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Landshuter, Straubinger, 28.Februar 2004

LEITARTIKEL: ENTZAUBERTVON DR. HANS M. GÖTZL

"Ist der Ruf erst mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert". Unter diesem Motto orientieren sich heute die Top-Manager fast ausschließlich am Shareholder Value, wobei die Gier nach Geld das treibende Motiv zu sein scheint. Keine Spur mehr von Moral und Verantwortung, wie sie heute noch mittelständische Unternehmer auszeichnet. Vergessen die Gründer großer Konzerne, die mit ihren Fähigkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg das "Deutsche Wirtschaftswunder" mitbewirkten. Verdrängt die vielen Handwerksbetriebe, die beim Wiederaufbau den Mut hatten, neue technische Möglichkeiten zu nutzen und finanzielle Risiken einzugehen.

In der Ära der New Economy erfolgte vor allem bei den Großen ein Bruch dieser ethisch geprägten Verhaltensweisen. Junge, talentierte "Start-ups" brachten ihre Ideen an die Börse und verdienten ebenso schnell Millionenbeträge, wie sie im Gegenzug ihre Anleger um dieselben brachten. Weltweit agierende Manager von Konzernen fälschten Bilanzen, wenn der "Cashflow" nicht mehr den Verbindlichkeiten entsprach. Visionäre verloren die Bodenhaftung, als sie bei allem Weitblick die finanziellen Realitäten ihres Handelns missachteten. Und die Liste der Pleiten ist lang. Sie beginnt mit Enron und Worldcom und wird mit Parmalat sicherlich noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben.

Viele Konzernchefs ließen sich auch von der eigenen Eitelkeit verführen und wurden so vom Unternehmer zum Hasardeur. "Diese Ehe wurde im Himmel geschlossen", verkündete vor einigen Jahren Daimler-Chef Jürgen Schrempp noch mit verklärtem Blick, als er die Fusion des Stuttgarter Autobauers mit dem US-Wettbewerber Chrysler verkündete. "Wir wollen in der Automobilindustrie die Nummer eins in der Welt werden", so der präpotente Schwabe, der den Bedächtigen in den Chefetagen anderer Firmen weismachen wollte, wie man Gewinne einheimst. Die sind allerdings bei DaimlerChrysler bislang ausgeblieben. Im Gegenteil! Der Konzern verlor über 60 Prozent seines Aktienwertes. Im wichtigen US-Markt rutschte die Marke mit dem Stern zudem bei Zuverlässigkeitsstudien dramatisch ab. Hinzu kommt, dass die Stuttgarter mit Mitsubishi weiterhin in der Schuldenfalle stecken und sie in China, dem Hoffnungsmarkt aller Autoproduzenten, noch kein eigenes Werk errichtet haben. Ist nur der Markt schuld? Wohl kaum. Das zeigen die Rekordergebnisse der größten Konkurrenten, die DaimlerChrysler nicht nur bei der Umsatzrendite abgehängt haben. So hat sich BMW seit der Trennung von Rover erfolgreich auf das Premiumsegment konzentriert. Bei Toyota wiederum scheint in der Tat "nichts unmöglich" zu sein. Der japanische Autohersteller, der noch nie ein anderes Unternehmen zugekauft hat, gilt mittlerweile als der erfolgreichste der Welt. Das globale Wachstum hat er allerdings aus eigener Kraft geschafft. Findet Schrempp nicht die Wende zum Besseren, dürfte sein Traum von der "Welt-AG" alsbald als teurer Irrtum platzen. Dass der Aufsichtsrat trotzdem an ihm für weitere drei Jahre festhalten will, verstehe wer kann. Rational nachvollziehbar ist es nicht.

