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VDI nachrichten, 9.7.04

Standpunkt: Der Aachener Wissenschaftler Günther Schuh hält hiesige Studieninhalte mit wenigen Einschränkungen für vorbildhaft "Deutsche Ingenieur-Ausbildung könnte Exportschlager werden"

VDI nachrichten, Aachen, 9. 7. 04 -

Die deutsche Ingenieurausbildung braucht keine internationalen Vergleiche zu scheuen. Praxisbezug und selbstständiges Lernen sind Trümpfe, um die uns andere Länder beneiden, meint der Aachener Wissenschaftler Prof Günther Schuh im Gespräch mit den

VDI nachrichten.

VDI nachrlchten: Wie attraktiv sind deutsche Hochschulen für ausländische Studenten?

Schuh:Deutsche Hochschulen sind heute inhaltlich mindestens so attraktiv für ausländische Studenten wie amerikanische oder englische Hochschulen. Unser Marketing und unsere Betreuungsangebote sind teilweise schlechter. Der Student einer guten englischen Universität erlebt einen deutlich direkteren Kontakt zu Professoren und einen umfassenderen Service, als wir das üblicherweise bieten. Hinzu kommt: Sie können beispielsweise einem Taiwan-Chinesen nicht erklären, dass ein gutes Studium nichts kostet. Ein Nachteil ist derzeit noch, dass nur ein kleiner Teil unserer Lehreinheiten in Englisch angeboten wird.

VDI nachrichten: Hat die Struktur mit Universitäten und Fachhochschulen Zukunft?

Schuh: Die deutsche Ingenieur-Ausbildung ist nach wie vor erstklassig, sie könnte aus dem Stand ein Exportschlager werden. Die überdurchschnittliche Beherrschung der mathematisch-/naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen inklusive Mathematik in Verbindung mit einem besonders starken Praxisbezug ergibt eine Mischung, um die uns viele Universitäten und Bildungspolitiker in der Welt beneiden. Den Praxisbezug in der Lehre erreichen wir besser als andere, weil die Dozenten und ihre Institute selbst beim Transfer und der Applikation von Technologien engagiert sind. In anderen Ländern dürfen und können das die Hochschulen nicht. Die Institute und Forschungseinrichtungen sind dort auch oft kleiner und limitierter. Es gibt jedoch auch bei uns noch Verbesserungspotenzial, indem wir etwa die Curricula noch klarer auf die angestrebten Qualifikationsprofile fokussieren, Redundanzen in Lehrangeboten vermeiden und die Didaktik mehr auf Problemlösungsfähigkeiten zu Lasten des Aneignens von Wissen ausrichten.

Da die Studienpfade von Bachelor zu Master kompatibler werden, eröffnen sich Studierenden künftig noch mehr Freiheiten, weil das Risiko kleiner ist, den falschen Weg zu wählen.

Ein wesentlicher Qualifikationsunterschied unserer Universitätsabsolventen gegenüber denen anderer Länder besteht in dem hohen Maß an Selbstständigkeit, das die Hochschulen systembedingt gewinnen. Persönlich befürchte ich, dass sie sich noch nicht bewusst sind, dass sie zukünftig zwei komplett verschiedene Studienprogramme anbieten: den Bachelor in unmittelbarer Konkurrenz zu den Fachhochschulen, und den Master, der auch möglichst viele Absolventen der Fachhochschulen anziehen soll. Denn es fehlen auf lange Sicht noch jede Menge Ingenieure, TH'Ier und FH'Ier.

Häufig werden uns die langen Studiendauern an den Hochschulen als qualitativer Nachteil vorgeworfen. Hier hilft ein konkreter Blick in die Realität. Man kann ohne weiteres sein Diplom z. B. an der RWTH Aachen in zehn Semestern erreichen. Die Mehrzahl unserer Studenten nutzt aber die Möglichkeit von konkreter Projektarbeit in unseren Forschungs- und EntwicklungsProjekten im Rahmen von Hiwi-Tätigkeiten als eine wertvolle, außer-curriculare Ausbildung.

VDI nachrichten: Wie wichtig ist die Vergleichbarkeit der Abschlüsse?

Schuh:Es wird vermehrt darum gehen, trotz der gleich lautenden Abschlüsse Bachelor und Master, die Unterschiede zwischen den Hochschulen und Standorten - möglichst die Einzigartigkeiten - heraus zu stellen. Die Differenzierung muss nun stärker über die konkreten curricularen Unterschiede und andere Standortvorteile deutlich gemacht werden.

Bisher heißt es: "Wow, ein Dipl.-Ing.!" Morgen wird das wohl lauten: "Master of Science, but from Germany". Die bessere Vergleichbarkeit der Studienstrukturen ist schon hilfreich. Wir können bei der Werbung um die besonders guten ausländischen Studierenden diesen eine einfache, selbsterklärende Kompatibilität zu anderen akademischen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen bieten. Wichtig ist die Vergleichbarkeit von Studiengängen jedoch nur für den ersten Qualifizierungsabschnitt (Bachelor) im Hinblick auf den dann möglichen einfachen Studienortswechsel.

