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Landshuter,Straubinger, 7.Aug 2004

LEITARTIKELPOST AUS ROMVON DR. MARTIN BALLE

Es war ein seltsamer Zufall der Zeitgeschichte, dass in derselben Woche, da Guido Westerwelle nach seinem "coming out" als Homosexueller die Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften öffentlich einforderte, die Kongregation für die Glaubenslehre in Rom mit Joseph Kardinal Ratzinger an der Spitze ebenfalls das Verhältnis der Geschlechter thematisierte.

Während das öffentliche Schaulaufen von Spaß-Guido mit seinem Lebenspartner zur Biographie dieses politischen Dauer-Pubeszenten recht gut passt und nicht wirklich Aufmerksamkeit verdient, gilt es bei der Frage nach einem modernen Verhältnis der Geschlechter unbedingt festzuhalten: Forderungen, dass gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren können sollen, sind im Sinne der betroffenen Kinder entschieden zurückzuweisen! Jeder Student der Psychologie weiß doch schon nach wenigen Semestern: Gerade in der frühen Kindheit bis etwa zum sechsten Lebensjahr suchen und brauchen Kinder je nach in dieser Lebensphase wechselndem Bedürfnis Mutter oder Vater bzw. Mutter und Vater. Die menschliche Natur lässt hier nicht mit sich handeln; und auch nach dieser frühen Kindheitsphase fordert der natürliehe Entwicklungsprozess Vater und Mutter in ihrer Geschlechterdifferenz, damit sich ein Kind gesund entwickeln kann. Das eigene Geschlechter- und Beziehungsschicksal dem Kind als lebenslange Hypothek mit auf den Weg geben zu wollen, das kann und darf einfach nicht akzeptiert werden.

Genau an dieser Stelle gibt das "Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt" die richtige Antwort: Die "Infragestellung der Familie" und die "Gleichstellung der Homosexualität mit der Heterosexualität" wird als "Ideologie" entlarvt. Dass die menschliche Natur "keine Merkmale an sich" habe, so dass der Geschlechterunterschied "auf ein Minimum reduziert" werden könne und als "bloße Auswirkung einer historisch-kulturellen Gegebenheit zu betrachten sei", mit solchem Unsinn räumt das Schreiben der Kirche mit Fug und Recht auf. Um die "ausdrückliche Anerkennung ihrer Verschiedenheit" bei Mann und Frau, darum geht es Rom zuerst. Hier enthält der Text wertvolle Gedanken, die auch wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit sind.

Auch sonst ist die Botschaft der Kongregation für die Glaubenslehre dort zu loben, wo sie einer Welt des Narzissmus und des Egoismus widerspricht und fordert, "dass das Leben des Menschen nicht in einer fruchtlosen und am Ende tödlichen Beschäftigung nur mit sich selbst versinkt."

So viel Licht der Text hier hat, wenigstens so viel Schatten wirft er leider genauso. Auch wenn er von Liebe spricht, so wird im hölzern-abstrakten Ton, den er anschlägt, diese Liebe weder hör noch spürbar. Wer die so lebendigen Texte des "Zweiten Vatikanischen Konzils" zum Vergleich aufschlägt, der kann nicht anders als spüren, wie sich die römische Glaubenskongregation gleichsam nur mehr von Restbeständen dieser Zeit des Aufbruchs nährt. Der Text spricht so zwar von Liebe, legt sie aber gleichsam mit dem kalten Seziermesser offen, um sie dabei im Keim zu ersticken.

