Föderalismusreform für Herzog "Lebensfrage" - Stoiber und Müntefering geben nicht auf

Berlin. (AP/dpa) Das Scheitern der Föderalismusreform ist nach den Worten von Bundespräsident Horst Köhler "kein Ruhmesblatt für die Politik". Köhler sprach sich am Wochenende für einen neuen Anlauf noch vor der Bundestagswahl 2006 aus. Zuvor hatten die Chefs der Föderalismuskommission, Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU), das Scheitern der Reform mit unüberwindlichen Gegensätzen in der Bildungspolitik begründet.

Köhler sagte bei seinem Antrittsbesuch im Saarland, er halte nichts davon, das Thema auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl zu verschieben. Ob er sich selbst zur Rettung der Reform engagieren werde, ließ er zunächst nicht erkennen.

Altbundespräsident Roman Herzog erklärte, das Scheitern wegen einer bildungspolitischen Frage sei weder verständlich noch zu verantworten. Herzog, der auch Vorsitzender des Konvents für Deutschland ist, sagte, die Föderalismusreform sei "zu einer Lebensfrage der Republik" geworden. Zusammen mit der früheren Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, hatte er noch vor einer Woche an die Kommission appelliert, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Föderalismusreform "die Schlüssel-Reform schlechthin für die Wiedergewinnung der Entscheidungsfähigkeit unserer politischen Institutionen" sei.

Der SPD-Vorsitzende Müntefering und der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber setzten sich dafür ein, das Ziel der Entwirrung der Kompetenzen von Bund und Ländern und eines nationalen Stabilitätspaktes weiter zu verfolgen. Ein zweiter Anlauf solle recht bald erfolgen. Stoiber betonte, von einem Schlusspunkt könne nicht gesprochen werden.

Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) kündigte konkrete Vorschläge zur Neuordnung der Bildungszuständigkeiten von Bund und Ländern an, die unterhalb einer Grundgesetzänderung verwirklicht werden könnten. Sie wies den Vorwurf von CDU/CSU zurück, der Bund habe beim Thema Bildung draufgesattelt. Der Bund werde wie bisher Geldgeber bleiben. Dafür werde er sich nicht ganz aus der Bildungspolitik raushalten. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) schloss einen Kompromiss aus, so lange der Bund Einfluss zu nehmen trachte. Bayerns Landtagspräsident Alois Glück (CSU) sagte, die Arbeit der Kommission sei "an der Machtpolitik des Kanzlers gescheitert".

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) machte für das Scheitern vor allem unionsgeführte Bundesländer verantwortlich. Koch und der baden-würtembergische Ministerpräsident Erwin Teufel hätten Stoiber gedrängt, die Bildung zum Knackpunkt zu erheben.

Einen Neuanfang in der Kommissionsarbeit noch im Januar forderte NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD). Die Kommunen nannten das Scheitern eine Katastrophe und appellierten an Bund und Länder, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. BDI-Präsident Michael Rögowski nannte das Scheitern "blamabel für Deutschland".

Kommentare

RETTER KÖHLER?
VON PETER LEYER

Der Schock über das Scheitern der Föderalismuskommission sitzt tief. Ob er heilsam ist und die Beteiligten zu neuer, verstärkter Anstrengung anhält, ist völlig offen. Zu unterschiedlich sind die Forderungen und Prophezeiungen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) verlangt, dass die Beteiligten die besinnlichen Tage an Weihnachten und zum Jahreswechsel zur Selbstbesinnung und Selbsterforschung nutzen und sich bereits im Januar wieder an einen Tisch setzen. Sein sächsischer Kollege Georg Milbradt (CDU) dagegen sieht keine Aussicht auf einen neuen Anlauf in den nächsten zehn Jahren. So pessimistisch hat sich -sonst keiner geäußert. Aber wer die Kommentare der Beteiligten nüchtern Revue passieren lässt, muss zumindest zu dem Ergebnis kommen, dass sich vor der Bundestagswahl 2006 wohl nichts mehr tut,.

Nur einer, so scheint es, kann wirklich noch einmal echten Druck machen und eventuell ein Ergebnis herbeizwingen: Bundespräsident Horst Köhler. Eingemischt hat er sich bereits. Und das ist richtig so. Dieses Thema ist zu wichtig, als dass man es nur dem Machtspiel der Beteiligten überlassen darf. Dass der Bundespräsident es an deutlichen Worten nicht fehlen lassen wird, hat er in den wenigen Monaten seiner Amtszeit bereits bewiesen, national wie international. Auf deutschem Parkett hat er sich bei der Frage der Verlegung des Tages der Deutschen Einheit auf den ersten Sonntag im Oktober so deutlich wie nur wenige seiner Vorgänger zum Verdruss des Bundeskanzlers in eine aktuelle politische Diskussion eingeschaltet. Auf internationaler Bühne hat er zuletzt auf seiner Afrikareise den heimischen Politikern so undiplomatisch klar die Leviten gelesen, dass wohl jeder andere ausländische Politiker ohne das Ansehen Köhlers zur unerwünschten Person erklärt worden wäre. Diese Deutlichkeit ist auch jetzt nötig.

Dabei wird Köhler wissen, auf was er sich hier einlässt. Vor allem ist völlig unklar, ob wirklich alle direkt und indirekt Beteiligten wirklich ein Ergebnis wollen. Da ist zunächst die Bundesregierung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder an der Spitze. Er vermittelte in den letzten zwölf Monaten nicht den Eindruck, dass ihm die Reform des Föderalismus ein Herzensanliegen ist. Die Bundesregierung war zwar nur als Gast zugelassen, was zweifellos keine gute Idee war. Aber wenn ihr wirklich etwas an einem Erfolg der Kommission gelegen gewesen wäre, hätte sie sich eher mit konkreten Vorschlägen in die Arbeit einschalten müssen.

