Mittelbayerische, Straubinger 19.11.2005
Statt mit Champagner wurde
nur mit Wasser angestoßen
Nüchterne Feier bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages
VON REINHARD ZWEIGLER, MZ

BERLIN. "Halle des Volkes" wird die riesige überdachte Mittelhalle im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages genannt. Die triste Halle ist benannt nach dem ehemaligen ersten Alterspräsidenten des Bundestages von 1949. Sie ist etwa halb so groß wie ein Fußballfeld und fast 40 Meter hoch. Hierhin hatten die beiden Groß-Koalitionäre von Union und SPD gestern Mittag zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrages geladen. Statt Pomp mit Blumen und Champagner gab es lediglich eine viertelstündige, nüchterne Zeremonie.

Auch auf einen festlichen Rahmen mit Musik, wie noch vor drei Jahren bei der rot-grünen Vertrags-Unterzeichnung in der Nationalgalerie, hatte man verzichtet. Schlicht und einfach, ohne Ehrengäste, ohne den Noch-Kanzler Gerhard Schröder und ohne den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert ging die kurze Feier über die Bühne. Alles ganz dem Motto, des umfangreichen Regierungsvertrages "Gemeinsam für Deutschland mit Mut und Menschlichkeit" entsprechend.

"Michael, schau her, die kriegst ein Wasser", rief ein aufgeräumter Edmund Stoiber dem künftigen Wirtschaftsminister Michael Glos zu, der gestern noch als Chef der CSU-Landesgruppe den Vertrag unterschrieben hatte. Die sechs Unterzeichner des Koalitionsvertrages stiegen denn auch mit Wasser an. Sekt stand zwar auch bereit, doch das prickelnde Getränk wurde von den meisten Politikern glatt verschmäht. Nüchtern gingen Union und SPD an ihre Arbeit.

Angela Merkel, die am Dienstag vom Bundestag zur ersten Kanzlerin gewählt werden soll, beließ es dann auch bei einer kurzen Rede an die "lieben Kollegen und Kolleginnen". Der Koalitionsvertrag, mit Anhang genau 192 Seiten stark, sei die Basis der künftigen Regierungsarbeit.

"Mehr Kinder zeugen"

Allerdings sei der Vertrag nur Papier. Er müsse nun mit Leben erfüllt werden. Die CDU-Chefin beschwor den Geist der "Ernsthaftigkeit, Entschlossenheit und Zuversicht", den dieser Vertrag atme. Mit "Fröhlichkeit und Leidenschaft" will die künftige Kanzlerin an die Arbeit gehen.

Auch in den Zielen gab sich Merkel gestern relativ bescheiden. Die Menschen sollten 2009 am Ende der Koalitionszeit sagen können, es gehe ihnen ein Stück besser als 2005. Die Koalition wolle Mut beweisen und eine "menschliche Politik" machen. Die neue Harmonie zwischen den einstigen politischen Gegnern verdeutlichten eher Kleinigkeiten am Rande. So rückten beim Gruppenbild des künftigen Kabinetts SPD- und Unions-Politiker freundschaftlich zusammen. Und der neue SPD-Chef hakte die künftige Kanzlerin - beide Ostdeutsche sind gleich alt und in Brandenburg aufgewachsen - gleich unter.

In der nüchtern-kühlen Atmosphäre der riesigen Abgeordnetenhalle, in der allerdings auch schon ein zünftiger Abgeordneten-Fasching gefeiert wurde, erzeugte Platzeck ungewollt Heiterkeit. Die Koalition müsse unter anderem dafür sorgen, "dass die Menschen wieder mehr Lust bekommen, Kinder zu zeugen", meinte der geschiedene 51-Jährige, der selbst drei erwachsene Töchter hat und seit vier Jahren mit Lebensgefährtin janette jesorska in Potsdam-Babelsberg zusammen lebt. Deutschland müsse ein Land der Kinder werden. Fortschritt, Wissenschaft und Technologie seien der "Stoff aus dem die Zukunft gemacht wird", unterstrich Platzeck und prostete Merkel zu - mit Wasser. Eben Selters statt Sekt.

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