Straubinger, 3.Januar 2005

Michael Glos: Der EU-Beitritt der Türkei ist noch längst nicht unter Dach und Fach
Exklusiv-Interview mit dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag
Von unserem Münchner Korrespondenten Ralf Müller

Herr Glos, das letzte Jahr hat für die Union weitaus schlechter aufgehört als es angefangen hat. Es gab neben Rücktritten von Merz über Seehofer bis Meyer Zwist zwischen den Unionsparteien und die Zustimmungsquoten sanken. Wer trägt dafür die Verantwortung?

Glos:Personalfragen sind das eine, Sachfragen das andere. Von Zwist in Sachfragen zwischen den beiden Unionsparteien kann jetzt nicht mehr die Rede sein. Bei allen wichtigen Problemen ziehen CDU und CSU an einem Strang. Auch bei der umstrittenen Reform der finanziellen Grundlagen der Gesundheitsversorgung haben wir am Ende zu einem Erfolg versprechenden Kompromiss gefunden. Es hat sich gezeigt: Auch wenn die beiden Unionsparteien in einzelnen Bereichen der Politik andere Schwerpunkte setzen, haben sie immer wieder zu gemeinsamen Positionen gefunden. Das wird auch in Zukunft so sein.

Sind die Unstimmigkeiten zwischen den Unionsparteien Folge der nicht beantworteten Kanzlerkandidaten-Frage?

G1os: Nein, in keiner Weise. Die Frage der Kanzlerkandidatur stellt sich heute noch nicht. Sie wird möglicherweise ein Thema bei der Kreuther Klausurtagung in 2006 sein.

Was muss sich denn 2005 tun, damit die Union wieder mehr in die Offensive kommt? Was wollen Sie den CDU-Spitzenkandidaten von NRW und Schleswig-Holstein in Kreuth mit auf den Weg geben?

Glos: Dass CDU und CSU Wahlen gegen ein abgewirtschaftetes Bündnis von Rot-Grün erfolgreich bestehen können, haben wir in den beiden vergangenen Jahren zur Genüge unter Beweis gestellt. Die wachsenden Schuldenberge, die immer neuen Haushaltslöcher, der Mangel an wirtschaftlicher Dynamik und die erschreckend hohe Arbeitslosigkeit zeigen, dass Rot-Grün mit den vor uns liegenden Problemen nicht fertig wird. Dies wissen auch die Menschen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo Landtagswahlen bevorstehen. Die Klausurtagung in Kreuth verdeutlicht unsere kraftvolle Unterstützung für die beiden Spitzenkandidaten der CDU in Düsseldorf und Kiel. Von beiden Landtagswahlen erhoffe ich mir wichtige Signale für den Wechsel in Berlin.

Man hat den Eindruck, als wollten Sie mit der diesjährigen Kreuther Klausurtagung, zu der auch der starke Mann der französischen Konservativen Sarkozy erwartet wird, den Versuch starten, den Beitritt der Türkei zur EU zu kippen. Ist das so und übernehmen Sie sich da nicht etwas?

Glos:Ein EU-Beitritt der Türkei, wie sich ihn die Herren Schröder und Fischer vorstellen, ist noch längst nicht unter Dach und Fach. Beim letzten EU-Gipfel wurde ausdrücklich beschlossen, dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden und ein Beitrittsautomatismus nicht besteht. Wir kennen die großen Vorbehalte der Mehrheit unserer Bevölkerung gegen eine türkische Vollmitgliedschaft und wir wissen auch, dass die Stimmung in anderen EU-Mitgliedstaaten, zum Beispiel in Österreich und Frankreich ähnlich ist.

Wenn wir dieses Problem zu einem Thema der kommenden Bundestagswahl machen, wird dies auch für Rot-Grün Anlass sein, ihre bisherige Position zu überdenken.

Einige Mitglieder Ihrer Landesgruppe sprechen sich - sehr zum Missfallen der CSU-Europaabgeordneten - dafür aus, dem EU-Verfassungsvertrag im Bundestag die Zustimmung zu verweigern. Ist dies eine Haltung, die von der gesamten Landesgruppe geteilt wird? Wie stehen Sie persönlich dazu?

Glos: Die Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages wird uns in Kreuth beschäftigen. Einige Mitglieder der CSU-Landesgruppe haben in einem Papier die Mängel des EU-Verfassungsvertrags festgehalten, die im Wesentlichen auf die schlechte Verhandlungsführung der Bundesregierung zurückzuführen sind. Wir werden sorgfältig abzuwägen haben zwischen den offenkundigen Mängeln des Vertrags auf der einen Seite und den wesentlichen Fortschritten gegenüber dem jetzt gültigen Vertrag von Nizza auf der anderen Seite".

Was sagen Sie denn zu der Einschätzung, wer jetzt den EU-Verfassungsvertrag wegen der Türkei-Beitrittsverhandlungen blockieren wolle, handele wie jemand, "der aus Angst, womöglich nicht mehr rennen zu können,' sich ins eigene Knie schießt?

G1os: Ich weiß nicht, woher dieser blühende Unsinn stammt. Andersrum wird ein Schuh draus. Mit- dem Vertragswerk von Maastricht und den nachfolgenden Abmachungen vom Amsterdamer Vertrag über die Grundrechte-Charta bis hin zum Verfassungsvertrag war eine echte, auf dem weltweiten Parkett handlungsfähige Politische Union angestrebt. Im Falle eines türkischen Beitritts wird das Projekt der Politischen Union in Frage gestellt. Dies sehen auch prominente Sozialdemokraten so, angefangen von Helmut Schmidt bis zum Kanzlerberater Heinrich August Winkler. Daher ist unser Modell der privilegierten Partnerschaft die richtige Antwort auf diese Zukunftsfrage der Europäischen Union.

Macht man den Deutschen angesichts der politischen und verfassungsrechtlichen Realitäten nicht etwas vor, wenn man so tut, als könne es hierzulande Plebiszite über den EU-Verfassungsvertrag und über den EU-Beitritt der Türkei geben. Wie soll das denn gehen?

Glos: Ich habe mich bekanntlich mehrfach für eine Volksbefragung bei europapolitischen Fragen von grundsätzlicher Auswirkung auf unser Land ausgesprochen. Rot-Grün liebäugelt demgegenüber mit der generellen Einführung von Plebisziten, was in unseren Reihen auf Bedenken stößt. Ich glaube nicht, dass es in Bundestag und Bundesrat die erforderlichen Mehrheiten für eine hierfür erforderliche Verfassungsänderung gibt.Die Ukraine hat gerade so etwas wie eine friedliche Revolution hinter sich, ist christlich, liegt unzweifelhaft in Europa. Muss man diesem Land nicht eher eine Beitrittsperspektive geben als der Türkei?

Glos:Ich habe in der Europadebatte die Bundesregierung mehrfach aufgefordert, Stellung zu den Fragen des künftigen Selbstverständnisses einer erweiterten Europäischen Union und der künftigen Außengrenzen dieser Union zu beziehen. Die EU muss sich Gedanken darüber machen, welche Beziehungen sie mit den Anrainerstaaten von Marokko bis zur Ukraine unterhalten will. Hierfür eignet sich das Konzept, das die beiden Unionsparteien für die Beziehungen zur Türkei entwickelt haben, nämlich das Konzept einer privilegierten Partnerschaft. Sie würde auch der Ukraine eine positive Zukunftsperspektive eröffnen.

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