Das gilt insbesondere auch für den Kanzler. Er engagierte sich erst nur durch Verzögerung und zum Schluss durch ein hartes Nein. Er glaubt offensichtlich, die zuletzt als einziges Problemfeld übrig gebliebene Bildungspolitik als Wahlkampfthema nutzen zu können, um so von eigenen Versäumnissen auf den gegenwärtigen Hauptfeldern der Politik wie Wirtschaft, Arbeit und Finanzen ablenken zu können. Allerdings überraschten zuletzt auch einige Unionsministerpräsidenten die Gegenseite mit ihrer Härte in der Bildungspolitik. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) räumte deswegen selbstkritisch ein, vielleicht nicht frühzeitig genug deutlich gemacht zu haben, wie wichtig ihm und seinen Unionskollegen die Bildungspolitik ist. Auf SPD-Seite glaubt man nicht, dass das die ganze Wahrheit für das Verhalten Kochs und vor allem auch seines niedersächsisehen Kollegen Christian Wulff (CDU) ist.

Köhler wird deswegen in erster Linie den Beteiligten klar machen müssen, dass Deutschland sich die Zeit machtpolitischer Spielchen nicht mehr erlauben kann. Dabei müssen sich die Politiker ein Scheitern der Föderalismuskommission ganz besonders anrechnen lassen. Hier stehen sie nämlich nicht unter einem speziellen Druck der Wähler. Denen ist die Arbeit weitestgehend gleichgültig, im Gegensatz zum Beispiel zu Änderungen im Sozialbereich. Die Mitglieder der Föderalismuskommission hatten deswegen ganz besonderen Handlungsspielraum.

Wenn allerdings schon solch ein eine Reform scheitert, ist das nur ein klares Zeichen für die Reformunfähigkeit Deutschlands ganz allgemein. Dabei waren ganz entscheidende Probleme des deutschen Föderalismus wie die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern oder die Neugliederung des Bundesgebietes in weniger als 16 Länder erst gar nicht auf die Tagesordnung der Kommission gesetzt worden. Trotz des Scheiterns sollte der Vorschlag eines Verfassungskonvents, in dem nicht aktive Politiker zusammensitzen, schnell begraben werden. Denn zum Schluss müssen die aktiven Politiker entscheiden. Und es kann mehr als bezweifelt werden, dass sie sich dem Votum von Altpolitikern oder Wissenschaftlern beugen werden.

Föderalismusreform soll neu angepackt werden

Schröder dringt auf schnellen zweiten Anlauf - Hinsken: Für den Mittelstand "unverzichtbar"

Berlin. (AP/dpa) Nach dem Scheitern der Föderalismuskommission dringt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf einen neuen Anlauf zur Reform schon im nächsten Jahr. Bis zur Bundestagswahl 2006 zu warten, wäre zu lange, sagte ein Regierungssprecher am Montag in Berlin. Auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) erwartet einen schnellen zweiten Versuch. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer schlug einen bildungspolitischen Konvent vor, um den Streit zwischen Bund und Ländern um die Bildungskompetenz auszuräumen. Schröder erachte die Reform als "Thema von überragender Bedeutung", sagte sein Sprecher Thomas Steg. "Die Aufgabe bleibt." Nach einer Phase des Nachdenkens sollte es möglich sein, das Thema im neuen Jahr - möglicherweise unter neuen Bedingungen - erneut anzugehen. Auch Bütikofer betonte: "Wir haben zu viel erreicht, um die Sache jetzt jahrelang liegen zu lassen."

Steg deutete an, dass das Bestehen der Unterhändler der Bundesseite auf Bildungskompetenzen richtig gewesen sei. Die Bedeutung des Themas sei spätestens seit der PISA-Studie erkannt. Die Defizite seien "nicht durch Kleinstaaterei" auszugleichen. Der Bund solle Teilkompetenzen in Bildungsfragen behalten. Darüber habe die Bundesregierung die Länder nie im Unklaren gelassen. Auch Bütikofer meinte, die Länder unterschätzten die gesamtstaatliche Verantwortung für die Bildungspolitik. Ministerpräsident Müller machte die Haltung des Bundes bei der Bildung fürs Scheitern der Verhandlungen in der Föderalismuskommission verantwortlich." Ich dachte, dass dem Bund klar war: Bildung und Hochschule sind Kernkompetenzen der Länder." Offenbar habe der Bund das nicht akzeptieren können. Doch betonte der CDU-Politiker, dass er mit einer Neuauflage der Debatte schon Anfang nächsten Jahres rechnet.

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück sagte: "Ich hoffe, dass das allgemeine Erschrecken über den Ausgang dazu führt, dass man sich schnell wieder zusammen setzt. Der Föderalismus muss reformiert werden." Das jetzige Zeitfenster müsse genutzt werden. Auch der SPD-Politiker äußerte Kritik an den Vorstellungen des Bundes bei der Bildung. Die Äußerungen von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn zur Hauptschule seien "für die Arbeit der Föderalismuskommission alles andere als förderlich" gewesen.

Der Mittelstand fordert ebenfalls so bald wie möglich einen neuen Anlauf für eine Förderalismusreform. "Sie ist unverzichtbar", sagte Ernst Hinsken, 1. stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsabgeordneten im Bundestag. Wenn es gelänge, wie von der Förderalismuskommission anvisiert, die Zahl der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze von bisher etwa 60 Prozent auf 35 bis 40 Prozent zu reduzieren, dann würde dies künftig schnellere und in der Verantwortung eindeutig zuzuordnende politische Entscheidungen mit sich bringen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und damit zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

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