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20.Januar 2004

Rühe rügt Nein zu EU-Beitritt der Türkei

München. (dpa) Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe hat die Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft durch die Unionsführung gerügt. In einem am Montag vorab veröffentlichten Interview mit einer Münchner Zeitung sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags: "Wer der Türkei jetzt Beitrittsverhandlungen verweigert, stoppt den Reformprozess in diesem Land." Die derzeitige Position von CDU/CSU zur Türkei ist nach den Worten Rühes in der EU nicht mehrheitsfähig.

Dagegen bekräftigte die CSU ihr Nein zu einer Aufnahme der Türkei in die EU. Die Abgeordneten Ursula Männle und Markus Sackmann stellten in München ein Thesenpapier der Landtags-CSU zur Europapolitik vor, in dem stattdessen eine "privilegierte Partnerschaft" mit der Türkei gefordert wird.

 

Straubinger/Landshuter, 23.Januar 2004

RAUS IRRTUMVON MARCUS SAUER

Hat Bundespräsident Johannes Rau nicht über die massive Kritik nachgedacht, die er vor wenigen Wochen mit der Gleichsetzung von christlichen Symbolen und dem muslimischen Kopftuch hervorgerufen hat? Gestern hat das Staatsoberhaupt noch einmal nachgelegt und die in einigen Ländern geplanten Kopftuchverbote für Lehrerinnen an staatlichen Schulen verurteilt. Dabei gibt es keinen Zweifel daran, dass das Kopftuch im Gegensatz zum Kreuz nicht nur ein religiöses, sondern für Fanatiker vor allem ein politisches Symbol ist. Ein Tragezwang lässt sich aus dem Koran nicht ableiten. Für viele Muslima ist es Symbol der Unterdrückung. Zahllose flüchten aus ihren Heimatländern auch, um sich vom Kopftuch zu befreien.

Ein Blick nach Frankreich sollte zu denken geben. Dort ist es einer recht kleinen und islamistischen Gruppe gelungen, Zigtausende auch gemäßigte Muslime auf die Straße zu bringen, um gegen das geplante Kopftuchverbot zu demonstrieren. Das war ein Beleg, welche Macht solche Gruppierungen haben. Hierzulande sehen heute auch Politiker, die gewiss nicht im Ruf stehen, konservativ zu sein, frühere Multikultiträume kritisch. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer gibt zu: "Wir waren vor allem zu blauäugig in Bezug auf die schockartige Veränderung der islamischen Alltagswelten."

Das Kopftuch, das das Straßenbild in manchen Gegenden immer mehr dominiert, sei als

"kulturelle Folklore" abgetan worden. Und: "Wir wissen, dass wir es mit aggressiv fundamentalistischen christlichen Strömungen an unseren Schulen nicht zu tun haben." Stimmt, schon deshalb verbietet sich die Gleichstellung von Kreuz oder Ordenshabit mit dem Kopftuch. Deshalb gibt es gute Gründe, Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs an staatlichen Schulen zu untersagen. Es wäre ein Beitrag zum Kampf gegen religiösen und politischen Fanatismus, gegen den sich mit falsch verstandener und einseitiger Toleranz nichts ausrichten lässt.

23.Januar 2004

Wissmann legt Türkei-Konzept vor

Berlin. (dpa) Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Matthias Wissmann (CDU), hat eine besondere EU-Partnerschaft der Türkei als Alternative zur Vollmitgliedschaft vorgeschlagen. Er legte am Donnerstag in Berlin ein Konzept vor, das eine sehr enge Zusammenarbeit der EU mit der Türkei im Handel, in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie bei Innen- und Justizfragen vorsieht. Eine solche "privilegierte Partnerschaft" könne später auch etwa Russland, der Ukraine oder Ländern im Mittelmeerraum angeboten werden, falls sie in die EU wollten, sagte Wissmann.

