Straubinger, 31.Mai 2005

Angela Merkel: Ich will Deutschland dienen

CDU-Chefin einmütig zur Kanzlerkandidatin nominiert - Edmund Stoiber sichert ihr Unterstützung zu - Union nimmt mit Kompetenzteam Kampf um Machtwechsel auf

Berlin. (dpa/AP) Mit einer demonstrativ einmütigen Nominierung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zur ersten Kanzlerkandidatin in Deutschland hat die Union den Kampf um den Machtwechsel im Herbst aufgenommen. Unter dem Eindruck der jüngsten CDU Wahlerfolge bestimmten die Präsidien der Unionsparteien am Montag Merkel per Akklamation erwartungsgemäß zur Herausforderin von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD).

Merkel will die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt der Wahlkampfs stellen. Mit Blick auf die Unionsdebatte über eine Mehrwertsteuererhöhung im Zusammenhang mit einer grundlegenden Steuer- und Gesundheitsreform kündigte die 50-Jährige nach der Sitzung an, das Wahlprogramm der Union werde "mit dem Mut zur Ehrlichkeit" geschrieben werden. Sie wolle keine Zuspitzung des Wahlkampfs auf den Bundeskanzler und sich. "Ich will Deutschland dienen."

In der Sitzung hatte der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber Merkel als Kanzlerkandidatin vorgeschlagen. Dies wurde von den Präsidiumsmitgliedern mit starkem Beifall aufgenommen. Stoiber wertete dies als Zustimmung. Eine formelle Abstimmung fand danach nicht statt.

"Angela Merkel hat das volle Vertrauen und die Unterstützung von CDU und CSU", sagte Stoiber unter langem Applaus von Partei- und Fraktionsmitarbeitern bei der anschließenden Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus. Merkel dankte bewegt "für die Unterstützung und das Vertrauen".

Merkel ist die erste Frau, die in Deutschland für das Amt des Bundeskanzlers kandidiert. Sie hatte nach einem internen Machtpoker 2002 noch Stoiber den Vortritt lassen müssen. Nun betonte Stoiber, dass die CSU die Kandidatur voll unterstützen werde, so wie dies die CDU vor drei Jahren bei seiner Bewerbung getan habe. Merkel und er hätten sich im Verlauf der vergangenen Wochen auf den Vorschlag für die Kanzlerkandidatur verständigt. Nach einer Serie von Wahlerfolgen trete Merkel mit einer "großartigen Bilanz" an.

Nach Merkels Angaben will sie ein "Kompetenzteam" als Wahlkampfmannschaft präsentieren. Namen wollte sie noch nicht nennen. Stoiber will sich nach den eigenen Worten bis nach der Wahl die Entscheidung offen halten, ob er nach einem Wahlsieg in ein Kabinett Merkel wechselt. Diese Frage müsse er dann in der CSU klären.

CDU-Generalsekretär Volker Kauder appellierte in der Sitzung nach dpa-Informationen an die Teilnehmer, jetzt nicht einzelne Punkte des Wahlprogramms zu diskutieren. Es zähle das Gesamtkonzept. Die Union müsse sich auch als Gegenpart zu Rot-Grün profilieren.

Beide Parteien wollen am 11.Juli ihr gemeinsames Wahlprogramm für die Auseinandersetzung mit Rot-Grün präsentieren. mit Sonderparteitagen der CDU (28.August in Dortmund) und der CSU (2./3. September in Nürnberg) werde die heiße Phase des Wahlkampfes beginnen.

Die FDP gratulierte Merkel zur Nominierung. "Wir freuen uns auf einen guten Wahlkampf mit unserer Kanzlerkandidatin", sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel in Berlin.

SPD und Grüne begannen dagegen bereits mit Attacken auf Merkel. SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter erinnerte daran, dass Merkel schon dem "abgewählten" Kabinett von Alt-Kanzler Helmut Kohl angehört habe. Die beiden Grünen-Fraktionsvorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt erklärten, Merkel müsse jetzt Farbe bekennen und sagen, was sie wolle.

