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Straubinger, Landshuter 25.März 2004

KOMMENTAR: DICKE LUFT VON SUSANNE HERR

Einst galt Pünktlichkeit als deutsche Tugend. Heute ist sie bestenfalls ein Auslaufmodell: An das Warten auf verspätete Züge haben wir uns längst gewöhnt, in puncto Lkw-Maut wären wir überglücklich, wenn sie überhaupt je käme. Irgendwann.

Und jetzt schickt sich Deutschland erneut an, einen prestigeträchtigen Termin platzen zu lassen: die Übergabe des deutschen Zuteilungsplans ("Nationaler Allokationsplan") für den europaweiten Emissionshandel an die Europäische Union am 31. März. "Das wäre nicht der erste Termin, den wir nicht präzise einhalten", bemerkte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement zu der sich anbahnenden internationalen Blamage lapidar. Wie wahr. Weniger peinlich wird die Angelegenheit für den Umweltschutz-Weltmeister Deutschland nicht.

Wochenlange Grabenkämpfe zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium, Bundesländern, Verbänden, Unternehmen und Experten haben freilich bereits jetzt genug Schaden angerichtet - egal, ob der Termin eingehalten wird oder nicht. Vordergründig geht es um die Frage, welche Menge an Kohlendioxid die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren kostenlos in die Atmosphäre pumpen darf. Die Rechte für zusätzliche Abgase sollen Unternehmen nämlich im Rahmen des EU-weiten Emissionshandels ab 2005 von anderen Konzernen, die Emissionsrechte übrig haben, kaufen.

Doch in Wahrheit ist längst eine Grundsatzdiskussion um den Klimaschutz an sich sowie ein ausgewachsener Machtkampf innerhalb der Bundesregierung entbrannt. Von ihren eigenen Klimaschutzzielen möchte die Industrie nämlich am liebsten überhaupt nichts mehr wissen. 45 Millionen Tonnen Kohlendioxid wollte sie laut einer Selbstverpflichtung aus dem Jahre 2001 ursprünglich bis 2010 weniger emittieren. Doch als es darum ging, dies auch umzusetzen, stießen schon die Pläne von Umweltminister Jürgen Trittin, die Treibhausgase von derzeit 505 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis 2007 auf 499 Millionen Tonnen - also um sechs Millionen Tonnen - zu senken, auf blankes Entsetzen. Die deutschen Unternehmen fürchten, ausländischer Konkurrenz künftig nicht mehr gewachsen zu sein, drohen mit dem Abbau von Arbeitsplätzen - und rennen damit bei Wirtschaftsminister Clement offene Türen ein.

Schützenhilfe erhält er - parteiübergreifend - vor allem aus den deutschen Kohlerevieren: In Clements Heimatland Nordrhein-Westfalen sorgt man sich um die Zukunft der Steinkohle, Ostdeutschland bangt um seine Braunkohlekraftwerke. Man wirft Trittin vor, seine geliebten Gaskraftwerke auf Kosten der Kohle zu fördern. Bei einer Aktuellen Stunde im Bundestag prallten die unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Regierung erneut aufeinander. Der Opposition bleibt nicht viel anderes, als sich zurückzulehnen und ins Fäustchen zu lachen.

Der Streit um den Emissionshandel als Instrument des Klimaschutzes dürfte also nur vorgeschoben sein. Es geht nicht um ein paar Millionen Tonnen Kohlendioxid mehr oder weniger, die sich die Unternehmen vom Mund absparen müssten. Stattdessen deutet sich an, dass Industrie und Teile der Politik das Thema Klimaschutz am liebsten ganz von der Tagesordnung streichen würden.

Denn theoretisch ist der Handel mit Schadstoffemissionen ein höchst effizientes Instrument zur Vermeidung von Emissionen. Er soll garantieren, dass nur dort Schadstoffe eingespart werden, wo es sich auch wirtschaftlich lohnt, sie einzusparen. Insofern unterscheidet er sich von anderen klimapolitischen Instrumenten, wie etwa der Ökosteuer. Eine erfolgreiche Einführung des Emissionshandels könnte also durchaus langfristig die Ökosteuer ganz ablösen - und damit sowohl Clement als auch Trittin glücklich machen.

Davon ist Europa freilich noch weit entfernt. Nicht nur, weil durch Grundsatzdiskussionen wie in Deutschland die Einführung des Handels überhaupt in Frage steht. Dazu kommt noch, dass die gesetzliche Umsetzung des Emissionsrechte-Systems bereits jetzt als "bürokratisches Monstrum" verschrien ist. Das im Januar verabschiedete "Treibhausgasemissionshandelsgesetz" steckt in Deutschland den Rahmen für den Handel mit den Emissionsrechten fest - und ist selbst für Experten kaum überschaubar. Über 140 EU-Beamte dürften nötig sein, um sich künftig europaweit um Verteilung und Kontrolle der Emissionsrechte zu kümmern. Zudem ist angesichts der Unsicherheit über die Zahl der Verschmutzungsrechte noch völlig unklar, wie wirkungsvoll der Emissionshandel überhaupt sein wird. Noch ist also ungewiss, ob der Emissionsrechtehandel in der Praxis die Klimaschutzziele erfüllen hilft.

Scheitert der Handel, ergeben sich jedenfalls zwei Szenarien: Entweder müssen dann Kohlendioxid-Einsparziele auf andere Bereiche, wie etwa die privaten Haushalte oder den Verkehr, abgewälzt werden. Diese nehmen, anders als die Energiewirtschaft, nicht am Emissionshandel teil. Daher drohen zusätzliche ÖkoAbgaben oder auch ein Tempolimit auf den Autobahnen. Wie heute schon bei der Öko-Steuer würde also der kleine Verbraucher für die großen Umweltsünder geradestehen.

Da sich dafür derzeit aber kaum politische Mehrheiten finden dürften, wird ein zweites Szenario zunehmend wahrscheinlicher: Die Europäische Union und damit Deutschland geben - ähnlich wie die USA und Russland - den Klimaschutz als Ziel ganz auf. Damit wäre auch das Kyoto-Protokoll von 1997, auf dem der Emissionshandel basiert, endgültig hinfällig. In diesem Abkommen hatten die Industrieländer zugesagt, bis 2010 ihre Treibhausgas-Emissionen um mindestens fünf Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Ein Ausstieg ist möglich, da das Abkommen noch nicht von genügend Ländern ratifiziert und deshalb noch nicht in Kraft getreten ist. Die Industrie würde das freuen - unsere Kinder weniger.