 

Chamer Zeitung, 23.Januar, Leserbrief:

"Sparen ist Gebot der Stunde"

Cham. Jürgen Linhardt, JU-Kreis und Bezirksvorsitzender sowie Jugendbeauftragter des Kreistages ärgerte sich über die Aussagen von SPD-MDL Schindler und MdB Pronold. Linhardt schreibt:

"Vertreter der oberpfälzer SPD-Spitze versuchen, die Ergebnisse der CSU-Klausur von Wildbad Kreuth zum Thema Einsparungen schlecht zu reden. Dass der SPD-MDL aus Schwandorf Sparen als schädlich bezeichnet ist schon typisch für die Partei, die nun als Bundesregierung zum dritten Mal das Maastricht-Kriterium nicht erfüllt und Deutschland damit zum Schlußlicht in Europa gemacht hat. In die gleiche Kerbe schlägt ein kaum dreißig-jähriger SPD-Bundestagsabgeordneter mit seinen Ausführungen zur Jugendpolitik. Dabei fällt kein Wort über die wertvolle Arbeit vor Ort und die vorbeugenden Maßnahmen, die von Kommunen, Landkreis und Vereinen ausgehen, nicht von den Zusammenschlüssen der Verbände und deren Verwaltungsapparate, die vor allem von den Kürzungen betroffen sind. Wäre der SPD-Politiker im Kontakt mit den Verantwortlichen der Jugendarbeit, wäre er besser informiert. Bisher fiel der MdB aus Deggendorf nur durch Äußerungen gegen christliche Symbole auf. Wenn er von Jugendpolitik spricht, sollte er zuallererst seine Vorbild-Funktion bedenken. Als Vertreter der jungen Generation begrüße ich die CSU-Sparpolitik, soweit sie gerecht die Lasten verteilt. Der Kurs, den die CSU - übrigens auch auf kommunaler Ebene, wie die aktuelle Beschlußlage der CSU-Kreistagsfraktion zum Haushalt 2004 zeigt - steuert, ist die richtige. "Sparen" heißt das Gebot der Stunde, zu dem es keine Alternative gibt.

Irgendwann muß auch die SPD einsehen, dass eine Politiker-Generation nur soviel Geld ausgeben kann, wie sie selbst erwirtschaftet".

Jürgen Linhart, JU-Kreis-und Bezirksvorsitzender, Jugendbeauftragter des Kreistags

 

"BSE-Schlampereien keine Schönheitsfehler"

Cham. Christel Wackler, Beauftragte des SPD-Kreisverbandes für Gesundheit und Familie, nimmt Stellung zu Äußerungen von Dr. Franz Wiesenreiter:

"Die große Anzahl von 153 Rindern in Bayern, die ohne Test geschlachtet wurden, zeigen, dass Vorschriften alleine nichts bringen, wenn es keine ausreichenden Kontrollen gibt.

Wenn eher zufällig entdeckt wird - nämlich durch einen Abgleich der bundesweiten BSE-Datenbank - dass nicht vorschriftsmäßig getestet wurde, geht das Vertrauen in einen wirksamen Verbraucherschutz verloren. Ich kann Landrat Zellner nur zustimmen, der die Fehler bei den BSE-Tests als unverzeihlich bezeichnete. Gerade im Landkreis Cham, der in der Vergangenheit schon betroffen war, hätten diese schweren Mängel nicht passieren dürfen. Bayern ist leider immer noch das BSE-Land Nr. 1; auch im vorigen Jahr kam die Hälfte der BSE-Fälle aus unserem Land.

Wenn Dr. Wiesenreiter die Vorkommnisse als Schönheitsfehler sieht, nimmt er die Sorgen der Verbraucher nicht ernst. Nach wie vor tappt die Wissenschaft bei vielen Fragen zu Ursache und Folgen von BSE im Dunkeln. Deshalb darf in der BSE-Vorsorge nicht nachgelassen werden. Der Schutz der Verbraucherinnen (?) muss vordringlich sein, sie haben ein Recht auf Sicherheit."

