Eine 'Privilegierte Partnerschaft' als Alternative zu einer EU-Vollrnitgliedschaft der Türkei

1.Ziele einer Privilegierten Partnerschaft

Die Privilegierte Partnerschaft zielt auf eine möglichst enge Bindung zwischen derEU und der Türkei.

Zunächst dient sie der Wahrung und Weiterentwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Die Errungenschaften der letzten Jahre würden so vor einem möglichen Rückfall in instabile Verhältnisse, oder, noch schlimmer, in autoritäre und möglicherweise islamistische Regierungsformen geschützt.

Dies wiederum trüge der wichtigen geostrategischen Position der Türkei Rechnung: Die EU hätte damit in der für Europas Sicherheit entscheidenden Region Nahost einen festen Partner; sie könnte auf alle Stabilisierungsbemühungen, sowohl im palästinensisch-israelischen Konflikt, als auch in der Nachkriegssituation im Irak, wichtigen Einfluss ausüben. Gleichzeitig ist auch die Nähe zur energiereichen Schlüsselregion Zentralasien von großer Bedeutung.

Durch die Privilegierung einer moslemischen Gesellschaft als Partner der EU würde dem Mythos von der Unvereinbarkeit westlich-demokratischer Regierungsformen und islamischer Religion und Kultur entgegen gewirkt. Dies wäre ein wichtiger Erfolg in der Vermeidung eines Zusammenstoßes von Westen und Islam als drohendem Grundkonflikt des 21. Jahrhunderts.

Die erweiterte und vertiefte wirtschaftliche Kooperation brächte auch der EU wichtige

dynamische Wachstumsimpulse.

2.1 Erweiterung der Zollunion zur umfassenden Freihandelszone

(Comprehensive Free Trade Area, CFTA)

Im Rahmen des Assoziierungsabkommens von 1963 trat Ende 1995 eine Zollunion in Kraft, die im Prinzip alle Zölle und Tarife sowie Handelsbeschränkungen zwischen der Türkei und der EU abschafft und gemeinsame Außenzölle einführt. Sie betrifft allerdings nur Industriegüter und verarbeitete landwirtschaftliche Produkte, nicht aber Dienstleistungen und unverarbeitete Agrarprodukte. Diese Gütergruppen könnten in der CFTA ebenfalls Gegenstand der Zollunion werden. Es entstände dann eine alle Gütergruppen umfassende Freihandelszone. Außerdem könnten z.B. im Textilbereich Handelshemmnisse beseitigt werden, die bisher die EU-Industrie vor der hier sehr konkurrenzfähigen türkischen Industrie weitgehend abschirmten.

Bisher hat die Zollunion Handelsüberschüsse für die EU gebracht, die von der Türkei durch Exportüberschüsse in ändere Länder und durch Einnahmen im Tourismusbereich ausgeglichen werden konnten. Bei einer Ausweitung auf unverarbeitete Agrargüter und durch verbesserte Chancen bei Textilien hätte die Türkei mittelfristig eine Perspektive auf einen besser ausgeglichenen Handel.

Die CFTA sollte mittelfristig auch auf Kapitalgüter ausgedehnt werden. Eine wechselseitige Lockerung könnte einem verhandelten Zeitplan entsprechend realisiert werden.

Möglich wäre weiterhin auch eine Aufhebung aller Beschränkungen im Zusammenhang mit ausländischen Investitionen in allen Sektoren der türkischen Wirtschaft vor und die Aufhebung von Beschränkungen, die den Erwerb von Grundstücken durch EU-Bürger oder juristische Personen in der Türkei betreffen.

Weitaus schwieriger (für die EU) ist die Frage der Öffnung der Arbeitsmärkte, an der die Türkei mittelfristig hohes Interesse hat. Hier kann nur eine langfristige und schrittweise Öffnung angestrebt werden.

