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VDI nachrichten -28. Mai 2004 - Nr. 22

Gesundheitsreform: Die SPD will die Bürgerversicherung

Ein Konzept mit Offenen Fragen

VDI nachrlchten, Düsseldorf, 28. 5. 04 -

Bürgerversicherung oder Kopfpauschale - das sind die Alternativen von SPD und CDU zur Gesundheitsreform. Bei der Bürgerversicherung würden Beiträge auf Miet- und Zinseinnahmen fällig, bei der Kopfpauschale müsste jeder Versicherte eigene Beiträge leisten.

Das Ende der lohnbezogenen Krankenversicherung ist abzusehen. In der Bundesregierung werden alternative Modelle geprüft: Bürgerversicherung und Kopfpauschale.


SPD-Parteichef Franz Müntefering und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt halten es für denkbar, dass die Bürgerversicherung bereits im kommenden Jahr in Gesetzesform gegossen wird. Bislang galt sie als ein Projekt für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl.

Doch für Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gibt es derzeit keinen Anlass für solche Diskussion und der SPD-Landesvorsitzende von NordrheinWestfalen, Harald Schartau, warnt vor übertriebener Eile: Zu viele Probleme seien bei der Bürgerversicherung noch zu klären.

Die grundsätzlichen Fragen bei beiden Konzepten sind: Sollen sie nur für Menschen gelten, die neu ins Berufsleben eintreten oder aber für alle Versicherten. Und: Welche Kassen sollen die Menschen absichern - private oder gesetzliche?

In die Bürgerversicherung sollen nach Plänen der SPD alle arbeitenden Männer und Frauen einzahlen, also auch Beamte und Freiberufler. Außerdem sollen weitgehend alle Einkünfte versicherungspflichtig werden, also auch Miet- und Zinseinnahmen. Allerdings soll auch die Bürgerversicherung eine Beitragsbemessungsgrenze haben, wie es sie jetzt schon bei der Krankenversicherung gibt: Beiträge fallen nur bis zu einem monatlichen Höchstbetrag an.

Geklärt werden müsste, wie zusätzliche Einnahmen ermittelt werden und wer dann die Beiträge erhebt. Da Zinsen und Dividenden meist nicht kontinuierlich anfallen und stark schwanken, müsste es einen Datenabgleich von Krankenkasse und Finanzamt geben. Offen bleibt auch, ob Verluste den Krankenkassenbeitrag senken.

Während die Bürgerversicherung die bestehende lohnbezogene Krankenversicherung im Wesentlichen weiterentwickelt, bricht die Kopfpauschale mit diesem System: Danach muss jeder einen Krankenkassenbeitrag leisten, die Familienversicherung fällt weg. Als "soziale Komponente" plant die Union staatliche Zuschüsse für Geringverdiener und Familien. Nach Berechnungen der von der CDU eingesetzten Herzog-Komission müssten dafür rund 30 Mrd. E jährlich aufgebracht werden.

Bei der Kopfpauschale wären Familien und Geringverdiener die Verlierer. Derzeit zahlt ein Alleinverdiener mit 1500 E Monatsentgelt bei der Techniker Krankenkasse (TK) 102,15 E Monatsbeitrag. Verdient er 4500 E, so werden 238,89 E fällig, weil Krankenkassenbeiträge nur bis zur Bemessungsgrenze von 3487,50 E erhoben werden. Für diese Beträge sind der Beitragzahler und seine gesamte Familie versichert, soweit niemand eigene Lohn- und Gehaltseinkünfte erzielt.

Bei der Kopfpauschale würde jeder Versicherte pauschal mit 264 E belastet, so die Annahme der Herzog-Kommission. Der Geringverdiener würde damit 163,85 E, der Besserverdiener 25,11 E pro Monat mehr zahlen. Ist er verheiratet und geht seine Frau keiner Berufstätigkeit nach, so würden für sie weitere 264 E fällig. Eine Entlastung gäbe es durch den Arbeitgeberbeitrag, der bei 6.5 % des Bruttoentgeltes eingefroren und mit dem Lohn ausgezahlt würde und versteuert werden müsste.

Die Krankenkassen sehen die Kopfpauschalen kritisch. "Sie erfordern in hohem Umfang steuerfinanzierte Zuschüsse, die die GKV noch konjunkturanfälliger machen als das heutige Beitragssystem", wendet Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen in Siegburg, ein.

Auch dieVorstellung, dass die Arbeitgeber an den Kosten für die Krankenversicherung nicht mehr beteiligt seien, könnte sich nach Ansicht von Doris Pfeiffer als Illusion erweisen."Wenn die Verhältnisse es zulassen, werden die Gewerkschaften versuchen, steigende Kopfpauschalen durch Lohnerhöhungen zu kompensieren." Sollte es durch die demographische Entwicklung zu einem Facharbeitermangel kommen, könnte den Gewerkschaften das auch gelingen.


Für Harald Schartau, Chef der NRW-SPD, geht es bei der Gesundheitsreform um die Senkung der Kosten: Es dürfe nicht nur darum gehen, immer mehr Geld in das System zu pumpen.

Die Entwicklung seit den 80er Jahren scheint Schartau Recht zu geben. Zwischen 1980 und 2002 stiegen die Ausgaben der GKV von 45,9 Mrd.E auf 143,6 Mrd. E jährlich.

Trotz dieser nominalen Steigerung sind die Ausgaben der GKV aber nicht stärker gewachsen als die Wirtschaft insgesamt. Der Anteil der GKV-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bewegt sich seit mehr als 20 Jahren zwischen 6 % und 8 %. In den Achtziger Jahren war er höher als heute. Von einer Kostenexplosion könne man, so der Gesundheitsökonom Hagen Kühn vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin, daher kaum sprechen.

Dass die Steigerung der Gesundheitsausgaben als Kostenexplosion wahrgenommen wird, liegt an der Erhöhung der monatlichen Beitragssätze.

Dafür gibt es, so Doris Pfeiffer vom Ersatzkassenverband, mehrere Gründe. Den Kassen wurden Aufgaben aufgebürdet, die aus Steuern hätten bezahlt werden müssen, zum Beispiel Kosten für die Einheit. Weil viele junge Gutverdiener zu privaten Versicherungen abgewandert sind, ist die Summe der beitragspflichtigen Löhne und Gehälter immer schmaler geworden. Nicht zuletzt hat die hohe Arbeitslosigkeit das finanzielle Fundament der GKV angegriffen.

Aus Sicht von Doris Pfeiffer sollte die GKV als Arbeitnehmerversicherung erhalten bleiben und keine Selbstständigen aufnehmen, wie es die Bürgerversicherung vorsieht. Sie kann sich allerdings vorstellen, dass Beamte als "arbeitnehmerähnliche Personen" zwischen der GKV und der Beihilfe wählen könnten. Auch die "Einbeziehung aller Einkommensarten in die Beitragsbemessung" hält sie für richtig. Der Gesundheitsökonom Hagen Kühn plädiert - nach dem Vorbild Schwedens - für ein Gesundheitswesen, das die gesamte Bevölkerung einschließt. Aber eine Bürgerversicherung in Deutschland, so seine Befürchtung, werde eher zu einer Senkung der Leistungen führen. ro/has