 

Landshuter/Straubinger, 24.Januar 2004: LEITARTIKEL

WILLFÄHRIGE TÜRÖFFNER

VON FRIDOLIN M. RÜB

Ob zwischen Geschichtsvergessenheit und der künstlichen Dauer-Aufgeregtheit der Politiker sowie der Jagd nach der medial als Sensation des Tages verwertbaren Nachricht ein Zusammenhang besteht? Mit Blick auf die Topmeldungen der Woche scheint die Frage berechtigt: Gerster in Nöten und schwer unter Promi-Attacken leidende australische Kakerlaken. Der alltägliche Horror halt! Angesichts solcher Schicksalsfragen müssen natürlich Meldungen wie "Fischer sichert Türkei Unterstützung zu" oder "Lubbers warnt EU vor wachsenden Asylproblemen" zweitrangig erscheinen.

Die Europäische Union steht am Beginn einer neuen Epoche, die mit dem Beitritt von zehn Staaten eingeleitet wird. Das Attribut "historisch" ist hier nicht zu hoch gegriffen, auch und vor allem, weil damit die Integration von Staaten aus dem ehemals sowjetisch beherrschten Bereich Europas verbunden ist. Doch nicht die Chancen und Risiken, die diese bislang größte Erweiterung der jetzt noch 15 Mitglieder zählenden EU birgt, werden am Ende das beherrschende Thema sein, sondern das Für und Wider einer Aufnahme der Türkei. Vor allem die rot-grüne Regierung tat und tut sich als Türöffner für Ankara hervor, das - wer wollte das bei den EU-Fördertöpfen verdenken - Druck macht, um zu Beitrittsgesprächen zu kommen.

"Ein Datum für ein Datum", mit dieser nach feinster Diplomatenart kunstvoll geflochtenen Wortgirlande sollten im Vorfeld des Kopenhagener Gipfels vom Dezember 2002 die Beitritts-Gegner besänftigt werden. Doch wer wissen will, der weiß: Wer ein festes Datum nennt, kann nicht mehr zurück. Mit der von Kanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac vor dem Gipfel initiierten Nennung des Zeitpunkts "Ende 2004" hatten sich die Europäer gefangen in einer bizarren "Pflicht zur Belohnung", bei der der Belohnte, die Türkei, selbst bestimmen darf, was sein Lohn zu sein habe.

Wie deshalb nicht anders zu erwarten war, wurde der Vorschlag vom damaligen türkischen Premier und heutigen Außenminister Abdullah Gül abgelehnt, da er unter dem Vorbehalt stand, dass die Türkei zum Stichdatum alle Beitrittsbedingungen erfüllt. Doch in der Pflicht, sogar Teilfortschritte zu belohnen, beginnt die EU nun, Ankara peu ä peu Discount auf westliche Standards von Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechten zu gewähren. Güls Protest war pures Rabatt-Feilschen. Und dass er damit Erfolg hatte, beweist das eilfertige Lob, das diese Woche Außenminister Joschka Fischer bei seinem zweitägigen Ankara-Besuch seinen türkischen Gesprächspartnern ob ihrer Reformbemühungen erteilte und ihnen - als erwartete Zugabe - die Unterstützung Deutschlands auf dem Weg in die EU zusagte.

Doch mit dem Beitritt Ankaras wird sich der Charakter der EU dramatisch verändern. Denn Europa und die Türkei trennt mehr als ein Reformdefizit hier und eine orientalische Eigenart da. Wer den EU-Beitritt der Türkei voranbringt, wird (oder sollte) wissen, auf welche Bahn er sich begibt. An deren Ende steht nämlich die Enteuropäisierung der EU. Bundeskanzler Schröders Lieblingshistoriker Prof. Heinrich August Winkler schrieb in einem Essay: "Eine EU, die auch die Türkei umfasst, könnte an ein europäisches Wir-Gefühl nicht mehr appellieren. Dazu sind die kulturellen Prägungen der Türkei und Europas zu unterschiedlich. Die Unterschiede haben etwas mit Christentum und Islam zu tun. Die europäische Idee wäre tot. Über die Folgen sollte man sich keine Illusionen machen..." Und der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler befürchtet eine "mutwillige Selbstzerstörung" Europas. Rund 450 Jahre Kriege zwischen dem Osmanischen Reich und dem europäischen Abendland böten dafür genügend Gründe. Nach einem Beitritt von 90 Millionen Türken 2013, sagt der sozial-liberale Gelehrte, gäbe es in der EU mehr Muslime als Protestanten.

