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Von Anfang an ein Individuum

Professor Günter Rager referierte über die Würde des Menschen in der Forschung

Landshut. Ein Embryo ist von Beginn an ein menschliches Individuum und somit schützenswert: Prof. Günter Rager bezog eindeutig Stellung, als er am Dienstagabend im gut besuchten Bernlochnersaal bei der Vortragsreihe "Grenzen - überwinden" der Verlagsgruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung über die Forschung am Menschen und die Würde der Person referierte. Der Debatte um die Forschung an menschlichen Embryonen und Stammzellen hatte erst kürzlich Justizministerin Brigitte Zypries einen neuen Anstoß gegeben. Sie sprach sich für eine Lockerung des Embryonenschutzes aus. Ihr Argument: Ein Embryo könne sich nicht von sich aus zum Menschen entwickeln. Der Embryologe und Neurobiologe Rager legte das Problem aus der Sicht beider Forschungsfelder dar.

Der Streit um die Embryonenforschung entzündet sich vor allem an der Frage, ab wann menschliches individuelles Leben beginnt, dessen Würde zu schützen ist. Die einen sagen, ein Embryo sei noch kein menschliches Individuum und sprechen ihm daher diese Würde ab. Die anderen sagen, dass schon mit der Befruchtung ein individueller Mensch entstehe, den man schützen muss. Das ist auch die Aussage Prof. Günter Ragers. Der Philosoph, Embryologe und Hirnforscher von der Universität Freiburg in der Schweiz erklärte in seinem Vortrag, dass bereits mit der Verschmelzung von Spermium und Eizelle die "genetische Einzigartigkeit des neu entstandenen Menschen festgelegt" sei. Daran ändere sich nichts mehr, nichts müsse mehr von außen hinzugefügt werden.

Der Embryo ist in diesem frühen Stadium mit einer äußeren Hülle ausgestattet, die ihn schützt und von der Umwelt abgrenzt, gleichzeitig aber einen Austausch von Signalen mit der Umwelt zulässt. Er ist damit ein "einheitliches, sich selbst organisierendes System". Genau das definiert ihn Rager zufolge im biologischen Sinn als Individium. Und genau das bestätigte der Bundestag im vergangenen Jahr, als er festhielt, dass "menschliches Leben mit der Befruchtung beginnt und daher unter dem Schutz der Grundrechte steht".

Justizministerin Brigitte Zypries sagte nun, dass ein Embryo in vitro, also in der Petrischale, nicht überlebensfähig sei. Dem stimmte Rager zu; doch betonte er, dass auch Erwachsene ohne angemessene Behausung und Ernährung nicht lebensfähig seien. Der Wissenschaftler sprach sich daher gegen die embryonale und damit in der Regel vernichtende Stammzellenforschung aus. Tatsächlich könne man in der Forschung an erwachsenen Stammzellen oder solchen aus der Nabelschnur viel mehr erreichen oder sei sogar schon weiter, sagte er. Diese würde er also vorziehen. In diesem Zusammenhang nannte es Rager fragwürdig, die Forschung an embryonalen Stammzellen aus dem Ausland zuzulassen: "ES geht immer um Embryonen". Und damit immer um die Menschenwürde.

Die Würde des Menschen ist allerdings nicht nur eine embryologische Frage. Sie werde - vor allem von der modernen Hirnforschung - für alle Menschen in Frage gestellt, sagte Rager. Das Hauptproblem sei, dass oft nicht mehr zwischen den Ergebnissen der Hirnforschung und deren Interpretation unterschieden werde.

Das zeige sich besonders in der radikalen Form des naturalistischen Reduktionismus: Diese Theorie versuche, mentale Akte wie Bewusstsein oder Erfahrung zu erklären; allerdings, indem mentale Akte auf die niedrige Ebene neuronaler Prozesse zurückgeführt und mit diesen identisch gemacht würden. Das hätte allerdings zur Folge, dass die klassischen Disziplinen, die sich mit diesem Thema befassen - Philosophie oder Psychologie - überflüssig würden, sagte Rager. In der radikalen Form bedeute das, dass der Mensch lediglich aus einer Kette von Ereignissen besteht. Mehr noch: dass das Selbst, als das der Mensch sich wahrnimmt, ebenfalls nicht existiere. Schlicht, weil es ja keinen zentralen Punkt im Gehirn gebe, an dem alles zusammenlaufe.

Rager suchte diese radikale Theorie zu entkräften, indem er erläuterte, dass die Wissenschaft noch nicht einmal genau klären könne, was ein Gen ist und was es macht. "Wir verstehen die elementare Ebene nicht. Am wenigsten verstehen wir die Ebene des Gehirns als Ganzen." Folglich könnten mentale Akte nicht auf eine neuronale Ebene reduziert werden.

Dazu verarbeitet das Gehirn Rager zufolge auch zu viele Einflüsse. Durch diese Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entwickelt sich das Individuum. Durch die Beziehung zur Umwelt entwickelt es eine Wahrnehmung für sich selbst, für seine Position in der Umwelt. Die Umwelt besteht also aus Objekten, die das Individuum wahrnimmt. Dadurch wird es zum Subjekt. Gleichzeitig ist es dem Mensch möglich, Erlebtes zu speichern und über die Sprache auch zu definieren. Damit liegt "das selbst-bewusste Selbst vor", sagte Rager. "Unser Selbst in eine Realität", führte der Professor den Gedanken fort. Und entkräftete damit die radikale Reduktionstheorie. Trotz der Veränderungen des Individuums bleibt es mit sich selbst identisch. Rager vertritt die aristotelische Auffassung, nach der Körper und Seele eine Einheit bilden - und nicht wie in der platonischen Lehre getrennt zu sehen sind. Rager folgt damit der gleichen Linie wie zwei Wochen zuvor Prof. Richard Heinzmann.

Das Nervensystem alleine, auf das der radikale Reduktionismus das Bewusstsein reduziert, ist laut Rager "allein funktionslos. " Nur im Zusammenspiel von Nervensystem und Körper "lebt das Individuum und stellt ein Selbst dar." Dieser Punkt verbindet auch die Embryologie mit der Neurologie - womit der Bogen zum Thema der LZ-Vortragsreihe, " Grenzen - überwinden" geschlossen ist.

Prof. Rager hatte eingangs gesagt, dass er es als sehr schwierig empfunden habe, die beiden Themen in einem Vortrag zu vereinen. Doch wie Dr. Martin Balle, Verleger der Zeitungsgruppe Straubinger Tagblatt/ Landshuter Zeitung, sagte, ist der Philosoph und Mediziner allein wegen seiner Berufswahl für derartige Grenzüberschreitungen prädestiniert. Die Vortragsreihe wird in zwei Jahren fortgesetzt. Katrin Filler