Bund-Länder-Konflikt: Neuordnung der Zuständigkeiten betrifft vor allem auch Bildung und Wissenschaft

Blühender Föderalismus oder Kleinstaaterei?
VDI nachrichten, Berlin, 19.11. 04 -

Bei der Entscheidung zur bundesweiten Einrichtung der Juniorprofessur erlitt Edelgard Bulmahn bereits eine Niederlage. Bei den Studiengebühren sieht es für die Ministerin ähnlich düster aus. Welche Kompetenzen sollten dem Bund in Bildung und Forschung eigentlich noch bleiben? Die Föderalismuskommission soll die Zuständigkeiten neu regeln. Ein überaus schwieriges Unterfangen.

Mündet der Föderalismus in eine "blockierte Gesellschaft"? Hemmt der scheinbar nicht enden wollende Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern die Entwicklung einer modernen Wissensgesellschaft mit hohem internationalem Anspruch? Zurzeit hat das den Anschein. Besonders eindringlich wird die Tendenz zu 16 Fürstentümern im Bereich der Bildung.

Treibt man das Szenarium auf die Spitze, ist auch die Frage nach der Daseinsberechtigung der Bundesbildungsministerin keine völlig abwegige mehr. Kaum nahm das Bundesverfassungsgericht Edelgard Bulmahn die Befugnisse zur Einsetzung von Juniorprofessuren aus der Hand, da droht aus Sicht der Ministerin - das nächste Unheil: Selbst SPD-Mitstreiterin und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat wenig Hoffnung, dass das Hochschulrahmengesetz von 2002 mittelfristig Bestand hat. Auch Sozialdemokratin Zypries räumt BadenWürttemberg, Bayern, Hamburg, Sachsen, dem Saarland und Sachsen-Anhalt große Chancen ein, mit ihrer Klage gegen das Verbot von Studiengebühren bei den Richtern des Bundesverfassungsgerichts auf offene Ohren zu stoßen.

Was auf den ersten Blick nach einer eindeutigen Entscheidung zugunsten der Gebührenbefürworter aussieht, wird auf den zweiten komplexer: Denn bereits hinter dem Nein zur Juniorprofessur stand das Gericht keineswegs geschlossen. Drei der acht Richter sprachen dem Bund das Recht zu, den neuen Weg zur Professur anstelle der Habilitation bundesweit einzurichten.

Die Föderalismus-Kommission unter Leitung von SPD-Chef Franz Müntefering und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber soll bis Mitte Dezember die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu regeln. Auf dem Wunschzettel der Bundesregierung steht ein Tauschgeschäft: Die Länder sollen für einige Gebiete fortan allein zuständig sein (Ladenschluss, Besoldung der Landesbeamten etc.), im Gegenzug pocht der Bund auf größeren Handlungsspielraum. Er sähe gerne, wenn weniger Bundesgesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig wären. Bislang sind es etwa 60 %. Besonders umstritten sind die Befugnisse in Hochschulfragen. So würde Edelgard Bulmahn ihr Ministerium gerne um die ein oder andere Zuständigkeit im Hochschulbau erleichtern. "Das ist zwar eine Gemeinschaftsaufgabe, kann aber nicht so weit gehen, dass der Bund sich auch um jeden defekten Dachstuhl kümmern muss. Bei Großprojekten und Großgeräten fordern wir allerdings Mitspracherecht." Knackpunkt ist der schmale Grat, auf dem sich die Politik bewegt: Die Bundesregierung ist zur Wahrung einheitlicher, existenziell notwendiger Lebensverhältnisse angehalten, und das gilt auch für Wissenschaft und Bildung. Wo aber ist die Grenze zu ziehen?

Auf der anderen Seite sind die Landesminister nicht gewillt, lieb gewonnene Kompetenzen und imageträchtige Projekte aufzugeben. NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft nennt in der "Rheinischen Post" ein Beispiel: "Nehmen Sie als Beispiel die Großforschungsanlage Jülich: Dort arbeii%n 4500 Leute. Viele von ihnen köo@'rieren eng mit einer oder mehreren Universitäten im Land ... Es gibt eine hohe Zahl von Doppelberuftingen zwischen Jiflich und einer NRW-Universität. Damit ist Jülich auch ein wichtiges strukturpolitisches Instrument für NRW. Auf eine so bedeutende Einrichtung möchte ich Einfluss behalten."