Vor allem aber wäre die Türkei das bevölkerungsstärkste EU-Mitglied. Wie sich das auf die Zusammensetzung des Europaparlaments und der Brüsseler Kommission und damit auf die künftige Binnen-, Kultur- und Außenpolitik der EU auswirken würde, darüber braucht man nicht zu rätseln.

Doch den Kanzler und SPD-Chef Schröder scheint das nicht zu stören. Er setzt nämlich darauf, auch künftig erfolgreich auf Stimmenfang gehen zu können. Denn von den mittlerweile 500000 eingebürgerten Türken stimmten bei der letzten Bundestagswahl 60 Prozent für Rot und 17 Prozent für Grün. "Der Kanzler verdankt seinen hauchdünnen Sieg also nicht nur den Ossis, sondern auch den Zuwanderern aus Istanbul oder Anatolien - deren Bedeutung an Wahltagen noch wachsen wird", resümierte der "Spiegel".

Mit der Aufnahme in die EU würde für die 2,6 Millionen bei uns lebenden Türken ein Traum wahr. Ein solcher Schritt bedeute für sie auch eine neue Akzeptanz ihrer islamisch geprägten Kultur, sagt der Chef der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGD), Hakki Keskin. Ein solches Szenario hält auch Prof. Udo Steinbach vom Deutschen Orient-Institut für vorstellbar: "Die Türken würden sich im Fall eines EU-Beitritts hier stärker islamisch definieren." Deshalb warnt der Wissenschaftler vor" allzu großen Schritten der Politiker". Und Steinbach fährt fort: "Wenn man heute die Grenze aufmacht, würde ein Schwarm von Millionen Türken nach Mitteleuropa strömen". Die Türkei sei "wirtschaftlich ein Desaster". "Und wenn es den Leuten in der Türkei dreckig geht, dann schauen sie stets nach Europa." Vor allem aber nach Deutschland, wo es die stärkste türkische Gemeinde gibt.

Multikulti-Ideologen behaupten zwar, die Doppelstaatsbürgerschaft verhindere, dass die türkische Minderheit zu einem Staat im Staate werde. Das Gegenteil wird der Fall sein. Die Türken übertreffen an Zahl die dänische oder sorbische Minderheit um ein Vielfaches. Nicht ein Mehr an Integration, sondern eigene Parteien, ein eigenes Bildungswesen bis hin zur Universität werden einige der Folgen sein. Anlass zur Sorge gibt heute schon eine zunehmende Militanz unter jungen Türken, die immer mehr unter den Einfluss von Islamisten oder von Nationalisten zu geraten scheinen.

Nicht ins schöne Fischer-Bild passt auch Bundesinnenminister Otto Schilys Rüffel für Ankara. Der SPD-Politiker forderte am Donnerstag am Rande einer EU-Konferenz in Dublin die Türkei zu einer besseren Zusammenarbeit in der Asylpolitik auf. Ankara habe bis dato mit der EU noch kein Rückübernahmeabkommen für abgelehnteAsylbewerber abgeschlossen,kritisierte Schily. Und er setztenoch eins drauf: "Wir verzeichnen mit Sorge, dass an der Spitze der Asylbewerber bei uns türkische Staatsangehörige stehen." Als "ein bisschen gefährlich" bezeichnete es Schily außerdem, dass auch ein Vertreter Ankaras an der EU-Ratssitzung teilnahm. Zwar wolle die EU mit Ankara ehrliche Verhandlungen über einen Beitritt führen. Man dürfe dem aber nicht vorgreifen. Das hätte Schily, bevor er nach Dublin flog, dem willfährigen Türöffner Joschka Fischer sagen sollen.