zurück

Landshuter,Straubinger,19.Juli 2004: Kommentare

KEIN KÖNIGSWEG: Bürgerversicherung gegen KopfpauschaleVON PETER LEYER

Die Fronten sind klar. Bürgerversicherung gegen Kopfprämie oder Kopfpauschale heißen die beiden Modelle, um die bis zur Bundestagswahl in zwei Jahren um den Rückhalt in der Bevölkerung gestritten werden wird. Wenn vor allem die SPD kein besseres Wahlkampfthema findet, könnte, es sogar sein, dass sie die Wahl zum Volksentscheid über diese Frage macht. Unter dem Gesichtspunkt einer Wahlkampfauseinandersetzung, in der Details ja auf der Strecke zu bleiben pflegen, könnte die SPD sogar mehr Wähler hinter ihrem Konzept scharen. Denn die Mehrheit der bisher gesetzlich Krankenversicherten könnte da vermutlich nur gewinnen. Bürgerversicherung bedeutet ja, dass alle Bürger in eine gesetzliche Krankenkasse eintreten müssen, auch die bisher noch privat Versicherten. Das sind zumeist unter dem Gesichtspunkt von Krankheit risikoarme Bevölkerungsgruppen, zudem gut Verdienende. Sie bringen viel Geld in die Kassen der Krankenversicherungen und holen wenig heraus. Darüber können sich die bereits jetzt gesetzlich Versicherten nur freuen. Das muss die Beiträge senken. Und welcher Versicherte freut sich nicht darüber?!

Allerdings soll sich niemand täuschen. Das Problem leerer Versicherungskassen ist damit nur verschoben, nicht aufgehoben. Denn auch die jetzt zumeist jüngeren Privatversicherten werden älter. Auch sie werden eines Tages die Kassen belasten. Und da aufgrund unserer demographischen Entwicklung die Zahl der jungen Menschen immer weniger wird, sinkt auch die Zahl der risikoarmen Mitglieder der Krankenversicherungen. Die Beiträge werden wieder steigen, die Unternehmen wegen der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in gleicher Höhe getragenen Beiträge wieder stärker belastet. Darauf zu setzen, dass es der Wirtschaft dann so gut geht, dass sie die höhere Belastung tragen kann, ist unseriös. Da zudem auch Zusatzeinkünfte neben dem normalen Lohn und Gehalt mit zur Grundlage der Beitragshöhen gemacht werden sollen, entsteht ein noch nicht abzuschätzender Verwaltungsaufwand, der so manchen Versicherungsbeitragseuro schluckt, bevor er überhaupt einem kranken Versicherten nutzen kann.

Es könnte sein, dass viele Wähler das im Wahlkampf nicht sehen wollen. Um so wichtiger ist es, dass die Befürworter einer Kopfpauschale oder Kopfprämie für ihr Modell werben, um es mehrheitsfähig zu machen. Ein fester Beitrag für jeden Bürger, gleich ob außerhäuslich berufstätig oder nicht, auch für die Kinder, schafft klare Verhältnisse. Der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung würde wahrscheinlich festgeschrieben und dem Arbeitnehmer direkt überwiesen, wie es bereits heute bei vielen freiwillig Versicherten oder den privat Versicherten der Fall ist. Jeder Bürger kann dann selbst entscheiden, in welchem Umfang er sich über eine Grundversorgung hinaus für den Krankheitsfall absichert.

Dabei mag es den einen oder anderen stören, dass nach diesem Modell der Chef zunächst einmal den gleichen Beitrag zahlt wie seine Sekretärin oder der Lagerist. Aber da dieses Modell nicht ohne staatliche Zuschüsse und damit ohne Steuergelder auskommt, erfolgt hierüber der Ausgleich. Denn selbst mit den günstigsten Steuersparmodellen wird der Chef voraussichtlich immer noch höhere Steuern zahlen als seine Sekretärin oder sein Lagerarbeiter. Und damit finanziert der Vorgesetzte oder Unternehmer zu einem größeren Teil den solidarischen Beitrag als seine Mitarbeiterin oder sein Mitarbeiter. Zudem tragen zu diesem solidarischen Ausgleich auch diejenigen bei, die sich aus dieser Solidarität bisher ganz oder teilweise verabschiedet haben: Privatversicherte und Beamte, aber auch Politiker.

Offen ist noch die Höhe dieses durch die Steuer finanzierten Anteils. Gegner des Modells, gleich ob bei Rot-Grün oder auch viele in der CSU, halten den Steuerzuschuss nicht für finanzierbar. Doch spätestens seit den Zahlen, die der Regierungsberater Bert Rürup in der vergangenen Woche vorgelegt hat, dürfte klar geworden sein, dass die Finanzierung nicht unmöglich ist.

Es gibt keinen Königsweg. Aber die Kopfpauschale scheint der besser Weg zu sein. Dabei sollte die Überlegung, welcher den Wählern besser zu vermitteln ist, keine Rolle mehr spielen. Wer nur auf die Wähler schaut, die sich letztlich gegen jede größere Änderung wehren, wird so gut wie nichts bewegen. Die sachlich besten Lösungen müssen nun Politik werden. Alles andere können wir uns nicht mehr leisten.