Der türkische Sektor nichtfinanzieller Dienstleistungen ist für ausländische Wirtschaftsbeteiligte bisher nur stark eingeschränkt zugänglich. Hier gehen die Vorschläge der EU-Kommission zur Prüfüng von Rechtsvorschriften für Aufhebung von Hindernissen in Sachen Niederlassungsfreiheit und Liberalisierung von Dienstleistungen in die richtige Richtung.

Die seit Beginn der Beitrittspartnerschaft 1999 begonnenen Hilfsprogramme der EU für die Türkei umfassen durchschnittlich 200 Mio. E jährlich an nicht rückzahlbaren Projektmittein. Sie betreffen vor allem die Prioritäten institution building, Modernisierung des Strafvollzugs, des Gerichtswesens, der kommunalen Selbstverwaltung und Grenzkontrollen sowie die Unterstützung der Wirtschaftsreformen durch Hilfen beim Aufbau von technischen Überwachungsbehörden im Telekommunikations- und Energiesektor. Die Programme enthalten auch direkte Beihilfen für den türkischen Haushalt, die im Jahre 2003 schon die Teilnahme an einzelnen EU-Programmen ermöglichen.

Im Rahmen einer Privilegierten Partnerschaft sollte gerade dieser letzte Aspekt verstärkt werden. Alle Projekte, die die Stärkung der Zivilgesellschaft durch konkrete Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen - insbesondere in den Bereichen Frauen und Menschenrechte - anstreben, sollten hierbei hohe Priorität genießen.

Weitere Schwerpunkte liegen beim Umweltschutz, der Förderung von Kleinen und Mittleren Unternehmen (SMES) und im Gesundheitswesen. 35,4 Prozent (2001) der türkischen Arbeitnehmer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Hier sollten die Bemühungen zur Heranführung der Türkei an EU-Standards im Veterinär- und Phytosanitärbereich eine stärkere Unterstützung erfahren. Zusätzlich ist eine Übernahme des EU-Rechts in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Hygiene, öffentliche Gesundheit, Veterinärmedizin und Pflanzenschutz möglich.

Weitere Anstrengungen zur Übernahme des acquis communautaire (auch ohne Mitgliedschaftsperspektive) sollten ermutigt und gefördert werden, u.a. durch konsequente technische Hilfe im Rahmen des TAIEX-Programms (Technical Assistance Information Exchange Office).

Im Bildungsbereich sollten an türkischen Universitäten die Finanz- und Sachhilfen zur Einrichtung von Jean-Monnet-Lehrstühlen für EU-Studien, Jean-Monnet-Centres of Excellence, etc. erhöht werden, um die Entstehung einer dynamischen, junge EU-orientierten akademischen Elite zu fördern. Dazu gehört auch ein umfangreiches Jean- Monnet-Stipendienprogramm für Postgraduierte. Die SOCRATES- und ERASMUS-Programme, die bereits türkischen Studierenden offen stehen, können noch verstärkt werden. Außerdem sollten für den Bereich Berufsbildung umfangreiche Mittel im Rahmen des EU-Programms Modernisation of Vocational and Technical Education (MVTE) bereit gestellt werden.

2.3 Unterstützung bei der Schaffung einer Euro-Mediterranen Freihandelszone

Im Rahmen des Barcelona-Prozesses hat die EU seit 1995 mit allen südlichen und östlichen Mittelmeeranrainern (Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Israel Palästinensische Autonomiegebiete, Jordanien, Libanon, Syrien, Türkei, Zypern, Malta; Libyen als Beobachter) Assoziationsabkommen geschlossen, die allerdings keine Beitrittsperspektive beinhalteten. Mittelfristiges Ziel dieses Prozesses ist die Errichtung einer Euro-Mediterranen Freihandelszone, in der neben einem institutionalisierten politischen Dialog und dem Freihandel mit der EU die Förderung der regionalen Kooperation zwischen den Anrainerstaaten im Vordergrund steht.

