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27.Juli 2004:

Von "hire and fire" bis zur sozialen Errungenschaft

Fast völlige Kündigungsfreiheit in USA und Schweiz - Ausgeprägter Schutz in Frankreich und Italien

(dpa) Im streikfreudigen FRANKREICH gehört der Kündigungsschutz zu den sozialen Errungenschaften, an denen nicht gerührt wird. Noch kein Politiker des konservativen Regierungslagers oder der sozialistischen Opposition hat bislang Überlegungen zur Aufhebung des Kündigungsschutzes laut werden lassen.

In der Diskussion um Verbesserung der Produktivität und um Verbilligung der teuren Arbeitskraft hat der Kündigungsschutz bislang keine Rolle gespielt. Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit wird in Frankreich zumeist mit Senkung sozialer Abgaben wie Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung gleichgestellt.

Die Kündigungsfrist liegt allgemein bei drei Monaten, eine fristlose Entlassung ist unter anderem wegen "schweren Fehlers" möglich. Bei der Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen ist das Kündigungsverfahren erschwert und bei langjähriger Betriebszugehörigkeit muss eine Abfindung gezahlt werden, die je nach Berufsgruppen stark schwankt.

In ITALIEN ist Ministerpräsident Silvio Berlusconi vor zwei Jahren an einer Lockerung des Kündigungsschutzes gescheitert. Massenproteste der Gewerkschaften haben ihn gezwungen, das Vorhaben ad acta zu legen. Dabei stand ohnedies nicht die Abschaffung des Kündigungsschutzes zur Debatte, sondern nur dessen probeweise Aufweichung in einigen Bereichen. Denn in kaum einem Land sind Arbeitnehmer so schwer auf die Straße zu setzen wie in Italien. Praktisch nur bei Vorliegen strafrechtlich relevanter Vergehen kann ein Unternehmen eine Kündigung aussprechen, ohne dass sie von einem Arbeitsgericht zurückgewiesen wird. Ansonsten bleibt keine andere Wahl, als mit dem Betroffenen eine einvernehmliche Lösung auszuhandeln - wie etwa sehr hohe Abfindungszahlungen (manchmal mehrere Jahresgehälter) oder Zwangsurlaub bei reduziertem Gehalt anzubieten.

Einzig Betriebe mit weniger als 15 Beschäftigte können ihre Arbeitnehmer ohne große Probleme kündigen. Da aus diesem Grund viele Unternehmen keine zusätzlichen Arbeitnehmer einstellen, wollte Berlusconi all jene, die sich über die "magische" Schwelle von 15 Beschäftigten wagen, von dem berühmten "Artikel 18" ausnehmen, der die Arbeitnehmer praktisch unkündbar macht.

Dagegen kommen die USA ohne einen generellen Kündigungsschutz aus. Im größten Industrieland der Erde können Unternehmen je nach geschäftlicher Lage Mitarbeiter entlassen, Betriebe und Werke schließen und bei Besserung der Situation wieder Mitarbeiter einstellen - es sei denn, sie haben in ihren Tarifverträgen mit den Gewerkschaften etwas anderes ausgehandelt. Der fehlende Kündigungsschutz gibt den US-Firmen enorme Flexibilität, ihren Beschäftigungsstand jeweiligen Bedürfnissen anzupassen. Sie dürfen allerdings bei Einstellungen und Entlassungen keine Diskriminierung wegen Alters, Geschlechts, Religion oder Rasse vornehmen. Kündigungsschutz genießen Beamte, die zum Teil Einstellungen auf Lebenszeit haben. Wer "gefeuert " wird, der erhält in der Regel nur sechs Monate lang Arbeitslosenunterstützung. Sie wird von den einzelnen US-Bundesstaaten verwaltet, die auch über Ansprüche, Höhe der Zahlungen und die Zahlungsdauer entscheiden. Die Arbeitslosenunterstützung wird in den meisten US-Bundesstaaten fast ausschließlich durch Steuern finanziert, die die Arbeitgeber allein zu tragen haben. Grundsätzlich deckt die Arbeitslosenunterstützung nur einen kleinen Teil der Bezüge der besser verdienenden US-Angestellten ab.

Auch wer in der SCHWEIZ einen Arbeitnehmer fragt, wie es in seinem Job mit dem Kündigungsschutz bestellt ist, bekommt die lapidare Antwort: "Lausig". Einige Eidgenossen sprechen sogar von" Kündigungsfreiheit". Die Arbeitgeber sehen das naturgemäß anders. Sie sind überzeugt, dass die Regelungen maßgeblich zur niedrigen Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent (Juni 2004) beitragen.

Laut Gesetz können beide Seiten in der dreimonatigen Probezeit mit einer Frist von sieben Tagen das Arbeitsverhältnis auflösen. Ansonsten richten sich die Fristen nach der Betriebszugehörigkeit. Bei weniger als einem Jahr kann innerhalb eines Monats gekündigt werden. Vom zweiten bis zum neunten Jahr sind es zwei Monate und anschließend drei.

Vor der Schweizer Variante des "hire and fire" schützen nur das Verbot der "missbräuchlichen Kündigung" und der "Kündigung zur Unzeit". Missbräuchlich wäre es, einen Beschäftigten wegen Geschlecht, Familienstand, Herkunft oder Nationalität auf die Straße zu setzen. Zur so genannten Unzeit zählen Krankheit, Unfall, Schwangerschaft bis zu 16 Wochen nach der Geburt, Teilnahme an einer Hilfsaktion im Ausland oder der Militärdienst. -dpa-