Kommentar R.Kiehl:

Die "Verenkungen" zu einer sogenannten Kopfpauschale sollen im Endeffekt nur deshalb gemacht werden, weil man die Privatversicherungen nicht beschneiden will. Die Privatversicherungen sind bei der ganzen Diskussion schlichtweg zu vergessen: Diese sind nur so stark geworden aufgrund des auf Pump gelebten "Wohlstandes" unserer Republik! 20, 30 oder 40 Jahre zurück gab es kaum private Versicherungen, wir hatten noch einen funktionierenden Sozialstaat – ein Sozialstaat, der zur Zeit zur Zielscheibe einiger Wohlstandsbewahrer geworden ist – um den Weg in den Ellbogenstaat voll durchsetzen zu können...siehe die neuen Arbeitslosengesetze...wir hatten einen Sozialstaat mit einer funktionierenden Krankenversicherung und vollen Kassen... Wenn nur bis zu einem Einkommen von 3 500 Euro Versicherungspflicht besteht und alles andere außen vorgelassen wird, haben wir in der Tat Probleme: bei Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze und Einbeziehung der sonstigen Einkommen, haben wir diese Probleme nicht. Zudem sollten alle versicherungsfremden Leistungen rigoros aus dem Leistungskatalog gestrichen werden, die Leistungen auf das wirklich Notwendige begrenzt werden. Diese fremden Leistungen sollten über Privatversicherungen finanziert werden. Zudem sollten Zwangsmaßnahmen in Form von Höherzahlungen zur Förderung einer gesunden Lebensführung für einige Bevölkerungsgruppen, Bonusmodelle für eine gesunde Lebensführung, etc. eingeführt werden: Eine Diabetes oder Fettleibigkeit, Herzerkrankungen u.a. mehr sind sonst nicht in den Griff zu bekommen. Die Einbeziehung der sonstigen Einkommen dürfte kein Hinderniss sein, da ja schließlich jeder eine Einkommenssteuerkärung zu machen hat... Die Jungen sollten für die Erfüllung der Generationengerechtigkeit sorgen und Kinder in die Welt setzen: wenn nicht, sollen diese die "später" steigenden Beiträge auch zahlen – dieser Kommentar gilt entsprechend auch für den folgenden Diskussionsbeitrag. Kaum vermittelbar

VON RUDI WAIS, BERLIN

Horst Seehofer hat Recht. Der Therapieplan von Angela Merkel und Friedrich Merz für das malade Gesundheitssystem, in den Augen des Ex-Ministers ein" Sympathiekiller", hat gute Chancen, der Wahlkampf-Flop des Jahres 2006 zu werden. Selbst der nun vom allgegenwärtigen Bert Rürup unterbreitete Kompromissplan birgt noch jede Menge Sprengstoff: Ob eine von Union und FDP geführte Regierung nun wahlweise die Mehrwertsteuer oder den Solidarzuschlag anhebt, um eine neue Gesundheitsreform zu finanzieren, ist dabei von minderer Bedeutung. Beim Publikum, also beim Wähler, bleibt nur ein Eindruck haften: Die langen kräftig zu.

Eine richtige Idee zur falschen Zeit? Unter ökonomischen Gesichtspunkten hat die so genannte Kopfpauschale, bei der jeder Versicherte unabhängig vom Einkommen den gleichen Monatsbetrag bezahlt, durchaus Charme: Sie entkoppelt die Beiträge vom Lohn, macht Arbeit also billiger. Kompliziert wird die Sache durch die CDU-Steuerpläne: Zum einen will sie das System entrümpeln und die Sätze senken - zum anderen müsste sie jedes Jahr Milliarden aufwenden, um allen, die 169 Euro pro Kopf und Monat nicht aus ihrem Einkommen bezahlen können, finanziell unter die Arme zu greifen. Beides zusammen aber geht nicht: Steuern senken und gleichzeitig tief in den Steuertopf greifen: Die Union wird sich entscheidenmüssen, was ihr wichtiger ist:Eine große Gesundheits- oder eine große Steuerreform. In der gegenwärtigen Form aber ist Rürups Vorschlag kaum vermittelbar. Eine höhere Mehrwertsteuer würde den Konsum nachhaltig bremsen - und der Solidaritätszuschlag ist für viele schon jetzt ein viel zu lange währendes Ärgernis. Überdies wird eines oft übersehen: Dadurch, dass die Arbeitgeber ihren bisherigen Anteil am Kassenbeitrag den Beschäftigten mit dem Lohn auszahlen sollen, kassiert der Fiskus bei Rürup doppelt: Erst bei Mehrwertsteuer bzw. Solidarzuschlag - und dann bei der Einkommensteuer, weil die Mitarbeiter,-den ausbezahlten Arbeitgeberanteil versteuern müssen. Wenn das kein "Sympathiekiller" ist, was dann?Aber auch die von Rot-Grün favorisierte Bürgerversicherung hat ihre Tücken. Sie hängt weiter am Lohn, überdies würden auf Zins und Mieteinnahmen kräftig Beiträge erhoben und die Belastung für viele damit ebenfalls steigen. Gegenüber Merkels Kopfpauschale aber hat sie einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Sie ist im Wahlkampf vermittelbar. Beamte und Selbständige, die mit einzahlen sollen, der solidarische Ansatz, nach dem ein Versicherter einen Beitrag entrichtet, der sich an seiner Leistungsfähigkeit orientiert: Im Gesundheitssystem würde sich zwar nicht viel ändern und auch kein Geld gespart. Dafür suggeriert die Bürgerversicherung, dass es doch noch halbwegs gerecht zugeht in der Sozialpolitik.

Angela Merkel vergisst eines: Wer Rot-Grün wegen der Agenda nicht mehr wählen will, wird kaum zur Union überlaufen, wenn die noch härter zur Sache geht.