Sie enthält die Perspektive eines Friedens-, Stabilitäts- und Sicherheitsraums im gesamten Mittelmeer, durch Mechanismen der friedlichen Konfliktbeilegung, der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Rüstungskontrolle, vertrauensbildenden Maßnahmen, Terrorismusbekämpfung, Förderung von Demokratie und Rechtstaat, Achtung der Menschenrechte, etc.

Im wirtschaftlichen Bereich ist die Errichtung einer Freihandelszone bis 2010 das Ziel. Die hierfür nötigen Strukturanpassungen werden durch das MEDA-Programm (finanzielle und technische Begleitmaßnahmen) der EU finanziell unterstützt; hier wäre Raum für weitere Erhöhungen der Mittel.

Im sozialen, kulturellen und menschlichen Bereich schließlich steht die Förderung eines besseren Verständnisses zwischen den Kulturen und der Zivilgeselischaften im Vordergrund.

Der Türkei fiele aufgrund ihres politischen und wirtschaftlichen, aber auch militärischen Gewichts und ihrer demographischen Dynamik in dieser Freihandelszone automatisch eine führende Position zu. Die Unterstützung der Euro-Mediterranen Freihandelszone durch die EU würde so zu einer massiven Unterstützung der zentralen Rolle der Türkei in der Region.

2.4.1. GASP

Bei der Vorbereitung von Gemeinsamen Standpunkten und Gemeinsamen Aktionensowie der Entwicklung Gemeinsamer Strategien sollten sowohl auf der Arbeitsebene 5 (Common Foreign and Security Policy working groups) als auch im Politischen Komitee in regelmäßigen Abständen (mindestens zweimal jährlich) Gespräche mit der Türkei stattfinden, um Fragen bezüglich gemeinsamer Optionen gegenüber Zentralasien und dem Nahen und Mittleren Osten zu beraten. Mindestens einmal im Jahr sollte der türkische Außenminister an entsprechenden Ministerratssitzungen teilnehmen.

2.4.2. ESVP

Seit 1998 (britisch-französischer Gipfel von Saint-Malo), und besonders beschleunigt durch die Anschläge vom 11. September 2001 und die europäisch-atlantische Krise im Umfeld des Irak-Krieges von 2003, haben die Bemühungen zum Aufbau einer Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik große Fortschritte gemacht. Insbesondere die unter "Berlin Plus" zusammengefassten Voraussetzungen für Aufbau und Einsatz einer schnellen Eingreiftruppe für Kriseneinsätze haben den EU-Ambitionen, Militäreinsätze getrennt von der NATO durchführen zu können, zunehmende Glaubwürdigkeit verliehen.

Im Rahmen einer Privilegierten Partnerschaft würde die Türkei an Planung und Aufbau der Eingreiftruppe und aller dazu nötigen Planungs- und Führungskapazitäten direkt beteiligt. Der türkische Verteidigungsminister wäre im ESVP-Rat kooptiert, und die türkischen Streitkräfte hätten einen Ständigen Vertreter im EU-Militärstab. An allen Entscheidungsprozessen bei Kriseneinsätzen wäre die Türkei ebenfalls beteiligt. So wäre nicht nur türkischen Befürchtungen über eine Marginalisierung im NATO-EU-Dialog Rechnung getragen, sondern zudem würde das militärische und geostrategische Potenzial der Türkei voll zum beiderseitigen Nutzen eingesetzt.

2.4.3. Innen- und Justizfragen

Im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffes sollte auch die EU-Türkei-Zusammenarbeit von Behörden und Institutionen in Innen- und Justizfragen und der Geheimdienste bei der Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und organisiertem Verbrechen eine wichtige Rolle spielen und durch entsprechende Abkommen formalisiert und verstärkt werden. Konkrete Handlungsmöglichkeiten hierfür ergeben sich bspw. in den folgenden Bereichen: Austausch personenbezogener Daten zu Vollzugszwecken und Zusammenarbeit der Justiz in Straf- und Zivilsachen. Wünschenswert wäre ebenfalls ein Rückführungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei.

Keinen Spielraum für Verhandlungen gibt es im Rahmen des "Schengener Abkommens".

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