Straubinger,Landshuter, 26.Oktober 2004

GASTKOMMENTAR

NORMALISIERUNG
VON HANNES BURGER

Als 1989 der Eiserne Vorhang zu Tschechien fiel, brach vor allem im ostbayerischen Grenzland eine große Euphorie aus: Endlich nicht mehr am abgelegenen, mit Stacheldraht vernagelten Ende der westlichen Welt, nicht mehr mit dem Rücken zur Wand, sondern ein guter Platz in der Mitte Europas am offenen Tor zu den Märkten der osteuropäischen Nachbarländer. Eine Welle der Hilfsbereitschaft beim Aufbau von Demokratie und moderner Verwaltung in Tschechien brach aus, die "Grenzüberschreitende Zusammenarbeit" wurde zum Zauberwort. Das Treffen von Ministerpräsident Streibl mit den Regierungschefs von Tschechien und Oberösterreich zum Dreiländer-Gipfel auf dem Dreisessel war ein Symbol für den gemeinsamen Willen zum Aufbruch in eine neue Zeit friedlicher Nachbarschaft.

Die anhaltenden politischen Differenzen und ungelösten Konflikte aus der Zeit der NS-Besetzung Tschechiens sowie der Vertreibung der Sudetendeutschen wurden von der Bundesregierung ignoriert, heruntergespielt oder ausgeklammert. Zum Ausgleich hat sich Bayern umso intensiver der Interessen der Sudetendeutschen angenommen. Auch Ministerpräsident Stoiber hat sich für sie engagiert, in der Hoffnung, Prag zum direkten Dialog mit den aus ihrer Heimat Vertriebenen zu bewegen. Doch bequemer als sich mit den Betroffenen zu versöhnen, ist es für Prag freilich, nur mit Rot-Grün in Berlin zu reden, wo die Interessen Deutscher wie die Bayerns keine Rolle spielen.

Mit München verharrt Prag seither auf politischer Ebene in Sprachlosigkeit - zum Schaden unserer und der tschechischen Grenzgebiete - obwohl die längste deutsch-tschechische Grenze durch Bayern verläuft. Die Folge ist, dass die zwingend gebotene grenzüberschreitende Kooperation zwar auf der Ebene der kommunalen Nachbarschaft, vieler Partner- und Patenschaften und der sachlich-technischen Administration der Ministerien auf beiden Seiten halbwegs funktioniert. Aber die Euphorie im Grenzgebiet ist weg, der Elan hat nachgelassen. So droht die notwendige Dynamik bei der Entwicklung eines neuen Wirtschaftsraumes Bayerwald-Böhmerwald, zwischen Donau und Moldau aus Resignation zu erlahmen.

Gewiss hat der Passauer Landtagsabgeordnete Kobler Recht, wenn er das ein Stück Normalität nennt, weil vieles, was sich heute über die Grenzen Niederbayerns und Oberösterreichs zu Tschechien abspielt, bereits als selbst verständlich gilt. Aber was den Elan von Bürgermeistern, Landräten und Abgeordneten beiderseits offenbar stark bremst, ist zum einen das Überhandnehmen der Bürokratie auch in Tschechien und zum anderen das Fehlen großer politischer Entwicklungs-Konzepte und Zielvorgaben.

Da dies nicht erfolgt, fehlen gemeinsame bayerisch-tschechische Interventionen in Brüssel und Berlin, um zumindest den Wirr-Warr eher zufälliger Förderprojekte - Gemeinschaftsaufgabe hier, Leader da, Interreg dort - in sinnvolle grenzüberschreitende Entwicklungslinien einzuordnen. Es fehlen 15 Jahre nach der Grenzöffnung nicht nur mehr Grenzübergänge, sondern vor allem langfristige grenzüberschreitende Verkehrskonzepte. Unzureichende Anbindungen beider Grenzregionen auf Schiene wie Straße - unkoordiniert mit wirtschaftlichen, touristischen und ökologischen Zielen. Wo sollen Entwicklungsachsen für die Industrie vorgezeichnet werden? Wo soll die touristische Erschließung im Kompromiss mit sinnvollem, nicht nur ideologischem Schutz der herrlichen Natur und Landschaft im Bayer- und Böhmerwald den Schwerpunkt bilden?

