Straubinger, Donnerstag, 26. Mai 2005

REPORTAGE UND HINTERGRUND

Bei Geschäften in Russland wollen auch Mafiosi aller Art kräftig mitverdienen

Europäische Patente sind de facto wertlos - Arnstorfer Lindner-Gruppe soll Lizenzgebühren an zwei dubiose »Erfinder" zahlen - Massive publizistische Stimmungsmache - Einschüchterung von Geschäftspartnern vor Ort

Von Fridolin M. Rüb

Wer glaubt, dass die Aktivitäten russischer Mafiosi sich auf die klassischen Brutalo-Geschäfte wie Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Geldfälscherei, Zwangsprostitution und Schleuserkriminalität beschränken, der irrt. Tatsache ist vielmehr, dass es keinen Bereich gibt, der für die Organisierte Kriminalität in Russland nicht von hohem ökonomischen Interesse wäre. Mehr noch: Während bei uns im Westen Polizei und Staatsanwaltschaften der Organisierten Kriminalität in all ihren Formen den Kampf angesagt haben, haben die diversen mafiosen Gruppierungen in Russland vielerorts die staatlichen Institutionen und die Medien unterwandert und in einem solchen Maße korrumpiert, dass ihr Machteinfluss offenbar bis in hohe und höchste Stellen bei Polizei, Justiz und Politik reicht. Dass dem so ist, muss derzeit leidvoll die im niederbayerischen Amstorf beheimatete Lindner AG erfahren.

Gekaufte Hetz-Berichte

Um den Druck auf nachhaltig zahlungsunwillige Unternehmen noch zusätzlich zu erhöhen, und um den dreisten Manövern den Anschein von empörter Rechtschaffenheit zu geben, werden von diesen, sich als seriöse Geschäftsleute gebenden, Weiße-Kragen-Kriminellen bei Verlagen und Sendeanstalten Hetz-Berichte gekauft, in denen diese Firmen als infame Gesetzesbrecher denunziert werden, die sich an russischem Eigentum vergreifen. Als Sahnehäubchen obendrauf quasi, folgt dann die Forderung nach einem schnellen und entschlossenen Einschreiten von Polizei und Justiz gegen diese kriminellen Ausländer.

Was kann in einer solchen Lage getan werden? Die Befolgung des Sprichworts "Zahlen macht Frieden" hilft nur bedingt weiter. Einmal davon abgesehen, dass damit diese Spielart organisierter Kriminalität noch weiter gestärkt wird, zeigt die Erfahrung, dass solche Gruppen sich auf Dauer nicht mit dem kleinen Finger zufrieden geben. Aber auch der gut gemeinte Rat von Politikern hierzulande, man möge sich doch an die Wirtschaftsabteilung der deutschen Botschaft in Moskau, beziehungsweise an die Wirtschaftsabteilung der deutschen Botschaft in Moskau, beziehungsweise an die deutsch-russische Handelskammer wenden oder sich diesbezüglich erfahrene russische Anwälte nehmen, ist, wie sich leider wiederholt zeigte, wenig tauglich.

Gefährlicher Klageweg

So empfahl - um nur ein Beispiel zu nennen - ein deutscher Kammerexperte vor Ort der Lindner AG, sie möge doch ihre russischen Geschäftspartner veranlassen, den Klageweg zu beschreiten. Dass die sich hüten würden, sich auf ein solch reichlich gefährliches Unterfangen einzulassen, scheint der blauäugige Fachmann nicht bedacht zu haben.

Nun ist es aber nicht so, als gäbe es überhaupt kein Mittel gegen solche mafiosen Geschäftsmethoden. Wie der Fall des Iphofener Unternehmens Knauf zeigt, kann auch der Organisierten Kriminalität in Russland sehr wohl erfolgreich Paroli geboten werden. Die Causa Knauf ist deshalb so interessant, weil es hier offensichtlich Parallelen zum Fall Lindner AG gibt. Wie ein Moskauer Gewährsmann unserer Zeitung mitteilte, hat sich auch Knauf anfangs mit den von den offiziellen deutschen Stellen empfohlenen Mitteln gegen die mafiosen Erpressungsmanöver zu wehren versucht. Doch wie sich rasch herausstellte, erwiesen sich alle diesbezüglich angeratenen Schritte als zwecklos. Als aber die Knauf-Unternehmensleitung bei Bundeskanzler Gerhard Schröder um Hilfe bat, und dieser direkt bei der russischen Regierung in der Sache vorstellig wurde, ging alles sehr schnell. Seither hat Knauf offenbar keine Probleme mehr.