 

Die Union feiert die Nominierung

von Merkel wie einen Wahlsieg

Von unserem Berliner Korrespondenten Martin Ferber

AIle Augen sind auf ihn gerichtet. Edmund Stoiber, der mächtige CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, hat es in der Hand. Er, und nur er allein, kann seiner CDU-Kollegin Angela Merkel den Ritterschlag erteilen und sie in der gemeinsamen Sitzung der Präsidien von CDU und CSU an diesem Montag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus zur Kanzlerkandidatin der Union küren. Und Stoiber ziert sich nicht lange. Die Entscheidung ist ohnehin längst gefallen, in der Partei, in der Fraktion und in der Öffentlichkeit gibt es keinen Zweifel, dass die 50-jährige promovierte Physikerin als erste Frau die beiden Schwesterparteien als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf führt und im Falle eines Wahlsieges ins Kanzleramt einzieht. Sie braucht nur noch den offiziellen Segen der Schwesterpartei.

Stoiber redet nicht lange um den heißen Brei herum. Schon unter der Woche haben die Chefs der bei den C-Parteien, die sich persönlich schätzen und gegenseitig vertrauen, ein längeres Gespräch geführt und die Personalentscheidung getroffen, die im Grunde schon Anfang Mai geklärt worden sei, jetzt informiert der Bayer die Spitzen beider Parteien. Er würdigt Merkels Erfolge bei den zurückliegenden Landtagswahlen, lobt ihre Leistung an der Spitze der gemeinsamen Bundestagsfraktion und erinnert daran, wie loyal sie seinen Wahlkampf vor drei Jahren unterstützt habe. Deswegen gebe es keinen Zweifel, dass sie als Vorsitzende der größeren Partei auch die Union in den Wahlkampf führen solle, er Stoiber, werde sie dabei "voll und ganz" unterstützen.

Im großen Sitzungssaal des Adenauer-Hauses brandet Beifall auf, eine förmliche Abstimmung -gibt es nicht. Das ist es, was die Granden beider Parteien hören wollten. Der Machtmensch Stoiber zollt der Strategin Merkel Respekt und ordnet sich ihr um des gemeinsam anzustrebenden Wahlsieges unter. Er verspricht Loyalität und Geschlossenheit, die volle Unterstützung der bayerischen CSU. Später, vor der Presse, erneuert er vor den laufenden Kameras sein Versprechen: "Ich werde alles tun, damit Sie die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland werden."

Die Nominierung Merkels feiert die Union bereits wie einen Wahlsieg. Im Adenauer-Haus herrscht Party Stimmung, noch heiterer, noch ausgelassener als am Sonntag vor einer Woche nach dem Erdrutsch-Sieg im roten Stammland Nordrhein-Westfalen. Berliner Parteimitglieder sowie Mitarbeiter der Partei und der Fraktion haben sich eingefunden, um mit einigen Abgeordneten, den Landesvorsitzenden und einer ganzen Reihe von Ministerpräsidenten bei Curry-Wurst und Rotkäppchen-Sekt die Personalentscheidung zu feiern. Als Merkel und Stoiber gemeinsam vor die Presse treten, wollen der Beifall und die Bravo-Rufe kein Ende nehmen, die Euphorie ist buchstäblich mit Händen zu greifen. Die beiden Parteivorsitzenden strahlen um die Wette, immer wieder flüstern sie sich etwas ins Ohr und bekräftigen die Aussage des jeweils anderen durch kräftiges Nicken. Ein Bild der perfekten Harmonie. Obwohl Schröders überraschende Ankündigung, den Bundestag auflösen und Neuwahlen anstreben zu wollen, die alle strategischen Planung über den Haufen geworfen hat, freut sich die Union auf den Wahlkampf mit Angela Merkel an der Spitze. "Die Motivation könnte besser kaum sein", schwärmt Friedbert Pflüger, der außenpolitische Sprecher der Fraktion, die Partei sei "heiß". Der thüringische Ministerpräsident Dieter Altbaus, nicht gerade als Temperamentbolzen bekannt, spricht begeistert von einem "historischen Tag", weil es gelungen sei, die Personalfrage derart einvernehmlich zu lösen. Und CSU-Landesgruppenchef Michael Glos antwortet auf die Frage, wie er die Nominierung Metkels empfinde, kurz und knapp mit "fantastisch".

