Straubinger, 19.April 2005
Stoiber und Hundt kritisieren Muntefering
Schaden für den Standort Deutschland befürchtet –
Kanzler unterstützt den SPD-Chef

Berlin. (AP/dpa) Opposition und Arbeitgeber haben SPD-Chef Franz Müntefering vorgeworfen, mit seiner Kapitalismuskritik dem Standort Deutschland zu schaden. "Wenn jemand Kapital für Investitionen um Deutschland herumlenken will, muss er es so machen wie Müntefering", sagte der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber.

Der SPD-Vorsitzende hatte in der vergangenen Woche die "wachsende Macht des Kapitals" als Gefahr für die Demokratie bezeichnet. Stoiber sprach von "platter Kapitalismuskritik". Münteferings Attacke sei "eine Panikreaktion" und zeige auch die Orientierungslosigkeit Schröders: "Auf der einen Seite ist er der Genosse der Bosse, auf der anderen Seite teilt er die pauschale Beschimpfung. Das wird international nicht ohne Wirkung bleiben."

Der CDU-Wirtschaftsrat sagte, Müntefering sei "am Ende und hat die verzweifelte Flucht in die Klassenkampfromantik angetreten". Dabei habe er den Blick für die Realitäten verloren.

Auch FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, Münteferings "Beschimpfungen von Investoren" seien "schädlich für unser Land". Der SPD-Vorsitzende bereite seine Partei offensichtlich auf die Opposition vor. Die FDP will Münteferings Aussagen in einer Aktuellen Stunde im Bundestag behandelt wissen.

Der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte eine Klarstellung durch die Bundesregierung oder die SPD-Spitze. Hundt nannte Münteferings Darstellung unberechtigt und realitätsfremd. Der Vorwurf, die Wirtschaft stelle ständig neue Forderungen, ohne selbst eine Gegenleistung zu erbringen, sei falsch.

Müntefering hingegen verteidigte seine Thesen: Er habe darauf hinweisen wollen, dass "Eigentum verpflichtet". Müntefering bekräftigte, dass er die Balance der Macht von Staat und Wirtschaft gestört sehe. Man dürfe "die Welt nicht dem Geld überlassen". Der SPD-Vorsitzende zeigte erneut Verständnis dafür, dass die Menschen angesichts von Dumping-Löhnen und Entlassungen bei gleichzeitigen großen Gewinnen der Unternehmen deprimiert seien.

Aus den eigenen Reihen erhielt der SPD-Chef Rückendeckung. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte in Berlin, betriebswirtschaftliche Tätigkeit müsse stets verbunden werden mit gesellschaftspolitischer Verantwortung. Er nahm die Unternehmen jedoch gegen den Pauschal-Vorwurf unredlichen Handelns in Schutz. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement erwarte von den Firmen zudem einen "Schuss modernen Patriotismus", betonte seine Sprecherin. Finanzminister Hans Eichel forderte die Wirtschaft auf, nicht nur "kurzfristig" zu denken. Auch Grünen Chef Reinhard Bütikofer zeigte sich grundsätzlich einverstanden mit Münteferings Appell.

SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter sieht in der Stoiber-Kritik einen Beleg, wie "sinn- und planlos" die Union gegenwärtig argumentiere. So habe Stoiber unlängst selbst die Ankündigung von Deutsche-Bank Chef Josef Ackermann, trotz Milliarden-Gewinnen weitere

6 000 Stellen abzubauen, als "Geschmacklosigkeit", "Unfähigkeit" und als "unakzeptabel" attackiert.

 

Straubinger, 20.April 2005
Debatte über "Macht des Kapitals" eint SPD
Scharfe Kritik dagegen von Opposition und Arbeitgebern –
Wirbel um Boykott-Aufruf

Berlin. (dpa/AP) In der Debatte über die "Macht des Kapitals" verschärfen sich die Fronten zwischen SPD und Gewerkschaften auf der einen und Opposition und Wirtschaftsverbänden auf der anderen Seite. Gewerkschaften und SPD übten nach ihren Differenzen zur Agenda 2010 den Schulterschluss. Nach Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstützten am Dienstag Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sowie führende Vertreter vom linken und rechten SPD-Flügel Münteferings Vorwürfe gegen die Wirtschaft.