Da anscheinend nur noch die große Politik bei solchen Problemen zu helfen vermag, setzt die Lindner AG nun ihre Hoffnungen auf die bayerische Staatsregierung und hier vor allem natürlich auf Wirtschaftsminister Otto Wiesheu. Dies umso mehr, als der Freistaat Bayern und die Region Moskau partnerschaftlich einander verbunden sind.

Wiesheu will helfen

Wirtschaftsminister Otto Wiesheu erklärte gegenüber dem Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung, er habe sich "in der Angelegenheit Lindner über den bayerischen Repräsentanten mit dem einflussreichen Verband der Deuschen Wirtschaft in Moskau in Verbindung gesetzt. Dieser sieht erfahrungsgemäß eine Lösung des Problems nur auf juristischem Wege". Wie Minister Wiesheu unserer Zeitung versicherte, will er aber unabhängig davon, das Problem bei seinem nächsten Besuch in Moskau im Juli nochmals auf föderaler Ebene ansprechen.

Die Arnstorfer Unternehmensgruppe Lindner ist seit vielen Jahren in der Herstellung und im Vertrieb von so genannten Doppelböden tätig und besitzt dazu entsprechende europaweit gültige Patente. So vertreibt nach Auskunft der Arnstorfer Firmenspitze das Lindner Tochterunternehmen Raumtechnik Fellbach Deutschland, seit Januar 1964 Doppelböden. Im Hauptwerk in Arnstorf werden seit 1985 Doppelböden produziert und vertrieben.

Und bereits 1995 wurde in Moskau die "Sparbank Moskau" mit Doppelböden ausgestattet – ohne dass auf russischer Seite sich irgendjemand daran gestört hätte.

"Stand der Technik"

Ebenso stellen Mitwettbewerber von Lindner seit vielen Jahren schon Doppelböden her und vertreiben sie. Das Produkt "Doppelboden" ist somit seit Jahrzehnten in Westeuropa "Stand der Technik". Nicht so indes in der damaligen Sowjetunion. Doppelböden wurden dort nicht produziert. Ob dem aus mangelndem Interesse so war oder ob schlicht das Know-how fehlte, sei dahingestellt.

Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit einhergehenden Ende der sozialistischen Planwirtschaft, wuchs im nun marktwirtschaftlich orientierten Russland die Nachfrage nach innovativen Produkten. Dazu zählen auch die für jedes Gebäude verwendbaren und in allen Variationen lieferbaren Doppelböden, unter denen problemlos und immer zugänglich Kabel und andere Versorgungsleitungen verlegt werden können. Die Nachfrage war groß und dieGeschäfte liefen gut für Lindner und seine Mitbewerber. Sie liefen offenbar zu gut, denn nun wollen plötzlich zwei Russen ein großes Stück von dem Kuchen abhaben.

Der Patent-Trick

Und das ging so: Im vergangenen Jahr meldeten plötzlich zwei Russen, die Herren S.N. Kardaschew und W.E. Gluchowtschew, Patente auf Gebrauchsmuster und Erfindung beim russischen Patentamt an. Diese angeblichen "Patente" der beiden beschreiben sinnigerweise exakt den Stand der Technik Doppelboden. Da Russland nicht an das Europäische Patentrecht angeschlossen ist, gelten Patente des Europäischen Patentamtes, welche die Lindner Gruppe und deren Mitwettbewerber dort angemeldet haben, in Russland nicht.

Zahlen oder aufhören!