VDI nachrichten: Wer löst die verwirrende Diskussion um Bachelor, Master und Diplom auf?

Schuh: Die T9, d.h. die neun führenden Technischen Universitäten in Deutschland haben soeben in wesentlichen Punkten eine Klärung herbeigeführt, die hoffentlich von allen Ingenieurfakultäten der Universitäten übernommen wird. Gelingt das nicht, wird offensichtlich die Politik die Verwirrung auflösen, wie das z. B. Hannelore Kraft als Wissenschaftsministerin in NRW teilweise schon getan hat. Aufgrund der politischen Randbedingungen ist davon auszugehen, dass das Diplom in absehbarer Zeit vollständig durch Bachelor und Master ersetzt wird. Es ist kein Wunder, dass sich die Hochschulen massiv gewehrt haben. Hat doch das Ingenieur-Diplom eine bärenstarke Reputation in der Welt erreicht. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass diese Reputation nicht primär an dem Titel "Diplom" gehangen hat, sondern vielmehr an der besonderen Güte (s. o.) der deutschen Ingenieur-Ausbildung. Ein bärenstarkes Produkt gibt es nicht im Schnellschuss. Wir müssen sämtliche Qualitätsmerkmale des Dipl.-Ing. in das Master-System retten und sogar noch einige hinzu gewinnen. Das braucht Zeit und einen breiten expliziten Diskurs innerhalb der Hochschulen und mit der Industrie, damit diese sich auch wirklich auf die "neuen" Absolventen freut und diese wertschätzen kann.

VDI nachrlchten: Hinkt die deutsche Universitätsausbildung tatsächlich der US-amerikanischen so weit hinterher, wie uns viele weis machen wollen?

Schuh:In der universitären Ingenieur-Ausbildung gilt diese Aussage Überhaupt nicht - es ist eher sogar umgekehrt. Unsere Ingenieur-Ausbildung ist der amerikanischen - auch der Ausbildung an Elite-Universitäten – aus zwei Gründen überlegen: - Die Problemlösefähigkeiten werden durch unsere Grundlagenstärke in Verbindung mit fachspezifischen Problemstrukturierungstrainings an realen Fällen besser entwickelt, als das über ausgefeilte Case Studies erreicht wird.- Wir können unseren Studierenden auch bei großen Studentenzahlen - das konkrete Mitarbeiten und Erproben von Techniken an realen Problemstellungen bieten, nicht zuletzt durch unsere großen Forschungsinstitute, was in Amerika u. a. wegen deren Leistungsauftrag und Selbstverständnis (u. a. dem Anspruch auf exklusive Property Rights) weniger möglich ist.

Natürlich ist es richtig, dass unsere Studenten mehr auf sich gestellt sind, sich selber durchschlagen müssen. Dies führt jedoch zu einem wesentlichen Qualifikationsmerkmal unserer Absolventen. Demgegenüber wird man an US-Elite-Unis mehr geführt, häufiger geprüft und auch inhaltlich überwacht. Das Studium ist dadurch nicht gehaltvoller oder schwieriger und die Dozenten sind auch nicht besser.

VDI nachrichten: Wie könnte der deutsche Weg einer "Elite-Ausbildung" aussehen?

Schuh:Elite muss hier heißen: "Intellektuelle Elite". Dazu gehören Anreize für die Schlauesten, d. h. Stipendien. Das fehlt noch in Deutschland. Eine solche Elite-Uni entsteht dann, wenn sich die Begabtesten aus allen Schichten herausgefordert fühlen und sich obendrein noch besonders anstrengen. Diese Studierenden kommen an besonders guten Hochschulen zusammen, brauchen wegen ihrer hervorragenden Leistung keine Studiengebühren zu bezahlen und werden um 50 % andere - auch gute, aber nicht so herausragende Studierende - ergänzt, die dafür Studiengebühren bezahlen müssen. Die Studiengebühren müssen zusätzliches Geld für die Universitäten sein, um die Studienbetreuung und die didaktischen Möglichkeiten ausbauen und eigene Forschungsprogramme auflegen zu können. Diese Konstellation lockt automatisch die besten Dozenten und Forscher an.

VDI nachrlchten: Wie kann die Politik den Prozess der Internationalisierung unterstützen?

Schuh:Die Politik sollte international kompatible Standards setzen. Sie sollte Studiengebühren zulassen und darüber hinaus innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems die Voraussetzung schaffen, dass wir verstärkt mit Bildung international Geschäfte machen dürfen. Kurzfristig wichtiger ist der Aufbau eines Stipendiensystems, das Leistung mehr fördert und deutlich über das Bafög-System hinausgeht.