericht über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Türkei vorgelegt. Die Kornmission zieht dabei folgendes Fazit: Da die Türkei die politischen Kriterien hinreichend erfüllt, sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnet werden. In diesem Bericht werden aber auch auf die bestehenden Defizite hingewiesen: Die "Null-Akzeptanz" von Folter und Misshandlungen muss konsequenter fortgesetzt werden. Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung bedürfen weiterer Konsolidierung, etwa hinsichtlich der begonnenen Strafrechtsreform. Die Umsetzung der Meinungs- und Religionsfreiheit, der Rechte der Frauen und Minderheiten sowie der gewerkschaftlichen Rechte muss weitergeführt werden und in der Praxis konsequenter erfolgen. Korruption bleibt trotz neuer Gesetzgebungsvorschläge in fast allen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors ein ernsthaftes Problem (EU-Nachrichten. Nr. 35. 7.10.2004. S. 5).

Die Regierungen der EU der 25 sind am 17. 12. 2004 dieser Empfehlung der Kommission gefolgt und haben den Beginn der Beitrittsverhandlungen auf den 3. Oktober 2005 festgelegt. Im Gegensatz zu allen bisherigen Beschlüssen über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, die eindeutig auf eine Aufnahme ausgerichtet waren, gehen die Mitgliedstaaten jedoch davon aus, dass "Verhandlungen als offener Prozess angelegt sind, dessen Ergebnis nicht vorab garantiert werden kann" (EU-Nachrichten. Nr.45. 17.12.2004.S.6) Gleichzeitig haben sie darauf hingewiesen, dass wegen des immer noch erheblichen Reformbedarfs eine Verhandlungsdauer von zehn bis fünfzehn Jahren realistisch sein könnte. In diesem Beschluss wird aber auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass "diese Erweiterung mit früheren nicht zu vergleichen sei (A.a.0. S.1), und festgelegt, dass bei "Verletzungen der Grundrechte oder rechtsstaatlicher Grundsätze ... die Verhandlungen ausgesetzt werden (können)"(A.a.0.). Das Recht, eine solche Aussetzung zu beantragend hat die Kommission und jeder Mitgliedstaat.

In diesem Zusammenhang stellt sich aus grundsätzlichen Erwägungen die Frage, ob eine Vollmitgliedschaft der Türkei aufgrund der Größenordnung dieses Landes, der im Vergleich zum Durchschnitt der EU der 25 wesentlich geringeren wirtschaftlichen Leistungskraft pro Kopf der Bevölkerung, der großen kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen ihren Landesteilen nicht die Integrationskraft der EU überfordert. Es stellt sich auch die Frage, ob wegen des mit der Geschichte der Türkei seit der Staatsgründung durch Ata Türk zusammen hängende spezifische nationale Selbstverständnis die Abgabe von Souveränität an die EU die Zustimmung der Führungsschichten (Militär) und der Mehrheit der Bevölkerung erhalten wird. Vor allem aber sind die im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU in wichtigen Feldern unterschiedlichen Wertvorstellungen zu bedenken. Ein jüngst erschienener Forschungsbericht (Gerhards Jürgen: Kulturelle Unterschiede in der Europäischen Union. Wiesbaden 2005.), der auf der Grundlage einer repräsentativen Umfrage in der EU der 15, der EU der 10, in Bulgarien, Rumänien und der Türkei erstellt wurde, kommt bei der Beantwortung dieser Frage zu folgenden Ergebnissen: "Die von der Europäischen Union als wichtig erachteten Werte finden eine hohe Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern der alten und neuen Mitgliedsländer der EU; sie erhalten eine geringere Unterstützung von jenen der beiden Länder der neuen Beitrittsrunde. Vor allem aber zeigt sich, dass die Türkei in vielen Wertebereichen von den Wertvorstellungen der EU abweicht. Der kulturelle Unterschied zwischen der Türkei und den anderen Ländern fällt zudem deswegen so schwer ins Gewicht, weil die Türkei ein bevölkerungsreiches Land ist und auf Grund der höheren Geburtenziffern wahrscheinlich das bevölkerungsreichste Land einer dann erweiterten EU wäre" (J. Gerhards: Europäische Werte - Passt die Türkei kulturell zu Europa? In: APUZ. B 38/2004. S.20).

 

"',Prozentsatz der Bürger, die der Aussage zustimmen "Man sollte eher einen starken Führer haben, der sich nicht um das Parlament und Wahlen kümmern muss. "

EU der 15:                24,2 %

EU der 10:               27,4 %

Bulgarien/Rumänien: 56,5 %

Türkei:                    66,1 %

Quelle: " European Value Survey"

Nach a. a. 0. S. 18

All diese Überlegungen sprechen eher für eine privilegierte Partnerschaft der EU mit der Türkei, nicht aber für eine Vollmitgliedschaft.

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