Unter dem Firmennamen " DNT Department of New Technology" stellen diese beiden Herren nun an die diversen und seit langem bereits am russischen Markt erfolgreichen Doppelbodenverleger die Forderung, ihre Geschäfte entweder sofort einzustellen oder entsprechende Lizenzgebühren an sie zu zahlen.

Ihre Forderungen hat DNT auf diversen Internetseiten und in einer Reihe von bestellten Zeitungsbeiträgen publizistisch untermauert. Dabei wird übelste Stimmungsmache betrieben. In den Artikeln werden die europäischen Doppelbodenhersteller beschuldigt, ihre Produkte illegal in Russland zu vertreiben. Die Methode ist offenbar erfolgreich. Die Kunden von Lindner sind durch diese Situation inzwischen derartig verunsichert, dass Aufträge storniert beziehungsweise neue Aufträge kaum mehr erteilt werden. Die Geschäfte mit Russland brechen total ein.

"Besuch" von der Polizei

Denn die beiden DNT-Initiatoren, Kardaschew und Gluchowtschew, wurden nicht nur bei Lindner selbst vorstellig, sondern auch und vor allem bei deren russischen Marktpartnern. Diese wurden in Telegrammen zur Einstellung des "illegalen" Vertriebs oder zur Zahlung einer saftigen Lizenzgebühr aufgefordert. Andernfalls wurde ihnen eine Schadensersatzforderung und eine gerichtliche Vorgehensweise angedroht. Ein russischer Lindner-Kunde bekam bereits "Besuch" von der Polizei. Dabei wurden im Rahmen einer Razzia alle Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Handlungsbedarf scheint hier dringend geboten.

Die Lindner-Unternehmensgruppe hat mittlerweile selbst ein Patent auf Gebrauchsmuster beim russischen Patentamt beantragt und das Moskauer Anwaltsbüro Gorodissky beauftragt, einen Vergleich der vorgeblichen "Patente" der beiden Herren von DNT mit dem Lindner-Produkt durchzufahren. Laut Auskunft dieser Kanzlei, hat die Überprüfung ergeben, dass Lindner "keinerlei Ausschließlichkeitsrechte der beiden Patentinhaber" verletzt hat.

"Den Markt ordnen"

Inzwischen haben die zwei "Doppelboden-Erfinder", Kardaschew und Gluchowtschew, die LindnerGruppe sogar selbst darüber informiert, dass sie überhaupt nicht beabsichtigen "eine eigene Doppelboden-Produktion in Russland zu eröffnen. Sie wollen eigener Auskunft zufolge das Produkt auch gar nicht selbst vertreiben. Ihr Interesse bestehe lediglich darin, "den Markt zu ordnen". Auf einer Lizenz-Gebühr bestehen sie aber weiter. So etwas nennt man Chuzpe.

Laut der Aussage eines russischen Lindner-Geschäftspartners beträgt die von den Herren Kardaschew und Gluchowtschew geforderte Lizenzgebühr ca. drei bis vier Euro pro Quadratmeter. Das macht bei einem Produktwert von rund 30 Euro je Quadratmeter (ab Werk) circa zehn Prozent des Produktwertes aus.

Auf Anraten der Moskauer Außenstelle der Industrie- und Handelskammer lässt die Lindner-Unternehmensgruppe zudem nun selber prüfen, welche Erfolgsaussichten in Russland bei Beschreitung des juristischen Weges gegeben sind. Aus den oben erwähnten Gründen ist so ein Schritt den russischen Geschäftspartnern nicht zuzumuten. Doch angesichts der gezielten medialen Stimmungsmache und bereits erfolgter Behinderungen wie der Beschlagnahme ganzer Lieferungen stellt sich die Frage, wie zuverlässig und neutral das russische Rechtssystem und Gerichtswesen sind.

Das Arnstorfer Unternehmen hat inzwischen den Plan, eine Doppelbodenproduktion in Russland zu eröffnen und die Rohstoffe hierfür direkt vor Ort einzukaufen, vorerst zurückgestellt. Diese Investition sei nur dann sinnvoll, sagt man bei Lindner, wenn ein störungsfreier Absatzmarkt und "eine ordentliche legale Grundlage gegeben sind".

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