Müntefering hatte in den vergangenen Tagen mehrfach eine "wachsende Macht des Kapitals" kritisiert. Der Staat müsse Rahmen setzen können gegen Firmen, die rücksichtslos "rausholen, was rauszuholen ist".

DGB-Chef Michael Sommer sagte: "Der SPD-Vorsitzende hat nur Selbstverständliches ausgesprochen: Die Wirtschaft hat über Jahrzehnte immer neue Geschenke von der Politik eingestrichen - die dafür versprochenen Arbeitsplätze aber nie geliefert." Die IG Metall verlangte, die Manager deutscher Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.

Ex-Parteichef Oskar Lafontaine meinte im Südwestrundfunk, wenn Müntefering diesen Kurs konsequent beibehalte und Arbeitnehmerinteressen durchsetze, sei die Gründung einer neuen Linkspartei überflüssig.

Für neuen Wirbel sorgte der indirekte Boykott-Aufruf der stellvertretenden SPD-Chefin Ute Vogt. Sie hatte Verbraucher dazu aufgefordert, das Verhalten von Unternehmen zu beachten, wenn diese sich lediglich durch Personalabbau sanieren.

Ein solcher Aufruf führe "zu einer weiteren Polarisierung", kritisierte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Der Sprecher des Einzelhandels-Verbands, Hubertus Pellengahr, sagte, Boykottaufrufe würden der ganzen Wirtschaft schaden.

Finanzminister Hans Eichel (SPD) versuchte, die aufgebrachte Wirtschaft zu beruhigen. Zwar kritisierte er Finanzinvestoren, die nur auf kurzfristigen Gewinn aus seien. Dabei handele es sich aber um Einzelfälle. Die Wirtschaft solle die Kritik nicht als eine gegen sie gerichtete Debatte begreifen, sondern als Diskussion um Einzelfälle. Er sprach sich gegen einen Boykott aus.

Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Bundesverband des Groß und Außenhandels kritisierten die Aussagen Münteferings dennoch als "Wahlkampfrhetorik". "Die SPD verspielt im Wahlkampfrausch deutsche Arbeitsplätze", erklärte der BDI-Hauptgeschäftsführer, Ludolf von Wartenberg.

Unterstützt wird die Wirtschaft in ihrer Kritik von der Union und der FDP. Nach Meinung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel wird Müntefering "die Geister, die er rief" nicht mehr los, wenn jetzt aus der SPD ein Boykott der Unternehmen gefordert werde. Die Unionsfraktion im Bundestag bezeichnete Münteferings Äußerungen als "übles Geschäft mit der Angst der Menschen". Diese "parteipolitisch auszunutzen, ist das moralisch Niederste, was ein Politiker tun kann", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen.

 

Straubinger, 21.April 2005
Wirtschaft verschärft Kritik an der Hetzkampagne"
der SPD
Ethik-Experten warnen vor Pauschal-Urteilen - Wähler sind skeptisch

Berlin. (dpa/A-P) Die Kritik von SPD-Parteichef Franz Müntefering an der einseitigen Profitorientierung von Unternehmen und Investoren zu Lasten von Arbeitsplätzen erhitzt weiter die Gemüter.

Die Wirtschaft reagierte auch am Mittwoch scharf auf die Äußerungen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, sprach in einem Interview von einer "Hetzkampagne" gegen Firmen in Deutschland. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser sagte, wer versuche, wirtschaftliches Handeln in einen Gegensatz zu Patriotismus und sozialer Verantwortung zu bringen, betreibe "keine verlässliche Politik".

Wirtschaftswissenschaftler und Experten für Wirtschaftsethik verschiedener deutscher Universitäten warnten vor Pauschalkritik an Unternehmen. Die Enttäuschung der SPD über die nach ihrer Meinung fehlenden Gegenleistungen der Wirtschaft für die von Rot-Grün eingeleiteten Reformen sei zwar nachvollziehbar. Es sollten aber nur Einzelfälle kritisiert werden.

