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Straubinger,Landshuter, 10.Juli2004 Wirtschaft

Hinsken: "Brauchen eine Rückbesinnungauf die Regionen, die wirklich bedürftig sind"
CSU-Politiker nimmt Bund und EU für die Zukunftsfähigkeit des ostbayerischen Grenzlandes in die Pflicht

Die Ost-Erweiterung der Europäischen Union ist vollzogen. Und trotzdem will zumindest in den ostbayerischen Grenzregionen noch keine rechte Freude aufkommen, denn die Wirtschaftsräume sind immer mehr mit den Alltagsproblemen der direkten Nachbarschaft konfrontiert. Nach Ansicht des CSU-Mittelstandspolitikers Ernst Hinsken haben die heimischen Unternehmen gegenüber der tschechischen Konkurrenz mit Wettbewerbsnachteilen zu kämpfen, etwa mit einem Lohnkostengefälle oder mit der EU-Förderungspraxis. Deshalb fordert der 1. Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsabgeordneten im Bundestag die rot-grüne Bundesregierung zu einer offensiven und aktiven regionalen Wirtschaftspolitik für das Grenzland auf. "Hier darf die Bundesregierung nicht kleckern, sondern sie muss endlich mit einem eigenen Förderpaket für die bayerische Grenzregion zu Tschechien richtig klotzen", sagte Hinsken im Gespräch mit unserer Zeitung.

Das Interview im Wortlaut:

Die EU-Osterweiterung ist nun vollzogen. Mit welchen Chancen und Herausforderungen ist dies für Deutschland, und hier insbesondere das Grenzland, verbunden?

Hinsken:Natürlich bringt die EU-Osterweiterung für Deutschland viele Chancen mit sich, die es entschlossen zu nutzen gilt. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht die Augen davor verschließen, dass insbesondere das Grenzland vor enormen Herausforderungen steht. Insbesondere das bayerische Grenzland zu Tschechien muss stärker als viele andere Regionen die Lasten der EU-Erweiterung stemmen.

Mit welchen Wettbewerbsnachteilen hat insbesondere das Grenzland zu kämpfen?

Hinsken:Gerade der wirtschaftliche Vergleich mit den Beitrittsstaaten zeigt zwei Wettbewerbsnachteile für unsere Heimat besonders klar auf. Das sind zum einen die niedrigeren Lohnkosten und Steuern für Unternehmen und zum anderen die deutlich über unseren Sätzen liegenden Förderungen für Unternehmen aus Mitteln der EU-Strukturpolitik.

Wo sehen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten?

Hinsken:Hier ist die Bundesregierung gefordert. Sie muss für faire Wettbewerbsbedingungen in Europa sorgen. Dringend erforderlich ist, dass die Förderung bloßer Arbeitsplatzverlagerungen aus EU-Mitteln endlich gestoppt wird. Darüber hinaus brauchen wir Bestimmungen, die insbesondere bei den Unternehmenssteuern ein Mindeststeueraufkommen vorschreiben, das an der Wirtschaftskraft gemessen wird.

 

 

Wenn ein Staat dieses unterschreitet, dann werden ihm die Regionalfördermittel gekürzt.

Der Bundeskanzler hat in seiner Rede in Weiden am 18. Dezember 2000 dem Grenzland Unterstützung versprochen.

Hinsken:Wie so oft in den letzten Jahren muss man mit dem geflügelten Wort antworten: "Versprochen gebrochen". Das Grenzland braucht keine wohlklingenden Reden, sondern Taten. Das Grenzland braucht eine offensive und aktive regionale Wirtschaftspolitik. Die Bundesregierung muss die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (West) in voller Höhe weiterführen. Wenn jetzt die Regionalfördermittel des Bundes für Ostbayern von zehn Millionen auf 7,5 Millionen Euro für 2005 und 2006 gekürzt werden, dann zeigt dies einmal mehr, dass Rot-Grün den Ernst der Lage überhaupt noch nicht erkannt hat. Denn selbst diese Mittel sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, um die bereits vorliegenden Eigenleistungen Bayerns zu ergänzen. Hier darf die Bundesregierung nicht kleckern, sondern sie muss endlich mit einem eigenen Förderpaket für die bayerische Grenzregion zu Tschechien richtig klotzen.

Reicht denn das aus, was die Bayerische Staatsregierung an Unterstützung gibt?

