Landshuter, 15.Nov 2004

"Die Integration von Ausländern forcieren"

Beckstein: Gewaltsame Konflikte mit Muslimen könnten auch in Deutschland drohen

Frankfurt/Main. (AP/dpa) Gewaltsame Konflikte zwischen Muslimen und der übrigen Bevölkerung könnten aus Sicht von Politikern auch in Deutschland drohen. Ausschreitungen wie in den Niederlanden seien auch hier zu Lande möglich, sagte der bayerische Innenminister Günter Beckstein (CSU). Gerade in Großstädten gebe es Ghettos und Parallelkulturen. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte: "Holland ist überall". Der Grünen-Politiker Volker Beck warnte dagegen vor Panikmache: Beckstein gebe "Nachahmungstätern erst die Stichworte".

Beckstein kritisierte, die Niederlande seien "der Illusion einer multikulturellen Gesellschaft erlegen" . Hierzulande müsse die Integration von Ausländern massiver als bisher eingefordert werden. "In Deutschland lebende Ausländer müssen unsere Sprache lernen und unsere Leitkultur anerkennen". Wiefelspütz sagte, niemand solle sich in Sicherheit wiegen, dass solche Dinge nicht auch in Deutschland passieren. Wiefelspütz forderte die muslimischen Gemeinden auf, sich klar von "Gewalttätern und religiösem Wahn" zu distanzieren.

Der Grünen-Politiker Beck stellte fest, dass es in Deutschland noch erhebliche Defizite bei der Integration von Ausländern gebe. Das neue Zuwanderungsrecht löse diese Aufgabe nicht, weil es auf Neuzuwanderer ausgerichtet sei und nicht auf bereits hier lebende Ausländer. Wichtig sei, dass die nachwachsenden Generationen der Migranten rechtzeitig die deutsche Sprache lernten, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion in Berlin. Er plädiere daher für ein Kindergartenpflichtjahr, "damit vor Schulbeginn die Defizite angegangen werden können".

Bundespräsident Horst Köhler beglückwünschte derweil alle Muslime zum Fest des Fastenbrechens zum Ende des Ramadan. Er verband damit den Wunsch, dass "sich die Menschen in unserem Land mit Respekt und Toleranz begegnen, dass keine Gruppe aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird oder sich selber ausschließt. Nur gemeinsam können wir unsere Gesellschaft zum Wohle aller gestalten".

Unterdessen zeigte sich der Bundesausländerbeirat besorgt über den Zulauf für Rechtsextremisten in Deutschland. Besonders deutlich zeigten dies die jüngsten Wahlerfolge rechter Parteien in Brandenburg und Sachsen, erklärte das Gremium am Sonntag in Mainz. Der Beirat forderte die Bundesregierung und alle Landesregierungen auf, die Gefahr des Rechtsextremismus für Demokratie und Wirtschaft nicht zu unterschätzen. Zugleich kritisierte das Gremium das am 1.Januar in Kraft tretende Zuwanderungsgesetz als "Mogelpackung mit rot-grünem Gütesiegel". Das Gesetz habe mit dem ursprünglichen Vorhaben der rot-grünen Bundesregierung nichts zu tun, ein modernes und liberales Zuwanderungsgesetz zu schaffen, das die Weltoffenheit der Bundesrepublik demonstriere, erklärte der Beirat.

 

Straubinger,Landshuter, 20.Nov 2004

Beckstein will schärfere Visa-Bestimmungen

Bayerns Innenminister: Extremisten an der Einreise hindern – Kritik an Schily-Plänen

Frankfurt/Lübeck. (AP/dpa) Der bayerische Innenminister Günther Beckstein hat gefordert, islamistischen Extremisten die Einreise zu verweigern. Beckstein sagte in einem Interview, die derzeit nachlässige Visa-Vergabepraxis des Auswärtigen Amtes berge ein untragbares Sicherheitsrisiko.

Für ausgewiesene Extremisten müsse das Verbot der Wiedereinreise konsequent angewendet und überwacht werden, sagte der CSU-Politiker. Er fügte hinzu, dass hierfür eine europäische Lösung nötig sei.

