Mittelbayerische Zeitung, 28.Juli 2005

Verfassungsgericht verhindert "Polizeistaat"
Ein couragierter Richter aus Niedersachsen bringt die vorbeugende Telefonüberwachung zu Fall
VON JÜRGEN OEDER, AFP

KARLSRUHE. Robert Suermann wunderte sich schon ein wenig, dass er "der einzige war, der hier geklagt hat". Dass die Polizei in Niedersachsen ohne konkreten Verdacht Telefone von Bürgen anzapfen durfte" erinnert den Oldenburger Strafrichter an einen "Polizei- und Überwachungsstaat". Ein Albtraum, der nach seiner Meinung durchaus mehr öffentliche Empörung hätte auslösen können. Suermann jedenfalls zog gegen das Landesgesetz vor das Bundesverfassungsgericht und bekam in Karlsruhe auf ganzer Linie Recht. "Wir können die Freiheit nicht schützen, indem wir sie beseitigen", sagte er nach der Urteilsverkündung. Das Gesetz, mit dem die schwarz-gelbeLandesregierung die Polizei zur Bespitzelung und Überwachung ihrer Bürger ermächtigte, gleicht einem Freibrief.Für eine umfassende Datenüberwachung reichte laut Urteil bereits die "nicht näher konkretisierte Möglichkeit, dass jemand irgendwann in Zukunft Straftaten begehen wird". Ohne konkreten Tatverdacht und weit im Vorfeld möglicher künftiger Straftaten durfte die Polizei demnach Telefonate belauschen und E-Mails aufzeichnen. Sie durfte festhalten, wer mit wem wann und wie lange telefoniert hat, welche SMS Verbindungen gewählt und welche Internetverbindungen genutzt wurden.

Selbst das Erstellen von Bewegungsbildern über die Standortkennung von Handys war möglich. Solch tiefe Einblicke in das Kommunikationsverhalten, soziale Umfeld und die persönlichen Gewohnheiten waren nicht nur bei den angeblich Verdächtigen, sondern auch bei deren Kontaktpersonen erlaubt. "Also gegen potenziell vollkommen Unbeteiligte", so Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Mehrere Bundesländer von Hamburg bis Bayern liebäugelten mit ähnlich umfassenden Ermächtigungen, die Niedersachsen damals mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA begründet hatte. Dass das Karlsruher Urteil sie nun mit strengen Maßgaben und Einschränkungen daran weitgehend hindert, tut dem Kampf der Polizei gegen Alltagskriminalität oder gar Terrorismus auf der Grundlage von Bundesgesetzen keinen Abbruch. So ist etwa nach der Strafprozessordnung die Telefonüberwachung bei der Vorbereitung von terroristischen oder anderen Straftaten durchaus zulässig, allerdings nur unter Auflagen und mit richterlicher Genehmigung. "Die Behauptung, ein Verzicht auf die präventive Telefonüberwachung beeinträchtige die Terrorismusbekämpfung, entbehrt insofern jeder Grundlage", erläutert der Bundesbeauftragte für 'Datenschutz, Peter Schaar, das Urteil. Die frühere liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser Schnarrenberger sieht das ähnlich. Die Mittel im Kampf gegen den Terrorismus müssten "verfassungsfest" sein und entsprechende Gesetze "das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit halten", forderte sie. "Bei der Ausgestaltung von Gesetzen muss dass Grundgesetz wieder Maßstab werden."

 

 

"Es gibt keine Freiheit,

wenn nicht auch

Sicherheit herrscht. Aber

Sicherheitsgesetze, die

Eingriffe erlauben,

beschränken zugleich die

Freiheit und können die

Bürger im Extremfall

eher verunsichere. '

Hans-Jürgen Papier, Präsident
des Bundesverfassungsgerichts

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