Hinsken:Es ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Für die Mitbürger im Grenzland ist es wichtig, zu wissen, dass sie nicht allein gelassen werden. Es muss anerkannt werden, dass die Bayerische Staatsregierung bereits entschlossen gehandelt und am 25. Mai 2004 zusätzliche Hilfsmaßnahmen für das Grenzland beschlossen hat, die über das bisher geleistete hinausgehen. Hervorzuheben ist vor allem die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Gerade für den Mittelstand werden über eine Zinsverbilligung in Höhe von 20 Millionen Euro Darlehen im Umfang von 100 Millionen Euro mobilisiert. Hinzu kommen etwa weitere 20 Millionen Euro aus anderen Programmen. Das sind im Vergleich zu den Mitteln, mit denen Rot-Grün das Grenzland abspeist, beträchtliche Summen. Noch einmal: Der Bund darf sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen, und auch die EU ist verstärkt gefordert.

Es ist zu befürchten, dass viele Arbeitsplätze bei einfachen Tätigkeiten in Billiglohnländer abwandern. Wären etwa Lohnkostenzuschüsse ein Weg, um dies zu verhindern?Hinsken:Aus Sorge um den Verlust vieler, vieler Arbeitsplätze durch die EU-Osterweiterung habe ich für einen Übergangszeitraum Lohnkostenzuschüsse (Kombilöhne) für einfache Tätigkeiten vorgeschlagen. Der Präsident des Bayerischen Landkreistages und Landrat des Landkreises Cham, Theo Zellner, tendiert in die gleiche Richtung und hat sich mit einem Brief an die Entscheidungsträger gewandt. Auch der Präsident des ifo-Instituts, Professor Hans-Wemer Sinn, propagiert das. Ich meine, dass dies eine Erfolg versprechende Möglichkeit ist, um insbesondere im Grenzland die weitere Abwanderung deutscher Firmen und den damit einhergehenden Abbau zahlreicher Arbeitsplätze bei einfachen Tätigkeiten zumindest abmildern zu können.

Derzeit wird auf europäischer Ebene eine Diskussion über die Zukunft vieler Förderprogramme geführt. Was ist dabei aus Sicht des Grenzlandes besonders wichtig?H i n s k e n: Hier geht es um die Zukunftsfähigkeit der Grenzregionen, die ein eigenes Fördergebiet außerhalb von Ziel 1 werden müssen. Bei vielen Programmen wie zum Beispiel "Interreg" brauchen wir eine Rückbesinnung auf die Regionen, die wirklich bedürftig sind. Und das sind nun einmal die Gebiete, die an den neuen Binnen- und Außengrenzen der EU liegen. Auf deren intensive und passgenaue Förderung muss sich die EU konzentrieren.

Doch wir dürfen nicht nur auf die Mittel schauen, die direkt aus Brüssel kommen. Gerade das Grenzland braucht Spielräume im EU-Recht für nationale Beihilfen, die die Bundesregierung zum Ausgleich für den Strukturwandel bereitstellen muss.

Wie kann denn das steigende Verkehrsaufkommen bewältigt werden?

Hinsken:Die Zunahme des Verkehrs im Grenzland bekommen wir nur in den Griff, wenn die wichtigsten Verkehrsachsen zu den neuen Mitgliedsstaaten ausgebaut werden. Der Bund muss die Finanzierung insbesondere beim Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen sicherstellen, denn sonst erstickt Ostbayern im Stau.

Der Präsident des ifo-Instituts München, Professor Hans-Werner Sinn, befürchtet durch die neue EU-Freizügigkeitrichtlinie eine Einwanderungswelle von Nichterwerbstätigen aus den Beitrittsstaaten in die deutschen Sozialsysteme. Ist dies berechtigt ?Hinsken:Auch mich treibt hier die Sorge um. Ich habe deshalb Fragen an die Bundesregierung gerichtet, um zu erfahren, was sie unternimmt, um diesen befürchteten Zustrom einzudämmen. Die Antwort ist nicht zufriedenstellend, heißt es doch kurz und bündig, dass sie die Auffassung des ifo-Instituts nicht teilt. Das heißt, sie spielt das Thema herunter. Ich hoffe deshalb nur, dass sich die Bundesregierung nicht in absehbarer Zeit wieder korrigieren muss. Sie ist nunmehr dringend in der Pflicht, bei der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie in nationales Recht bis zum 1. Mai 2006 dafür Sorge zu tragen, dass kein Sozialmissbrauch sowohl kurzfristig als auch erst nach fünf Jahren möglich ist.

Interview:Hubert Obermaier