Also, was ist nun geblieben von den großen Sprüchen der rot-grünen Schönfärber Schröder, Fischer und Verheugen am 1. Mai über das zusammenwachsende Europa der jetzt 25 EU-Länder? Seitens des Bundes und der EU-Kommission blieb vor allem der anhaltende Streit über die Beiträge der Nettozahler, die weniger in den gemeinsamen Topf einbringen wollen, weil sie immer noch weniger herausbekommen. Den zehn Beitrittsländern sind Förderprgramme versprochen worden, die nicht mehr finanzierbar sind. Und den strukturschwachen Grenzgebieten, die unter der höchst geförderten Konkurrenz in den Nachbarländern samt deren bekannten Wettbewerbsvorteilen wie niedrigen Löhnen, Steuern und Energiekosten, werden ausgerechnet in der schwierigen Übergangszeit die Fördermittel abgebaut statt aufgestockt. Geblieben ist also nichts als bloße Vertröstung.

Nicht viel mehr ist aus den Versprechungen der Staatsregierung bei der Kabinettssitzung in Freyung geworden. Das einzige, was sich irgendwann positiv niederschlagen wird, sind die 60 Millionen Euro aus dem Verkauf der Regentalbahn. Aber auch dieser zur Wirtschaftsförderung im ostbayerischen Grenzland bestimmte Betrag, den man sofort abrufbar bräuchte, wird über Jahre gestreckt und teilweise nur zur Finanzierung von verbilligten Darlehen benutzt. Billige Kredite kriegt man heute allerdings überall bei den Banken unter der gleichen Voraussetzung: ausreichende Eigenmittel und Sicherheiten. Das heißt: Firmen, die sie eigentlich nicht brauchen, nehmen die Darlehen dann gerne mit.

Die Aussage von Ministerpräsident Stoiber war richtig, dass man nicht jedes Jahr hundert Millionen Sondermittel fürs Grenzland einsetzen könne, sondern dass in den schwierigen Übergangsjahren jedes Ministerium aus seinem Etat Mittel für Schwerpunkte dort einsetzen müsse. Aber wer im Kabinett tut das? Als einstimmiger Chor singt es die abgewandelte Arie der Minister im Füssener König-Ludwig-Musical: "Geld hamma koans, Grenzland brauch ma koans und was ma braucha, des wiss' ma aloans!" Statt bei der heiß umkämpften Verwaltungsreform zu dezentralisieren und mehr ohnehin bayern-online vernetzte Behörden in die schönen Grenzlandkreise zu verlagern, wird dort abgebaut und weiter zentralisiert.

Jeden Minister und seine Abgeordneten-Leibgarde im Landtag - mit Ausnahme von Erwin Huber interessiert offensichtlich nur der eigene Stimmkreis und Bezirk. Keine Spur von Solidarität mit dem Grenzland. Jede Anregung an ein Ministerium, wo und wie man dem Grenzland zusätzlich helfen könnte, wird mit schönen langen Blabla-Briefen beantwortet, deren kurzer Sinn lautet: Dies oder das zu tun, würde ja Geld kosten und das haben wir doch nicht.

Politiker und Medien in Ostbayern stehen vor dem gleichen Dilemma: Zeigen wir die wachsenden Probleme der Städte und Dörfer im Grenzland mit sinkender Lebensqualität, Verödung und Abwanderung der Jugend auf, so wird uns geraten, nicht immer zu jammern. Klagen wir aber nicht und reden nur von den Visionen der fernen großen Chancen des über die Grenzen zusammenwachsenden Europas, so tut in Brüssel und Berlin, in Prag und München niemand einen Handstrich, um wenigstens die Strukturen für die nahe Zukunft der Grenzgebiete zu planen. Auf beiden Seiten gilt es aber, berechtigte Ängste abzubauen und wieder neue Hoffnungen zu wecken.

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