An die Adresse der Grünen sagte Beckstein, deren "Multikulti-Illusion" sei am Ende. Toleranz könne nicht schrankenlos sein. Zuvor hatte bereits Bundesinnenminister Otto Schily vor "Multikulti-Seligkeit" gewarnt. Grünen-Chefin Claudia Roth wies in derselben Zeitung solche Kritik zurück. Die multikulturelle Gesellschaft sei keine grüne Ideologie, sondern gesellschaftliche Realität, die demokratisch gestaltet werden müsse, sagte sie. Schily setzt nach dem strikten Nein aus den Unionsländern zu mehr Kompetenzen für das Bundeskriminalamt (BKA) unterdessen auf die Föderalismuskommission. "Leider haben wir kein Einvernehmen in dieser so wichtigen Frage erzielt. Aber das muss kein Präjudiz für das Ergebnis der Arbeit der Föderalismuskommission sein", sagte Schily am Freitag zum Abschluss der Innenministerkonferenz in Lübeck.

Die Mehrheit der Länderinnenminister lehnt Schilys Pläne ab, das BKA zur Verhinderung terroristischer Anschläge auch ohne konkreten Verdacht ermitteln zu lassen. Scharfe Kritik kam von Beckstein: "Unsere Sorge ist jetzt, dass der notwendige Ausbau der bestehenden Strukturen vernachlässigt wird, weil der Bundesinnenminister etwas ganz Neues will." Bayern sei aber bereit, über "begrenzte Vorfeldbefugnisse" des BKA zu reden, wenn die Kompetenzen streng geregelt würden. Beckstein sprach sich dafür aus, Polizisten mit türkischen und arabischen Sprachkenntnissen bei der 'Überwachung von Moscheen einzusetzen. Ähnlich hatte sich der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) geäußert.

Bundeskanzler Gerhard Schröder forderte von den Muslimen in Deutschland mehr Integrationsbereitschaft. Angesichts der Anschläge von Extremisten in den Niederlanden könne die Demokratie "weder rechtsfreie Räume noch Parallelgesellschaften dulden", betonte Schröder.

Einen Tag nach dem Brandanschlag auf eine Moschee im badenwürttembergischen Sinsheim sind die Hintergründe weiter unklar. Ein Polizeisprecher sagte am Freitag, man ermittele "mit Hochdruck" in alle Richtungen. Die Ermittler gehen demnach 50 Spuren nach.

Derweil forderten die arabischen Mittelmeeranrainer zum Abschluss der gemeinsamen Jahreskonferenz mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im ägyptischen Badeort Scharm-el-Scheich, Übergriffe auf Muslime in Europa sollten mit derselben Unnachsichtigkeit geahndet werden wie antijüdische Straftaten.

 

Straubinger, 22.Nov 2004

CSU fordert Anpassung an "deutsche Leitkultur"

Stoiber: Ausländer müssen unsere Werteordnung respektieren - Aufruf zur Verteidigung der christlichen Prägung Deutschlands - SPD und Grüne rufen Union zur Mäßigung auf

München. (AP/dpa) Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber hat am Wochenende auf dem CSU-Parteitag in München die Deutschen zu einem "aufgeklärten Patriotismus" und zur Verteidigung der "christlichen Prägung unseres Landes" auf gerufen. Die scharfe Forderung der CSU an Ausländer, sie sollen sich an eine deutsche "Leitkultur" anpassen, stieß auf heftige Kritik. SPD, Grüne und Ausländervertreter riefen die Union zur Mäßigung auf und warnten vor Hysterie gegen Muslime. Auch Ex-CDU-Chef Wolfgang Schäuble warnte die Union vor dem Begriff Leitkultur.

