Mittelbayerische Zeitung, 26.08.05

Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes:
Spruch mit Widerhaken

VON REINHARD ZWEIGLER, MZ
rzweigle@mz.donau.de

Die Karlsruher Verfassungsrichter haben gestern grünes Licht für den mit Volldampf durchs Land brausenden Wahlkampfexpreß gegeben. Es wird am 18. September vorgezogene Neuwahlen für den 16. Deutschen Bundestag geben. Dieser Spruch war angesichts des übermächtigen politischen Drucks quer durch alle Lager erwartet worden. Dennoch war es eine Entscheidung mit Widerhaken. Das oberste Gericht sollte in Zukunft tunlichst darauf achten, daß sich nicht der Eindruck festsetzt, Karlsruhe sei ein Knecht, ein bloßer Befehlsempfänger der Politik.

Die Tatsache, daß Abgeordnete eine Entscheidung von Regierungschef bzw. Staatsoberhaupt kritisch hinterfragten und das Verfassungsgericht anriefen, ist jedenfalls kein Armutszeugnis, keine Blamage, sondern ein Zeichen der Stärke unserer Demokratie. Auch daß ein erfahrener Karlsruher Richter seine verfassungsrechtlichen Bauchschmerzen und sein abweichendes Votum aktenkundig machte, zeigt an, leicht haben es sich die roten Roben nicht gemacht.

Allerdings liegt die Verantwortung für die verfassungsmäßige Gratwanderung nicht bei den Richtern, sondern beim Bundeskanzler. Gerhard Schröder hat offenbar schon nach dem Wahldebakel von Schleswig-Holstein im Februar mit dem Gedanken gespielt, Neuwahlen vorzuziehen. Die herbe Schlappe im SPD-Kernland NordrheinWestfalen gab ihm den Rest.

Doch bei allem Respekt vor Schröders Streben nach politischer Klarheit und der Rückgabe des

Mandats an den Souverän, das Volk:Einen solch verschwommenen Weg zu Neuwahlen darf man nicht einschlagen. Rot-Grün besaß bis zum 1. Juli eine funktionierende Bundestagsmehrheit. Selbst im Fall eines unwahrscheinlichen rot-grünen Wahlsieges am 18. September, würde sich die politische Konstellation mit einem unionsdominierten Bundesrat nicht ändern. De facto wird Deutschland bereits von einer großen Koalition regiert. Nur sitzt die nicht an einem Kabinettstisch im Kanzleramt sondern traf sich in endlosen, teilweise diskreten Vermittlungsrunden zwischen Regierung und Länderkammer.

Jetzt haben die Millionen Wählerinnen und Wähler Klarheit, daß ihr Votum über die politische Zukunft Deutschlands gefragt ist. Die Parteien versprechen mit Engelszungen eine rosarote Zukunft und sehen Schwächen immer nur beim politischen Gegner. Doch nun, nachdem die letzte Hürde zu Neuwahlen genommen wurde, sind mündige Bürger gefragt, die die Programme und Versprechen der politischen Parteien kritisch hinterfragen, sich nicht von Sprechblasen irre machen lassen.

Fast scheint es, als sei die Wahl schon zugunsten von Schwarz-Gelb gelaufen. Doch Vorsicht, in drei Wochen heißer Wahlkampfzeit kann viel passieren. Auch wenn das Hochwasser von Iller, Isar und Donau wohl keinen entscheidenden Einfluß auf den Wahlausgang haben dürfte, wie die Elbeflut 2002. Doch ob die mutige, bis wagemutige Mehrwertsteuererhöhungs-Kandidatin Angela Merkel wirklich ins Kanzleramt einziehen kann, entscheidet sich erst am 18. September. Bis dahin kämpft der mediengewandte Kanzler um jeden Meter, um jede Stimme. Dieser Wahlkampf ist kurz, hart und spannend.

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