Auch inhaltlich ist manches kaum haltbar: Das beginnt schon damit, dass die Kapitel der Genesis, die nur in ihrem historischen und mythischen Kontext heute les- und verstehbar sind, allzu vereinfacht als Leitfaden für einen modernen anthropologischen Entwurf genutzt werden. Das geht damit weiter, dass die Tatsache, "dass der Sohn Gottes die menschliche Natur als Mann angenommen" habe, als bedeutungsvoll definiert wird, ohne zu berücksichtigen, dass im historischen Kontext vor 2000 Jahren eine andere Menschwerdung gar nicht möglich gewesen wäre! Bestürzenderweise zitiert der Text aus Rom dann auch noch die Lehre von der "Erbsünde", wo die Theologie heute doch längst weiß, dass die Erbsünde eine pure Erfindung des Augustinus ist: Mit der Lehre von der Erbsünde wurden Generationen von Menschen Schüldgefühle gleichsam mit der Mutterrnilch eingeimpft - das heute noch zu zitieren und zu lehren, ist unverantwortlich! Auch das Hohe Lied, das der Text aus Rom auf die Jungfräulichkeit singt, mag in einem idealisierten, theoretischen Weltentwurf noch angehen. An den Menschen aber, die ihr Leben heute wirklich verstehen wollen und müssen, geht das vorbei. Wenn der sicher nicht unfromme Landtagspräsident Alois Glück nach einer Begegnung mit Kardinal Ratzinger zu mir sagte: "Der ist schon weit weg von den Menschen", so wird genau das in diesem Text hör- und spürbar.

Der massivste Einwurf, der allerdings zu machen ist, ist der, dass diesem Text anzufühlen ist, dass Erfahrungen von Frauen und Erfahrungen mit Frauen allzu sehr fehlen. Man muss kein Feminist sein, um sich dagegen zu verwehren, dass die reine Männergesellschaft im Vatikan den Frauen ihren Platz in der Gesellschaft sucht und definiert. Da rächt sich bitter, dass die offizielle katholische Kirche hier ihr Nachholbedürfnis weder zugibt noch aufzuholen beginnt. Es mag so zutreffen, dass Frauen die besseren Menschen sind, wie es der Text aus Rom insinuiert, es mag aber auch bloß eine hoffnungsvolle vatikanische Männerphantasie sein. Wo Frauenerfahrungen eben fehlen, besteht die Gefahr, dass Sätze wie der, "dass Frauen spontaner mit den genannten Werten übereinstimmen" oder "diese Haltungen mit besonderer Intensität und Natürlichkeit" leben, allzu leicht idealisierte und stereotype Sichtweisen sind, mit denen am Ende weder Frauen noch Männer etwas anfangen können.

Der Kommentar einer großen süddeutschen Zeitung, dass der Brief aus Rom "bei allen Freundlichkeiten ein Werk von Männern" sei, "nicht um die Welt zu ändern, sondern um die eigene Weltsicht zu retten", deutet sicher zutreffend auf ein unbewusstes Motiv dieses Schreibens.

Die Diagnose des Theologen Eugen Biser, dass sowohl unsere Zeit als auch das Christentum eine tiefe Identitätskrise durchlaufen, wird vor dem Hintergrund des Schreibens von Ratzinger und den Äußerungen von Westerwelle fast beispielhaft sichtbar. Vor diesem Hintergrund sind auch die vielfältigen Probleme der katholischen Kirche von Rom über Regensburg bis St. Pölten verstehbar: Nicht als Signal, dass die christliche Kultur längst ausgedient hat, sondern als zwangsläufiges Symptom einer Zerreißprobe von moderner Welt, die Orientierung fast gewalttätig sucht, und einer katholischen Kirche, die sich angstvoll an nicht mehr zeitgemäße Formen klammert. Sie gerät dadurch nicht nur selbst in Gefahr, sondern kann auch dem Verlangen, Orientierung zu geben, kaum entsprechen. Das Christentum hat aber nur dann eine Überlebenschance, wenn es wieder eine Sprache zu sprechen beginnt, die Menschen als Antwort auf ihr Leben und ihre Probleme erfahren können. Das aber ist kein Verrat an dem Zeitgeist, sondern ein Aufbruch mitten in die Herzen der Menschen.