Wie sich inmitten der vermeintlich modernsten Wirtschaftskultur in Wirklichkeit längst ein ökonomischer Neofeudalismus breit gemacht hat, zeigt auch der Mannesmann-Prozess, in dem geklärt werden muss, ob die gigantischen Abfindungen und Prämien im Zuge der Übernahme durch Vodafone den Tatbestand der Untreue erfüllen. Getragen von einer wirtschaftlichen Ideologie, die unternehmerischen Erfolg allein an den Cash-Flows aus Aktienwerten bemisst, etablierte sich eine ständisch privilegierte Managerklasse, die nur für den Shareholder Value die notwendigen Dienste erbringt. "Das ist das einzige Land, wo diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen", so trotzig der Deutsee-Bank-Chef Josef Ackermann vor Gericht. Auch diese Bemerkung zeigt den Verlust von Bodenhaftung. Wo bleibt da die Kultur, des Anstands? Für sich und seine Manager-Kollegen amerikanische Gehälter zu fordern und dabei nur die im Vergleich kleinen deutschen Risiken eingehen zu wollen, das passt einfach nicht zusammen. Beim Fünfhundertfachen eines Facharbeitergehalts wird ohnedies niemand mehr rot, weil vielfach die persönliche Bindung fehlt, wie sie im Mittelstand und bei den Selbständigen gottlob noch immer die Norm ist. Es wird Zeit, dass diese Manager endlich einsehen, dass sie doch nur leitende Angestellte sind, während die echten Unternehmer hohe Risiken auf sich nehmen und dabei auch noch mit ihrem Familienvermögen haften. Das Geld anderer Leute zu verprassen, ist dagegen keine Kunst. Dementsprechend dürftig und armselig sind auch Ackermanns Rechtfertigungen. So soll sich Ex-Vorstandschef Klaus Esser seine millionenschweren Prämien durch monatelangen Einsatz bis an den "Rand der Erschöpfung" erarbeitet haben. Da lachen doch die Hühner! Selbst der Hinweis auf die Wertstesteigerung, die Esser im Zuge der Übemahmeschlacht herbeigeführt hat, vermag nicht zu überzeugen, da der Kurs kurz danach schon wieder auf das alte Niveau gesunken war.

Keine Frage, die Managerkaste ist entzaubert, zum Teil als geldgierig entlarvt: Das gilt, auch für so manche Beraterstäbe, die sich an Ministerien und staatlichen Institutionen festsaugen wie die Blutegel auf einem Ochsen. Wo bleibt da der Sachverstand der Ministerialbürokratie? Wo der Mut des Kanzlers und so mancher Ministerpräsidenten, unpopuläre Reformen auch gegen die eigene Parteiräson durchzusetzen? Offensichtlich ziehen sie lieber den Schwanz ein, schreiben Projekte erst gar nicht aus und verzichten so freiwillig auf vergleichende Angebote. Stattdessen werden sie nicht müde, Beratergutachten als Scheinbelege für ihre angebliche politische Tatkraft zu präsentieren. Dass auf diese Weise Kartelle und Seilschaften entstehen und der Veruntreuung und Korruption Tür und Tor geöffnet werden, haben die Ereignisse bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg gezeigt. Allein im letzten Jahr soll die rot-grüne Koalition bundesweit 500 Millionen Euro für die Ratschläge externer Möchtegern-Experten verpulvert haben.

Keine Frage, der Imageschaden ist enorm. Darunter haben auch all jene zu leiden, die nicht nur auf den Aktienkurs schielen, sondern die auch das Wohl der Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Gemeinschaft im Auge haben. Nicht von ungefähr hat Bundespräsident Rau in diesen Tagen eine neue Wirtschaftsethik verlangt, in der der Erhalt und die Schaffung von - Arbeitsplätzen zumindest denselben Stellenwert haben sollten wie die Steigerung des Börsenwertes. Offenbar haben es Politik und Gesellschaft viel zu lange hingenommen, dass selbst ernannte Berater und selbstherrliche Manager die Wirtschaft handhabten wie ihr Privateigentum und den Verlust an Vermögen und Arbeitsplätzen ausschließlich mit dem globalen Wettbewerb begründeten. Hier muss gegengesteuert werden, sonst gerät der gesellschaftliche Konsens in Gefahr.