Nur eine lässt sich von der allgemeinen Euphorie nicht anstecken - Angela Merkel. Selbst am Tag ihres größten Triumphes bleibt sie auf dem Teppich, nüchtern und zurückhaltend, um ihre Truppe beinahe beschwörend auf den Wahlkampf einzustimmen. "Ich mache mir nichts vor: Wir werden nach einem Regierungswechsel eine schwere Hinterlassenschaft von ungelösten Problemen vorfinden."Und dann lautet sie bereits die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ein und formuliert ihre politischen Ziele. Sie fordert eine "Agenda Arbeit" statt der "Agenda 2010" des Kanzlers, sie will die "Wir-Gesellschaft" statt der "Ich AG", sie verspricht eine "Politik aus einem Guss" statt "ständigen Nachbesserungen". Und sie kündigt ein Wahlprogramm "mit dem Mut zur Ehrlichkeit" an. "Kein Problem wird schön geredet, keine Allwissenheit vorgetäuscht oder Patentrezepte formuliert, wo es keine Patentrezepte gibt." Vor allem stellt sie unmissverständlich klar, dass es ihr nicht um das Amt und ihre Karriere gehe. "Wir wollen Deutschland dienen. Ich will Deutschland dienen", verspricht sie. In der Tat, solche Töne hat man in der deutschen Politik schon lange nicht mehr gehört.

Und was wird aus Stoiber?

Spekulationen über künftige Posten für CSU-Chef

Von unserem Berliner Korrespondenten Rudi Wais Irgendwie ist es auch sein Tag. Edmund Stoiber dreht sich gleicht nach links, wo Angela Merkel steht, und verspricht: "Sie werden mich immer an Ihrer Seite haben." Der Beifall, der in dieser Sekunde ausbricht, ist sein Beifall, herzlich und aufmunternd zugleich. Der Mann aus München macht nicht den Eindruck, als trauere er noch einer verpassten Chance nach. Im Gegenteil. Das vorzeitige Ende von Rot-Grün, das nun Merkels vorzeitige Nominierung erzwingt, "ist das Beste, was Deutschland passieren kann. "

Bleibt Stoiber nun in München, oder geht er nach Berlin? Der CSU-Chef selbst sagt, was er immer sagt: "Das eine ist reizvoll, das andere genauso." Entscheiden werde er sich erst am Wahltag. Als Ministerpräsident in Rente gehen, unkt ein CDU-Präside, könne der Bayer wohl kaum. "Wir brauchen Stoiber in Berlin." Aus zwei Gründen: Zum einen hat keiner in der Union mehr Regierungserfahrung, zum anderen gibt es selbst im Merkel-Lager Menschen, die gelegentlich Angst vor der eigenen Courage bekommen. Mit Stoiber und dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller im Kabinett, sagt einer von ihnen, könne der neuen Regierung niemand mehr kühlen Neoliberalismus und unbarmherzigen Reformeifer vorwerfen. Nach dieser Logik wäre Stoibers Wechsel in die Bundespolitik unausweichlich. In welcher Funktion jedoch - darüber gehen die Meinungen und Spekulationen auseinander. "Stoiber wäre ein glänzender Finanzminister", sagt ein Ministerpräsident der Union. "Aber kein so guter Wirtschaftsminister." Da denkt der Landesfürst aus Bayern vielen in der CDU etwas zu sozialdemokratisch. Dennoch: Sollte er ein Superministerium für Wirtschaft und Finanzen für sich reklamieren: Wer wollte es ihm verwehren? Dass Stoiber Außenminister wird, gilt bislang als eher unwahrscheinlich - es sei denn, die Union würde die absolute Mehrheit erobern. Dann würde er wohl als Vizekanzler ins Auswärtige Amt einziehen. Der CSU-Europapolitiker Gerd Müller indes sähe seinen Parteichef auch in einer schwarzgelben Koalition gerne dort. Da bis zu 80 Prozent der deutschen Politik inzwischen von Brüssel abhingen, argumentiert er, müsse das Außenamt nach einem Wahlsieg zu einer "mächtigen Bastion" ausgebaut werden und auch für die Europapolitik verantwortlich sein. Ein solches Ressort könnte für Edmund Stoiber durchaus von Reiz sein, glaubt der Abgeordnete aus dem Allgäu, der auch stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe ist. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt er: "Wir gehen davon aus, dass Stoiber nach einem Wahlsieg im Kabinett sitzen wird."

Leichter hätte er es als Außenminister allemal: Das Beispiel seines früheren Kollegen Wolfgang Clement, der im Herbst 2002 als Superminister für Wirtschaft und Arbeit aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin ging und politisch inzwischen schwer angeschlagen ist, führt ihm in diesen Tagen anschaulich die Risiken eines solchen Super-Amtes vor: Im öffentlichen Ansehen vor allem von den monatlichen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit abhängig, dazu noch die Milliardenlöcher im Bundeshaushalt, die Stoiber dann mit zu verantworten hätte: Ein Minister für Wirtschaft und Finanzen könnte schon bald der Buhmann der neuen Regierung sein.

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