Der CSU-Parteitag hatte sich am Samstag einstimmig für eine Kürzung der Sozialleistungen für nicht integrationswillige Ausländer ausgesprochen. Ausländer müssten "unsere Leitkultur" vollständig akzeptieren. In dem CSU-Beschluss heißt es, die Verpflichtung zur Teilnahme an Sprachkursen habe tägliche Praxis zu werden. Alle Einwanderer müssten deutsch lernen und die Werteordnung des Landes respektieren. Die multikulturelle Gesellschaft führe zu abgeschotteten und gefährlichen Parallelgesellschaften, wie die Gewalt in den Niederlanden zeige. Stoiber verlangte eine Rückbesinnung auf das christliche Wertefundament der Gesellschaft. Ob es um das Kruzifix oder das Schulgebet gehe, "wir müssen offensiver werden in dieser Frage", sagte der bayerische Ministerpräsident. Die Jugend müsse "auch Leistungsbereitschaft, Disziplin, Einsatzbereitschaft, Pflichtbewusstsein, Rücksichtnahme und Höflichkeit lernen". Bildung müsse nicht nur Wissen, sondern auch Werte vermitteln. Es sei notwendig, die christliche Prägung Deutschlands zu verteidigen. "Ja zu Offenheit und Toleranz, nein zu islamistischen Kopftüchern", erklärte Stoiber. Für Hassprediger und Gewalttäter könne es keine Toleranz geben.

Einstimmig lehnte der CSU-Parteitag einen EU-Beitritt der Türkei ab. Die Vollmitgliedschaft würde die Europäische Union politisch und finanziell überfordern, hieß es.

Auch der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) forderte von Einwanderern die Übernahme der "deutschen Leitkultur". Die kulturelle und sprachliche Basis der Deutschen dürfe von Ausländern nicht "zerstört" werden. Nach Ansicht von CDU-Chefin Angela Merkel ist" die Idee der multikulturellen Gesellschaft dramatisch gescheitert".

Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer kritisierte diese Debatte als "brandgefährlich". "Mein Leitbegriff ist der einer multikulturellen Demokratie." Diese Vielfalt in Deutschland müsse weiter entwickelt werden. Co-Vorsitzende Claudia Roth sagte, "in der Union sind da offensichtlich andere Motive vorhanden als das Bemühen um eine wirkliche Integration der Ausländer". SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz erklärte, Integration lasse sich "nicht im Feldwebelton befehlen".

Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte, der Gewaltausbruch zwischen Einheimischen und Muslimen in den Niederlanden zeige, dass die Debatte über die Werte notwendig sei. "Durch derartige Verbrechen dürfen sich die Menschen nicht in einen Kampf der Kulturen drängen lassen", warnte Schröder zugleich. Dem Integrationswillen der Deutschen müsse aber die Integrationsbereitschaft der Einwanderer gegenüberstehen. Die Muslime müssten sich "zu unserer Rechtsordnung und unseren demokratischen Spielregeln" bekennen, sagte der Kanzler. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, forderte, dass islamische Imame auf Deutsch predigen. "Es wäre im Interesse der Moscheegemeinden, wenn sie sagen würden, wir haben nichts zu verstecken, wir können, was wir predigen, öffentlich vertreten", sagte er. Er glaube aber nicht, dass die Sprache per Gesetz festgelegt werden könne. Der türkische Botschafter in Deutschland, Mehmet Ali Irtemcelik, sieht die Muslime zu Unrecht "auf der Anklagebank". Es werde "verantwortungslos zugespitzt". Mehr als 25000 überwiegend türkische Muslime gingen am Sonntag in Köln auf die Straße, um für Frieden zu werben und islamistische Terrorakte zu verurteilen. Während der friedlichen Kundgebung auf dem Rudolfplatz sagte der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU), die deutsche Gesellschaft wolle den Dialog und ein Miteinander. Christen und Muslime müssten sich einig sein, "dass diejenigen, die Terroranschläge verüben, keine anständigen Menschen sind, sondern Verbrecher". Beckstein rief der Menge zu: "Diejenigen, die sagen, Islam heißt Frieden, nehmen wir mit offenen Armen auf." Zugleich verlangte er von allen Einwanderern mehr Anstrengungen zur Integration:"Wir bitten Euch: lernt Deutsch!"

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