Landshuter,Struabinger, 29.Okt 2004

Weg für bessere Kleinkinderbetreuung ist frei

Gesetz soll Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern –

Opposition: Nicht finanziell abgesichert Berlin. (dpa/AP) Eltern können mittelfristig für ihre Kleinkinder auf mehr Plätze in Krippen, Kindergärten und bei Tagesmüttern hoffen. Mit den Stimmen der rot-grünen Koalition verabschiedete der Bundestag am Donnerstag ein Gesetz, das von Januar an einen deutlichen Ausbau der Betreuungsangebote für die unter Dreijährigen bis 2010 vorsieht - und dies vor allem in Westdeutschland. Trotz Übereinstimmung in den Zielen des Gesetzes enthielten sich Union und FDP. Die Opposition sieht die Schaffung der 230000 neuen Plätze nicht ausreichend finanziell abgesichert. Die in der Endstufe fälligen 1,7 Milliarden Euro pro Jahr sollen letztlich durch Einsparungen im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktreform Hartz IV aufgebracht werden. Schon im kommenden Jahr werden rund 600 Millionen Euro fällig. Direkte Finanzzuweisungen des Bundes an die Kommunen sind nicht vorgesehen. Das Geld soll von den Ländern kommen.

Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) sagte: "Wir werden es schaffen, dass Westdeutschland nicht weiter ein Entwicklungsland bei der Kinderbetreuung bleibt." Union und FDP befürchten, dass wegen der offenen Finanzfragen letztlich die Betreuungsgebühren zu hoch ausfallen würden. "Wir wollen keine Betreuung nur für Besserverdiener", sagte der kommunalpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Peter Götz.

Für Streit sorgte in der Debatte auch ein Verfahrens-Schächzug der rot-grünen Koalition. Sie hatte Dienstagabend das Gesetz in einen zustimmungsfreien und einen zustimmungspflichtigen Teil aufgespalten. Damit wollte die Regierung verhindern, dass der unionsdominierte Bundesrat den Ausbau der Kinderbetreuung schon zu Beginn des kommenden Jahres noch stoppen kann. Schmidt begründete dies damit, dass der Ausbau nicht weiter verzögert werden dürfe.

Mit dem Gesetz will die Koalition vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die frühkindliche Erziehung fördern. Auf das Angebot sollen vor allem Familien mit berufstätigen Eltern oder alleinstehende Erziehende zurückgreifen können. Die familienpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion Maria Eichhom (CSU) warf der Bundesregierung vor, damit den Belangen von Familien mit vielen Kindern nicht gerecht zu werden, in denen ein EIternteil nicht berufstätig ist.

Ein Anspruch auf einen Kleinkinder-Platz ist im Gegensatz zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nicht vorgesehen. Mit dem Gesetz soll auch der Westen Deutschlands endlich Anschluss finden an Standards, wie sie bei der Kinderbetreuung im Ausland längst üblich sind. Nur für 2,7 Prozent der Kinder unter drei Jahren gibt es im alten Bundesgebiet Betreuungsangebote - für 37 Prozent dagegen in den neuenLändern.

Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der Opposition vor, die Lebenswirklichkeit vieler Familien nicht zu kennen. Koalitionsredner verwiesen auch darauf, dass das Geld aus den Einsparungen bei Hartz IV den Ländem zugute kommt.

Gut für Eltern und Kids

von Markus Sauer

Bundespräsident Horst Köhler hat eindringlich appelliert: "Wir müssen uns alle anstrengen, eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft zu werden." Das gestern vom Bundestag mit der Mehrheit der Regierungsparteien verabschiedete Gesetz zur Kinderbetreuung ist ein wichtiger Schritt dorthin. Über finanzielle Förderung können sich Eltern im Vergleich zu anderen EU-Ländern kaum beklagen: Pro Kind 154 Euro Kindergeld, ab dem vierten 179 Euro, Erziehungsgeld, Steuerfreibeträge, Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und die Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung - das ist Europarekord. Ganz anders sieht es leider bei der Kinderbetreuung aus. Für 90 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen stand zwar schon 1998 ein Halbtagsplatz zur Verfügung. Doch nur drei Viertel gehen in dieser Altersgruppe tatsächlich in den Kindergarten. Mit Ganztagsangeboten sieht es besonders im Westen noch immer schlecht aus. Bei den unter Dreijährigen wird sogar nur jedes zehnte Kind extern betreut. Zum Vergleich: In Schweden ist es fast die Hälfte. Familie und Beruf sind in Deutschland für zumindest einen Elternteil kaum vereinbar. Für Alleinerziehende wird es ganz schwer. Der "Karriereknick" mit allen auch finanziellen Konsequenzen ist kaum zu vermeiden. Darum ist zu begrüßen, dass die Zeit des politischen Lamentierens in dieser Frage endlich vorbei ist. Auch dank der Umgehung des Bundesrats. Es ist aber nicht damit getan, Vorgaben ins Gesetz zu schreiben. Diese müssen von den Kommunen auch finanziell erfüllt werden können. Hier sind die Bedenken der Union berechtigt. Gleichwohl muss alles getan werden, das Ziel zu erreichen. Zumal die Sozialsysteme durch den Geburtenrückgang in eine prekäre Lage geraten sind. Und: Länder mit einer vorbildlichen Kinderbetreuung haben beim Pisa-Test wesentlich besser abgeschnitten. Das Vorhaben hat also auch große Bedeutung für den Bildungsstandort Deutschland.

VON MARCUS SAUER

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