Straubinger, 9.März 2006
GASTKOMMENTAR
ENERGIEPOLITIK IST POLITIK FÜR VERBRAUCHER UND WIRTSCHAFT
VON MICHAEL GLOS, BUNDESMINISTER FUR WIRTSCHAFT UND TECHNOLOGIE

Die Energiepolitik ist eines der wichtigsten Themen der deutschen Wirtschaftspolitik. Die steigenden Energiekosten belasten sowohl unsere Industrie als auch die Verbraucher. In den vergangenen Monaten sind Industriestandorte unter anderem mit der Begründung geschlossen worden, dass die Ausgaben für Strom und Gas in Deutschland im Vergleich zu anderen Standorten so hoch sind, dass eine wirtschaftliche Produktion nicht mehr möglich ist. Verbraucher haben gegen Preiserhöhungen ihrer Energieversorger geklagt, weil sie diese nicht nachvollziehen können. Unternehmen erhöhen ihre Produktpreise, um die steigenden Energiekosten zu decken. All das schmälert die Kaufkraft der Menschen und schwächt unsere Konjunktur. Wenn wir höhere Energiekosten haben als andere Länder, gehen mittel- und langfristig Arbeitsplätze verloren.

Die Energieversorgung in der Bundesrepublik ist stark in den europäischen und internationalen Rahmen eingebunden. Die Nachfrage nach Energie steigt weltweit. Schwellenländer wie China und Indien haben einen immer größeren Bedarf an Energie. Dadurch steigen die Energiepreise auf dem Weltmarkt, was besonders rohstoffarme Länder wie Deutschland trifft. Die Energieeinfuhren werden teurer. Gleichzeitig liegt ein Großteil der Öl- und Gasreserven in schwer zugänglichen oder politisch instabilen Gebieten. Die Energiepolitik muss diese Gegebenheiten im Auge behalten, wenn sie ihre Ziele erreichen will. Die wichtigsten energiepolitischen Ziele sind für mich die Wahrung der Versorgungssicherheit, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Energiepreise und die Umweltverträglichkeit.

Die Ereignisse zur Jahreswende, als Russland die Gaslieferungen an die Ukraine reduzierte, haben gezeigt, dass über neue Wege nachgedacht werden muss, um die Importabhängigkeit zu begrenzen. Wir brauchen einen breiten und ausgewogenen Energiemix, der alle verfügbaren Energieträger berücksichtigt. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir noch lange Zeit auf fossile Energieträger angewiesen sein werden. Auch eine sachlichere Diskussion über die Nutzung der Kernenergie in Deutschland ist deswegen erforderlich. Mir geht es nicht um den Bau neuer Kernkraftwerke, aber über die Verlängerung der Laufzeiten von Kraftwerken muss nachgedacht werden. Die weltweiten Uranreserven und -ressourcen reichen noch weit über 200 Jahre und befinden sich überwiegend in politisch stabilen Regionen. Zudem ist die Kernenergie bei der Stromerzeugung preiswerter als die Nutzung fossiler Energieträger.

Um eine zu große Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern wie Erdgas und Erdöl zu vermeiden, muss auch der Einsatz erneuerbarer Energien erhöht werden. Dazu müssen wir die Frage seriös beantworten, wie wir das bezahlen sollen. Die Energiekosten dürfen sich zum Beispiel durch die verstärkte Nutzung von Windenergie nicht weiter erhöhen. Die finanzielle Belastung energieintensiver Industrien muss reduziert werden. Damit wir unsere Ziele beim Ausbau emeuerbarer Energien erreichen, muss deren Förderung effizienter werden.

Um unseren Verbrauch zu reduzieren, gilt es, die Energieeffiziienz weiter zu erhöhen und Energieeinsparungen voranzutreiben. Initiativen wie das CO2-Gebäudesanierungsprogramm oder das Angebot eines Energieausweises leisten zur Senkung des Energiebedarfs schon einen wichtigen Beitrag. Es müssen aber zielorientierter neue Technologien gefördert werden. Hier hat Deutschland einen großen Nachholbedarf. Auch in der EU müssen wir die Verbesserung der Energieeffizienz vorantreiben. Ich werde dies zu einem Schwerpunkt während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 machen.

In diesem Jahr muss der Wettbewerbsdruck auf die Strom- und Gasunternehmen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene erhöht werden. Der Bundesnetzagentur steht ein umfassendes Instrumentarium zur Verfügung, um durch die Regulierung der Netzentgelte und des Netzzugangs für Wettbewerb auf den Energiemärkten zu sorgen. Die Wettbewerbsbedingungen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen vergleichbar sein.

Die Bundesrepublik braucht endlich wieder ein energiepolitisches Gesamtkonzept. Energiepreise und Versorgungssicherheit müssen wieder im Vordergrund stehen. Nur mit Wind und Sonne werden wir unsere Wirtschaft und Bevölkerung nicht mit sicherer Energie versorgen können. Die langfristig und sicher verfügbare Kohle wird deshalb auch weiter eine wichtige Rolle spielen. Die Frage, wie die Strom- und Gaspreise für unsere Wirtschaft und die Verbraucher wettbewerbsfähig gestaltet werden können, muss umfassend und unter allen Gesichtspunkten erörtert werden. Der Energiegipfel, der Anfang April stattfindet, wird eine gute Plattform für die notwendigen Diskussionen bilden. Auf europäischer Ebene werden wir uns für eine Energiepolitik einsetzen, die den Verbrauchern eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen sichert.

Oberste Priorität muss es sein, Deutschland als attraktiven und wettbewerbsfähigen Industriestandort zu sichern, dazu müssen wir auf veränderte Rahmenbedingungen angemessen reagieren. Wenn wir Arbeitsplätze schaffen wollen, müssen wir längerfristig sowohl bei den Lohn- als auch bei den Energiekosten von den "Spitzenplätzen" in Europa herunterkommen.

zurück