Überwachung: Terrorangst fordert Ausbau von Abhörmöglichkeiten -
Experten stellen Effizienz von Lauschangriffen in Frage

Ab 2005: Tiefe Einsichten in gläserne deutsche Bürger
VDI nachrichten, Düsseldorf, 10. 12. 04 -

Telefonkunden und Internetnutzer geraten zunehmend ins Visier der Terrorfahnder. Ab 2005 stärker denn je. Zudem erlaubt das neue "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" vielen Behörden tiefe, unbemerkte Einsichtnahmen.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries lobte am Mittwoch dieser Woche die Ermittlungsbehörden: Der Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi konnte dank ihrer Arbeit vereitelt werden. Dabei gaben telefonische Lauschangriffe die entscheidenden Hinweise. Doch in Zeiten der Terrorgefahr scheinen die aktuellen Überwachungsmöglichkeiten nicht auszureichen.

Daher müssen ab Januar 2005 Internetprovider teuere Lauschboxen zum Abhören des E-Mail-Verkehrs bereithalten. Die Abhörbefugnisse des Bundeskriminalamtes, des Bundesnachrichtendienstes und des Zolls werden ausgeweitet. Zudem planen die Innen- und Justizminister der EU zurzeit eine Verpflichtung aller Telekommunikationsanbieter, Verkehrsdaten ein bis drei Jahre lang auf Vorrat zu speichern. Betroffen davon: Telefonate, E-Mails, SMS, Chatnotizen und vieles mehr.

Noch durchsichtiger macht ab April das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" die Bürger. Alle, die sich von Amts wegen für das Einkommen Einzelner interessieren, können dann auf Stammdaten aller Konten und Depots in Deutschland zugreifen. Richterliche Anordnungen? Information des Bürgers? Fehlanzeige. Jeder Sachbearbeiter des Sozialamts oder des Bafög-Amts kann tätig werden. "Die Heimlichkeit ist das Unheimliche", warnt Anwalt Peter Bohnenkamp.

Laut Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, seien Behörden bemüht, unter Einsatz moderner Technik "alle möglichen Lebenssachverhalte zu erfassen, um damit Fehlverhalten frühzeitig zu erkennen". Der Einzelne werde Gegenstand einer Durchleuchtung, deren Umfang er nicht mehr durchschauen könne.

Für die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) sind Orwell'sche Visionen längst Realität. Und das, obwohl Experten die Lauschangriffe technisch und organisatorisch in Frage stellen. Die Datenflut sei für die Behörden kaum zu bewältigen. Täter besäßen klassischerweise mehrere Handys; Fremdsprachen erhöhten den Abhöraufwand immens, klagen Polizeikreise. Die E-Mail-Spionage gar könne mit frei verfügbaren Verschlüsselungsprogrammen leicht umgangen werden.

So warnte auch Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, "dringend" davor, angesichts der internationalen Terrorgefahr, "das durchaus legitime Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu nutzen, um Freiheitsrechte über das Maß der Verhältnismäßigkeit hinaus einzuschränken". Seiten 16 und 19 PS/RB

 

Überwachung: Das Fernmeldegeheimnis wird löchriger - Kosten für eigene Beschnüffelung tragen Bürger
Rundum beschattet im elektronischen Leben
VDI nachrichten, Berlin, 10. 12. 04 -

Von Januar an müssen Internetprovider teure Lauschboxen zum Abhören des E-Mail-Verkehrs vorhalten. In Brüssel wird schon der nächste Überwachungshammer geschmiedet: die Komplettaufzeichnung der elektronischen Bewegungskoordinaten von Bürgern.

Website-Betreiber, die beim westfälischen Internetanbieter Canhost ihr Online-Grundstück bezogen haben, staunten im November nicht schlecht: DerWebhoster hatte die Inboxen seiner Vertragspartner überraschend mit der Nachricht gefüllt, dass er die "enormen Kosten" für die vom Staat geforderte E-Mail-Überwachung "auf die Kunden" umlegen müsse. Da man von Preiserhöhungen absehen wolle, "haben wir uns entschlossen, eine einmalige Beteiligung in Höhe von 5 E pro Kundenaccount zu erheben."

Das Beispiel könnte Schule machen. Die Providerbranche stöhnt angesichts des Starttermins für die E-Mail-Überwachung gemäß der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) am 1.1.2005. Während große Telekommunikationsfirmen gerade dabei sind, ihre Anlagen mit enormen Aufwand abhörgerecht zu machen, beschäftigen sich viele kleine Internetanbieter erst jetzt mit den nach dem 11. 9. 2001 verabschiedeten Auflagen. Dabei geraten sie teils in Existenzangst. Schießlich rechnet der Verband der deutschen Internetanbieter eco mit Einstiegskosten für die Abhörtechnik von"20 000 E an aufwärts".

