VDI nachrichten - 12. November 2004 - Nr. 46

Tumorbehandlunq: Erstes privates Protonentherapie-Zentrum

Verbesserte Heilungschancen

Jeder vierte Krebspatient wird durch Bestrahlung behandelt. Das Problem bei der Röntgenbestrahlung: Nur ein Teil der Strahlung trifft den Tumor. Wesentlich effizienter ist die Bestrahlung mit Protonen. In München eröffnet jetzt ein Protonentherapie-Zentrum.

Am Ende des Jahres werden in Deutschland 340 000 Menschen neu an Krebs erkrankt sein, doch jeder fünfte lokalisierte Krebs-Tumor ist bisher weder durch eine chirurgische Therapie noch durch konventionelle Strahlentherapie zugänglich.

Etwa fünf von zehn Krebskranken werden operiert, vier von zehn bestrahlt. Die Crux bei der Röntgenbestrahlung:Die höchste Dosis landet in der Regel unmittelbar unter der Haut, aber nicht im Tumor. Gesundes Gewebe wird geschädigt. Wesentlich effizienter ist eine Bestrahlung mit Protonen, die Heilungschancen sind etwa 30% höher. Bisher aber wird die klinische Protonentherapie in Deutschland kaum angewandt. Patienten müssen in die USA oder nach Japan fliegen. Das wird sich im nächsten Jahr ändern. Im Frühjahr soll in München das erste private Protonentherapie-Zentrum Europas eröffnet werden.

Auf einem Gelände an der Isar in München wurden in den vergangenen 33 Monaten rund 150 Mio.E in den Bau eines 10 650 m2 großen Gebäudes aus Stahl und Glas investiert. Der einzige Zweck: Ein Protonenstrahl wird mit einer Präzision von wenigen zehntel Millimeter auf erkranktes Tumorgewebe geschossen. Protonenbeschleuniger werden in Europa bislang überwiegend zu Forschungszwecken eingesetzt. Das "Rinecker Proton Therapy Center" (150 Mitarbeiter) ist dagegen ausschließlich für den therapeutischen Einsatz bei Tumorerkrankungen konzipiert.

Der Aufwand ist hoch, aber er lohnt: Bis zu 4 000 Patienten im Jahr sollen im Haus am Isarkanal behandelt werden sechs Tage in der Woche, 14 Stunden täglich soll der Betrieb laufen. Für jeden Erkrankten sind etwa 15 Min. pro Bestrahlungstermin kalkuliert. Fünf Behandlungsräume stehen zur Verfügung. Hohe Auslastung ist die Voraussetzung dafür, dass sich das mit privaten Geldern finanzierte Zentrum für die Investoren rechnet. Zu 40 Mio.E Eigenkapital flossen 110 Mio.E aus einem Fond der Hannover Leasing und aus einem Bankenkonsortium der Hypovereinsbank und der West LB. Privatpatienten werden im "Rinecker Proton Therapy Center" 25 000 E bis 35 000 E pro Behandlung (fünf bis 25 Bestrahlungen) berappen müssen. Viel Geld, doch in vergleichbaren ausländischen Kliniken werden Preise von 80 000 E und mehr verlangt.

DieAOK Bayern hat als erste gesetzliche Krankenversicherung einen Versorgungsvertrag mit dem Protonentherapie-Zentrum abgeschlossen. Der Pauschalsatz pro Therapie: 17 500 E. "Vater" des Therapiezentrums ist der Münchener Chirurg Hans Rinecker. Er gründete 1999 die ProHealth AG, die das Zentrum betreiben wird. Der Stuttgarter Hightech-Anlagenbauer M+W Zander ist verantwortlich für Planung, Bau und schlüsselfertige Übergabe des Großprojekts. Technologiepartner ist Accel Instruments aus Bergisch-Gladbach, ein Management-Buy-out von Siemens. Die Firma hat das maßgeschneiderte Protonentherapie-System mit einem neuartigen Teilchenbeschleuniger geliefert und installiert.

M+W Zander, eine Tochter der Jenoptik AG, ist Spezialist für Anlagenbau und Gebäudetechnik (8 000 Mitarbeiter, Umsatz 2003: 1,7 Mrd. E ). Als einziger europäischer Anlagenbauer hat das Unternehmen bereits weltweite Erfahrungen im Design von Beschleunigeranlagen. Die Anforderungen an die Ingenieure und Handwerker in München sind hoch. Das gesamte Gebäude muss selbst kleinste Erschütterungen abfangen. Besonders heiße Bereiche sind mit bis zu 200 t schweren mobilen Elementen abgeschirmt. Vor allem Bau und Installation der Protonenbeschleunigeranlage erforderten eine enorme Genauigkeit. Das rund 100 t schwere Gerät wurde durch eine Deckenöffnung eingebracht. Um die bei der Bestrahlung geforderte Präzision zu erreichen, sind Temperatur und Luftfeuchte absolut stabil zu halten.

Für Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ist das erste kommerzielle Protonentherapie-Zentrum ein "hervorragendes Beispiel für die Innovationsfähigkeit Deutschlands". Sie fordert "noch viel mehr Mut, Ideen und private Initiative als bisher". Es wird sie freuen, dass die Investoren der Anlage den Bau von zwei weiteren Zentren in Leipzig und Köln-Mehrheim planen. Initiator Rinecker: "Es wäre unverantwortlich, den Patienten die Protonentherapie vorzuenthalten."

Doch es gibt auch Widerstände: Hinter vorgehaltener Hand sprechen Branchen-Insider über Blockadeversuche großer Konzerne. Einigen Unternehmen seien Protonentherapie-Anlagen ein Dorn im Auge, weil für diese "schärfste Waffe gegen Krebs", wie Rinecker sagt, Investitionsströme im Gesundheitsbereich künftig umgeleitet würden. JÜRGEN HOFFMANN

Protonentherapie
Rasende Protonen beschießen Tumor

Protonen werden zunächst aus simplem Wasserstoff gewonnen. In einem supraleitenden Zyklotron werden sie mittels elektromagnetischer Felder auf Kreisbahnen in 650 Umrundungen auf 180 000 km/s (60 % der Lichtgeschwindigkeit) beschleunigt. Dadurch kann der Protonenstrahl Tumore oder Metastasen im Körper bis zu einer Tiefe von 38,5 cm präzise treffen. Der Protonenstrahl wird unter Vakuum in einem Edelstahlrohr (7 cm Durchmesser) über 158 m und durch 80 Fokussier- und 20 Ablenkmagnete in die fünf Behandlungsräume geführt. Der bleistiftdicke Strahl wird exakt auf die Geschwindigkeit gebremst, mit der sich die höchste Energie direkt im Tumorherd entlädt. Jede um 360 Grad drehbare Gantry (Durchmesser der hohlen Stahlhalbkugel: je 6,4 m) verfügt über einen komplett verstellbaren Behandlungstisch. Die Liege und der Strahl werden computergesteuert auf weniger als 1 mm genau ausgerichtet. Für jeden Patienten wird ein individuelles IT-Programm geschrieben. Außerdem gibt es eine elektronische Patientenakte. Die Speicherkapazität der IT-Anlage der Verwaltung: 4 Terabyte. Der Zugriff soll 30 Jahre gewährleistet sein. JH

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