Auf einer Podiumsdiskussion in der Berliner Akademie der Wissenschaften wurde deutlich, warum ohne den Bund keine qualitativ hochwertige deutsche Wissenschaftslandschaft möglich ist: des Geldes wegen. "Kann es sein, dass der Bund Wissenschaft und Bildung vollkommen von seiner Agenda streicht?", fragte Max Einhäupl, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, und gab selbst die Antwort: "Natürlich kann das nicht sein." Deutsche Hochschulen, und hier vor allem die in den ärmeren Ländern, seien jetzt schon unterversorgt. Innovative Forschung fände meist an außeruniversitären Instituten statt. Bei einer Entflechtung der Befugnisse werde sich der Bund konsequenterweise aus der Finanzierung zurückziehen. Das werde eine "dramatische Privatisierungswelle" und "mediterrane Verhältnisse" zur Folge haben: im Süden hervorragende Bedingungen für Hochschulen, im Norden und Osten entsprechend schlechte.

Brandenburgs Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) sieht zwar den Widerspruch zwischen privatem Engagement und Bund-Länder-Gerangel nicht, hält aber die "zentrale Komponente" ebenfalls für wichtig. Ansonsten seien Vorhaben wie die Förderungen von Elite-Unis und von internationalem Wettbewerb undenkbar. Bulmahn betonte in Berlin, auf Kompetenzen verzichten zu wollen - wenn im Gegenzug klare, bundeseinheitliche Regelungen geschaffen werden. Auf keinen Fall will die Ministerin auf Zuständigkeiten bei Hochschulzugang und Hochschulabschlüssen verzichten. Auch die Qualitätssicherung müsse in Händen der Bundesregierung liegen. Es ärgere sie, dass Bildung und Forschung nicht als Zukunftsaufgaben betrachtet würden und somit als Investitionen, sondern dass sie als konsumptive Ausgaben berechnet würden.

Ulla Burchardt (SPD), stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, sprang der Genossin beim eindeutigen Nein zu Studiengebühren zur Seite: "Überall dort, wo solche Gebühren erhoben werden, wird der staatliche Zuschuss zurückgefahren." Sollte es dennoch zur Erhebung von Studiengebühren kommen, dürfte die Republik bald aus einem bunten Flickenteppich mit den exotischsten Regelungen bestehen. Ist das nun blühender Föderalismus oder bremsende Kleinstaaterei? W SCHMITZ

Kommentar

Kleine Welten

Bachelor, Master und Bologna-Prozess stehen für die große weite Welt, in die die deutschen Hochschulen aufbrechen wollen. Mit festem Blick gemeinsam in Richtung Zukunft. Betrachtet man die Realität, ähnelt dieser Aufbruch eher einer Reise ins 19.Jahrhundert, als der Deutsche Bund ein politisch schwaches Gebilde war, das mit vielen verschieden Stimmen sprach. Global denken, regional handeln, so sieht auch heute die - zumindest bildungspolitische-Realität aus. So wird das eine Bundesland die Juniorprofessur bevorzugen, das andere wird alternativ die Habilitation erhalten, das dritte wird eine weitere Richtung einschlagen.

Ähnliches steht bei den Studiengebühren zu befürchten sowie bei den neuen Studiengängen Bachelor und Master, bei deren Ausgestaltung und Dauer auch kein Konsens herrscht. Die versprochene "Kompatibilität" (Vereinbarkeit und Übertragbarkeit) der Studiengänge durch den Bologna-Prozess ist offensichtlich nicht einmal auf nationaler Ebene realisierbar. Edelgard Bulmahn hat Recht, wenn sie als Gegenleistung für die notwendigen Finanzspritzen, ohne die vor allem die Hochschulen in den ärmeren Ländern keine Zukunft haben, erhebliches Mitspracherecht einfordert. Ansonsten verliert nicht nur die Lehre, sondern auch universitäre und außeruniversitäre Forschung an Qualität. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass die Föderalismuskommission den Ländern größere Kompetenzen zuspricht, ist nach den letzten Wasserstandsmeldungen nicht von der Hand zu weisen. Unsere ausländischen Freunde in Brüssel machen sich bereits über das deutsche Bund-Länder-Hickhack lustig. Hier macht der Begriff der"German vote" die Runde. Enthaltung mangels Einigung. Von großer, weiter Welt keine Spur.   ws

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