Es sind nicht nur höhere Preise, die mit dem planmäßigen Lauschangriff auf die E-Post letztlich auch auf die Verbraucher zukommen. Datenschützer und die Wirtschaft haben prinzipielle Bedenken. "Wir Provider müssen per Gesetz am gläsernen Menschen mitarbeiten", beschwert sich Claudia Zimmermann, Sprecherin des Breitbandanbieters QSC. Wenn die Anbieter den Ermittlern künftig die Kommunikationsdaten verdächtiger Nutzer über die standardisierte Schnittstelle auf dem Silbertablett servieren müssen, "werden die Behörden davon inflationär Gebrauch machen", fürchtet Francisca Stache, Geschäftsführerin des Providers http.net. Die Angst geht um, dass der Überwachungsapparat zum "Selbstbedienungsladen" wird und die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen sich in den "Black Boxen" nicht mehr kontrollieren lässt.

Noch kapitalere Gefährdungen für die Privatsphäre - und deutlich größere finanzielle Belastungen - drohen bei einer weiteren Überwachungsmaßnahme, die Justiz- und Innenminister der EU momentan in Brüssel hinter verschlossenen Türen aushecken. Zur Debatte steht gemäß dem Anti-Terrorplan, den der EU-Rat im März nach den Anschlägen in Madrid aus dem Hut zauberte, die Verpflichtung der Anbieter zur ein- bis dreijährigen Speicherung der so genannten Verkehrsdaten auf Vorrat. Lang ist die Liste, auf die sich der Beschluss beziehen soll: Sie umfasst alle Daten, die beim Telefonieren, E-Mailen, Simsen, Surfen, Chatten , oder Filesharing anfallen. Was sich hinter dem Vorhaben verbirgt, erläutern die Bürgerrechtsorganisationen Privacy International und "European Digital Rights"-Initiative (EDRi): "Es geht um die Registrierung aller Dinge, die jemand liest, empfängt oder für die er Interesse zeigt. Diese Informationen können zur Interpretation und zum Abstecken menschlicher Beziehungen, zum Vorhersagen menschlicher Handlungen sowie zum Verfolgen aller individueller Alltags-Bewegungen verwendet werden", sorgen sich die Gruppierungen in einem von hunderten Organisationen und Unternehmen unterstützen Aufruf. Auch die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern sind alarmiert. Ihrer Ansicht nach ist jede Datenerhebung ein Eingriff in Grundrechte. Der müsse klar begründet und verhältnismäßig sein, was bei der diskutierten "routinemäßigen Vorratsdatenspeicherung" nie der Fall sei. Der Bundestag hat sich in einem von allen Fraktionen verabschiedeten Antrag ebenfalls klar gegen die Pauschalbeschnüffelung ausgesprochen. Die Minister zeigen sich von den Protesten aber weitgehend unbeeindruckt. Die Wirtschaft empört am meisten, dass die anlaufenden Maßnahmen für die angeblich im Vordergrund stehende Terrorbekämpfung nicht taugen. So kann die E-Mail-Spionage etwa durch den Einsatz frei verfügbarer Verschlüsselungsprogramme leicht umgangen werden. Volker Kitz vom Branchenverband Bitkom sieht bei der Vorratsdatenspeicherung ebenfalls keinen Nutzen. "Der internationale Terrorismus investiert 20 Cent, um an die Telefonzelle zu gehen, und hebelt damit die Vorkehrungen aus". Konzerne wie die Deutsche Telekom würden dagegen allein die Anlaufkosten für die Archivierung der Verbindungsangaben bei der Sprachtelefonie auf einen dreistelligen Millionenbetrag schätzen.
STEPHAN KREMPL
www.eco.de/servlet/PB/menu/ 1384453 /index.html
http://pi.gn.apc.org/issues/terrorism/rpt/responsetoretention.html

 

Verbraucher:Von April an können Ämter und Behörden auf Kontodaten zugreifen -
Weder Banken noch Betroffene werden informiert
Vorsicht, Kontoschnüffler!
VDI nachrichten, Düsseldorf, 10.12.04 -