"SPD-Chef Franz Müntefering setzt auf ökonomischen Analphabetismus", meint etwa der Wirtschaftsethik-Professor Ingo Pies aus Halle. Unternehmen handelten nicht aus Willkür und Menschenverachtung, sondern weil die Gewinnaussichten in Deutschland schlecht seien. Regierungsberater Bert Rürup bezeichnete die SPD-Kritik in einer Zeitung als einen "Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber den Auswirkungen der Globalisierung und des ökonomischen Unverständnisses".

Nach Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, hat Müntefering hingegen mit seiner Kritik an der mangelnden sozialen Verantwortung von Managern "eine Grundstimmung" in der SPD wie in der Bevölkerung getroffen.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) forderte im Landtag in Düsseldorf ein Ende des "ewigen Lamentos" aus der Wirtschaft.

Unterstützung erhielt Müntefering auch vom früheren Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU). Bei den internationalen Konzernen finde Wertschöpfung nur noch mit Blick auf die Börse statt, sagte Blüm einer Chemnitzer Zeitung.

Zwei Drittel der Deutschen halten die Kritik Münteferings laut einer Infratest-dimap-Umfrage im Auftrag der ARD für berechtigt. Gleichzeitig glauben aber 73 Prozent, dass es der SPD mit ihrer Wirtschaftskritik nur darum geht, ihre Chancen bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen zu verbessern.

 

Straubinger, 18.April 2005
Kommentar:

HOLZHAMMER-METHODE
VON GEORG SPRANGER

Wenn bei den Oppositionsparteien die Antennen für das gefühlte politische Klima noch funktionieren, dann müssen bei ihnen jetzt die Alarmglocken läuten. Franz Münteferings klassenkämpferische Mund-zu-Mund-Beatmung für die scheintoten Stammwähler der SPD könnte der Partei den Zuspruch zurückbringen, den sie unter der Last von fünf Millionen Arbeitslosen verloren hat. Denn, so "Müntes" Botschaft mit dem argumentativen Vorschlaghammer, daran sind nicht wir schuld, sondern die Heuschrecken-Kapitalisten, die Ackermanns, anonyme Investoren, Pensionsfonds.

Union, FDP und Wirtschaftsverbände sollten sich nicht täuschen, genau so denken auch viele Anhänger anderer Parteien. Massenentlassungen bei guten wie schlechten Geschäftszahlen und gleichzeitig steigenden Managergehältern - das hinterlässt Spuren in der öffentlichen Wahrnehmung, während der selbstausbeuterische Überlebenskampf des Mittelstandes meist ohne große publizistische Begleitung bleibt. Weiß noch jemand, dass Rot-Grün genau diese laut Müntefering "Heuschrecken-Kapitalisten" steuerlich gehätschelt und den Mittelstand vernachlässigt hat?

Und wer vergleicht schon die angeblich "ungehemmten Regeln des Marktes" (was schon ein sprachlicher Nonsens ist) mit dem Faktum, dass kaum ein anderer Industriestaat seine Unternehmen so gängelt wie Deutschland. Die in mehrere tausend Gesetze, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen gegossene Bürokratie kostet die Wirtschaft jährlich weit über 40 Milliarden Euro, mehr als für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird. Unter dem Strich stehen 1,4 Billionen Euro Schulden, Massenarbeitslosigkeit, Pleitewelle, ein bankrottes Gemeinwesen, die rote Laterne in der EU.

Trotzdem ist es fraglich, ob die politische Gegenseite mit Argumenten viel gegen Münteferings Kapitalismus-Kritik wird ausrichten können. Das lässt für NRW und danach für den Bund einen Holzhammer-Wahlkampf erwarten. Nach Hochwasser und Irak-Krieg könnte Gerhard Schröders Rettung diesmal Franz Müntefering heißen.

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