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Straubinger,Landshuter, 20.Mai 2004

"Auto-Kanzler" bremst das Grenzland ausInterview mit MdB Ernst Hinsken, Vorsitzender des Tourismus-Ausschusses im Bundestag

Herr Hinsken, die Schlagbäume nach Osten sind verschwunden. Mit der EU-Osterweiterung treten 74 Millionen Menschen in die Gemeinschaft ein. Ist mit einer Zunahme des Reiseverkehrs zu rechnen?

HINSKEN:Es gilt als gesichert, dass sich der Transitverkehr auf Grund der Erweiterung um bis zu 100 Prozent steigern wird. Für den grenzüberschreitenden Güterverkehr aus den Beitrittsländem werden Zuwächse um bis zu 200 Prozent prognostiziert. Eine Vielzahl grenznaher und grenzüberschreitender Straßen ist schon jetzt überlastet. Mehr Reisebewegungen werden die deutsche Tourismuswirtschaft, die überwiegend mittelständisch strukturiert ist, freuen. Bereits im Jahr 2003 gab es aus den osteuropäischen Staaten zusammen 6,4 Millionen Reisen nach Deutschland, davon waren 5,2 Millionen Reisen aus den neuen EU-Mitgliedsländern in Osteuropa, Die Anzahl der Reisen aus Polen stieg im Vorjahr um 1,8 Prozent, aus Tschechien sogar um 4,3 Prozent und aus Ungarn um 3,8 Prozent gegenüber 2002. Hohe Zuwächse gab es auch bei Reisen aus der Slowakei mit einem Plus von 7,3 Prozent sowie aus Lettland mit 7,8 Prozent. Bis zum Jahr 2005 soll die Zahl der Reisen aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten auf 5,6 Millionen steigen.

Sie sagten, die Tourismuswirtschaft wird sich über mehr Reiseverkehr freuen. Die Autofahrer werden freilich weniger Spaß daran haben!? Ihr Wahlkreis grenzt ja an Tschechien. Ist die Republik "gerüstet"?

HINSKEN:Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist auf die EU-Osterweiterung ungenügend vorbereitet. Der so genannte "AutoKanzler" hat alle Vorschläge der CDU/CSU ignoriert und die Entwicklung verschlafen. Zum Beispiel hat es die Koalition unterlassen, für die Erweiterung wichtige Verkehrsprojekte im Bundesverkehrswegeplan, der in Kürze nun zur Entscheidung ansteht, als vordringlichen Bedarf auszuweisen. Aber nicht nur in den Grenzregionen zu den Beitrittsländern hat die Bundesregierung die Probleme nicht in den Griff bekommen. Die geplanten Investitionskürzungen für den Erhalt und Ausbau der gesamtdeutschen Verkehrsinfrastruktur werden dem Standort Deutschland insgesamt schaden. Da auch weiterhin die Straße die Hauptlast zusätzlicher Verkehrsnachfrage tragen wird, ist ein gut ausgebautes Straßennetz von überragender Bedeutung im internationalen Standwettbewerb. Das gilt sowohl für die Wirtschaft im Allgemeinen wie für den Tourismus im Besonderen.

Warum ist ein gut ausgebautes Straßennetz so wichtig für den Tourismus?

HINSKEN:Mobilität ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Tourismus. Die Attraktivität touristischer Ziele steigt für den Reisenden mit der Qualität ihrer Erreichbarkeit. Von besonderer Bedeutung ist die Fahrzeit für Kurz- und Wochenendreisende. Jeder dritte Deutsche unternimmt jährlich mindestens eine Kurzreise, vorwiegend mit dem Auto, Tendenz steigend. Auch Tagesausflügler nutzen das Auto mit Abstand als häufigstes Verkehrsmittel. Nach Berechnungen des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr legen die Deutschen bei Tagesausflügen jährlich insgesamt eine Milliarde Kilometer zurück.

Wird das Auto auch bei längeren Reisen genutzt?

HINSKEN:Auch bei längeren Reisen ist das Auto nach wie vor der Deutschen liebstes Fortbewegungsmittel. Rund 55 Prozent der Deutschen reisten im vergangenen Jahr mit dem eigenen PKW in den Urlaub. Sie können dabei in Deutschland ein Netz von 32 Ferienstraßen nutzen. Das Auto sichert schließlich als jederzeit verfügbares Verkehrsmittel ein hohes Maß an Komfort und Individualität. Nicht von ungefähr haben wir einen Pkw-Bestand von 45 Millionen.

Wie wird sich das Verkehrsaufkommen entwickeln?

Institut Hamburg) Glauben schenken darf, werden zukünftig noch mehr Menschen mit dem Auto in die Ferien unterwegs sein. Eine Umfrage des Instituts brachte zu Tage, dass die Deutschen aus Spargründen und unter Sicherheitsaspekten bei Reisen noch mehr als bisher ins Auto steigen wollen. Verkehrsexperten gehen von einer Steigerung der Verkehrsleistungen beim Pkw um 20 Prozent aus. Mit den heutigen Kapazitäten wird die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland dieses Verkehrsaufkommen nicht mehr bewältigen können.

In den Ausschüssen des Deutschen Bundestages wird der Bundesverkehrswegeplan beraten. Welche Forderungen haben Sie?

HINSKEN:Gerade jetzt, in einer Phase der leichten Erholung der Branche, muss Mobilität als Grundvoraussetzung für Reiseverkehr sichergestellt werden. Die Bundesregierung muss auf die ökologisch begründete Diskriminierung von Straßenbauvorhaben bei der Bedarfsfeststellung des Bundesverkehrswegeplans verzichten und das deutsche Straßennetz wieder zu einem Vorzeigemodell in Europa machen. Regional betrachtet ist der Ausbau der B 20 wichtig, da durch das Fallen der Grenze der Verkehr aus Tschechien stark zunehmen wird.

Nach einer aktuellen Untersuchung des Fachbereichs der FH München stellt die EU-Erweiterung vor allem unsere ostbayerischen Heilbäder und Kurorte vor ernste Herausforderungen. Wie sehen Sie die Entwicklung in diesem Bereich?

HINSKEN:Unsere Bäder- und Kurorte müssen sich "warm anziehen". Ich fürchte, dass den neuen Mitgliedsländern künftig die gewährten 50-prozentigen Investitionszuschüsse der EU in den neuen Mitgliedsländern dem tschechischen Bäderviertel (Marienbad, Karlsbad, Franzensbad) im Grenzbereich weiteren Auftrieb verschaffen werden. Zudem sind die Sozialkosten um ein Mehrfaches niedriger als bei uns. Daher ist es für die Zukunft umso wichtiger, dass unsere Kurorte ihre speziellen Angebote entwickeln, sich auf ihre Stärken konzentrieren, ihren spezifischen Charakter und ihre Attraktionen herausstellen, um so an Profil zu gewinnen und Nischen zu besetzen. Als Modell für die Zukunft muss eine Kombination hoher medizinischer Standards mit innovativen kulturellen und gesundheitstouristisehen Konzepten angesehen werden.