Kein Aprilscherz: Ab 1. 4. nächsten Jahres dürfen staatliche Stellen den Bankkunden über die Schulter schauen. Über das Bundesamt für Finanzen können sie die Stammdaten aller Konten und Depots elektronisch abfragen. Welche Ämter oder Behörden ihnen hinterher schnüffeln, sollen die Betroffenen nicht einmal erfahren. Verfassungsschützer schlagen Alarm.
Neugier genügt: Nicht nur das Finanzamt, sondern alle, die sich von Amts wegen für das Einkommen der Bürger interessieren, können ab April auf die so genannten Stammdaten der Konten zugreifen. Auskunftsberechtigt sind etwa das Sozialamt, die örtliche Arbeitsagentur, die Bafög-Stelle, das Jugendamt oder das Amt für Wohnungsförderung. Zu den Stammdaten gehören Name, Geburtsdatum, Anschrift der Verfügungsberechtigten, die Anzahl und Nummern der Konten sowie das Datum einer Konteneröffnung, und –schließung. Als Rechtsgrundlage dient das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit", das unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Angriff genommen wurde. "Bisher hat nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) Zugriff auf Stammdaten - allerdings nur mit erheblichen verfassungsrechtlichen Hürden", so Walter Weber, Vorstand und Verbandsdirektor des Genossenschaftsverbands Norddeutschland (GVN). Bei Steuerfragen müssen die Anfragen über die Banken laufen. Dass diese Hürden (siehe Kasten) ab 1. April nicht mehr gelten - obwohl viel mehr Stellen Zugriff auf die gespeicherten Daten haben sollen, ist nach Weber "rechtsstaatlich äußerst bedenklich".

Banken, Verfassungsrechtler und Datenschützer schlagen Alarm. Die im GVN zusammengeschlossenen 170 Genossenschaftsbanken begleiten - gestärkt durch ein Gutachten des Hamburger Rechtswissenschaftlers Erich Samson, das "eindeutig" die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung belegt - die klagende Volksbank Raesfeld vor das Bundesverfassungsgericht. "Denn der Staat überwacht damit die wirtschaftliche Betätigung seiner Bürger", so Samson. Nach Kathrin Berberich, Justiziarin des GVN, sind die Banken verpflichtet, die Stammdaten der Kunden stets auf aktuellstem Stand zu halten und sicher zu stellen, dass die staatliche Aufsicht jederzeit Zugriff zu den Daten hat. "Damit handelt es sich faktisch um Daten des Bundes", so Rechtswissenschaftler Samson. Endgültig ausgehebelt wäre damit das Bankgeheimnis. Schon das Sammeln von etwa 500 Mio.Daten verstoße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Erinnerungen an die letzte Volkszählung werden wach: 1983 stoppte Karlsruhe die Volkszählung. Die obersten Richter erklärten damals jede Rechtsverordnung für verfassungswidrig, in der Bürger nicht mehr wissen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Das Gericht sprach den Bürgern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu.__________________________________________________________________________________________

Die neue Rechtslage ab 1. AprilBisher konnte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) nur in drei Fällen auf die Stammdaten von Konten und Depots zugreifen: bei Verdacht auf Geldwäsche, zur Terrorismusbekämpfung und im Falle von Strafverfahren. Diese Einschränkungen entfallen demnächst.

Mit dem "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" können Finanzbehörden und andere öffentliche Stellen, die in Deutschland für Leistungsvergaben zuständig sind, über das Bundesamt für Finanzen ab 1. April nächsten Jahres Informationen über die Konten aller Bankkunden erhalten. Die Auskunft erstreckt sich zwar nicht auf die Kontostände. Auf Grund der durch den Abruf erlangten Erkenntnisse können jedoch - in einem zweiten Schritt - weitere Überprüfungen dann auch im Hinblick auf die Guthaben direkt beim Kreditinstitut erfolgen. PS_________________________________________________________________________________________

Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz, fordert Nachbesserungen an der neuen Regelung. Scharfe Kritik an dem rot-grünen Gesetz übt auch die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie wirft der Bundesregierung vor, sich von den Prinzipien des Rechtsstaats zu verabschieden, da die Behörden ohne Verpflichtung zur Unterrichtung der betroffenen Bürger oder der Banken den Kontenzugriff vollziehen können. Die ehemalige Bundesjustizministerin fordert, das Gesetz zunächst auf Eis zu legen bis eine Entscheidung aus Karlsruhe vorliegt. Verfassungsbeschwerde hat auch Peter Bohnenkamp, Anwalt und Notar im westfälischen Borken, eingelegt. Bohnenkamp hält es für äußerst bedenklich, dass kein richterlicher Beschluss für eine Abfrage notwendig ist. Vielmehr könne jeder Behördensachbearbeiter tätig werden. Und "die Heimlichkeit ist das Unheimliche", so Bohnenkamp.Jeder Missbrauch bliebe wohl unentdeckt.
DIETER HEUMANN/ps

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