VDI nachrichten, 5.11.04

Vesicherung: Klagen von Verbraucherschützern - Bundesverfassungsgericht verhandelt über Höhe der Überschussbeteiligung

Lebensversicherer unter Beschuss genommen

Sechs Verfassungsbeschwerden, die derzeit vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht verhandelt werden, können für die Versicherungsbranche weit- reichende Folgen haben. Den Verbraucherschützern geht es bei ihren Musterprozessen um grundsätzliche Einwände gegen das Modell Lebensversicherung. Sie beklagen 1. die Undurchschaubarkeit dessen, was die Versicherer mit den Kundengeldern anstellen, 2. die mangelnde Aufsichtspflicht durch den Staat und 3. die Höhe der Überschussbeteiligung.

Wie frei dürfen Lebensversicherer kalkulieren, und wie müssen sie ihre Kunden darüber informieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Karlsruher Bundesverfassungsgericht seit vergangener Woche. Vordergründig geht es dabei um sechs Verfassungsbeschwerden, die der Bund der Versicherten (BdV) seit 1994 in Karlsruhe eingereicht hat. Drei davon werden derzeit verhandelt.

Im ersten Fall geht es um den Deutschen Herold, der den gesamten Kundenbestand seiner Lebensversicherung, aber nur Vermögenswerte in Höhe von 99 % des Buchwertes, auf eine Tochtergesellschaft übertragen hatte. Der betroffene Kunde fühlt sich dadurch in seinen Eigentumsrechten beschnitten und führt an, sein Anspruch auf Überschussbeteiligung sei geschmälert. Der zweite Fall richtet sich gegen die R+VVersicherung, die einen Kundenbestand aus einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit auf eine neu gegründete Aktiengesellschaft übertragen hatte. Hier müsse der Versicherer den Kunden einen Ausgleich für die verlorene Vereinsmitgliedschaft zahlen, so die Forderung der Beschwerdeführer. Beide Fälle waren bereits vor dem Bundesverwaltungsgericht abgeblitzt. Im dritten Fall geht es um erfolglose zivilgerichtliche Urteile über die Höhe von bereits an Versicherungskunden ausgezahlte Überschussanteile, die als zu gering angesehen werden. Das Argument der Beschwerdeführer: die ausgezahlten Überschüsse bezogen die stillen Reserven des Versicherers nicht mit ein.

Zwar geht es laut Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier für die klagenden Versicherungskunden nur um kleine Beträge von etwa 300 €. Doch für die Versicherungsbranche könne das Gerichtsverfahren weitreichende Folgen haben. Den Verbraucherschützern geht es bei ihren Musterprozessen gegen die als übermächtig empfundene Versicherungsbranche um grundsätzliche Einwände gegen das Geschäftsmodell Lebensversicherung.

Seit Jahrzehnten bezeichnet der Bund der Versicherten das Produkt Lebensversicherung als legalen Betrug. Dabei beklagen die Verbraucherschützer die Undurchschaubarkeit dessen, was die Versicherer mit den Geldern ihrer Kunden im Detail anstellen, aber auch eine mangelnde Aufsichtspflicht durch den Staat. Lilo Blunck, Geschäftsführerin des Bundes der Versicherten, beanstandete vor den Richtern in Karlsruhe, dass die Versicherer sich verdächtig machten, wenn

sie zwar bei der Riester-Rente Transparenz zeigten, aber nicht bereit seien, die Standards auch auf die normale Lebensversicherung zu übertragen.

Weit komplizierter ist die Kernfrage des Verfahrens, was den Kunden genau zusteht, wenn es um die Beteiligung an den vom Versicherer erwirtschafteten Überschüssen geht. Die Verbraucherschützer verlangen, dass bei der Dotierung der Überschussbeteiligung auch die stillen Reserven angesetzt werden. Dagegen wehrt sich die Versicherungsbranche vehement und führt an, dass Zinsgarantien wie bisher dann nicht mehr möglich seien.

Legt ein Versicherer beispielsweise in Immobilien oder Aktien an, schreibt das deutsche Handelsgesetzbuch das so genannte Niederstwertprinzip vor. Dabei schreibt der Versicherer die Anschaffungskosten in seine Bilanz, Wertsteigerungen werden anschließend jedoch ebenso wenig berücksichtigt wie Wertminderungen. So kommt der Kunde zwar nicht in den Genuss der schlummernden Reserven, büßt sein Erspartes aber auch nicht ein, wenn der Versicherer, etwa wie in den vergangenen Jahren, viel Geld an der Börse verliert und deswegen stille Lastungen aufhäufen muss. Stille Reserven sind also nichts anderes als Puffer für schlechte Zeiten.

Würde man dieses Prinzip nach den Forderungen des Bundes der Versicherten völlig umkrempeln, könnten die Lebensversicherer ihre Zinsgarantien lediglich mit teuren derivativen Finanzinstrumenten sichern. Ein Lebensversicherungsvertrag würde also entweder erheblich teurer als bisher, oder er wäre den Schwankungen der Kapitalmärkte so ausgesetzt wie ein Wertpapier. Dann würden einige Versicherungskunden mit üppigen Erträgen verwöhnt, andere müssten Verluste hinnehmen. Wie viel eine Lebensversicherung einbringt, hinge dann davon ab, in welcher Börsenphase der einzelne Vertrag abschlossen und beendet wird.

Die Bundesregierung hält die Argumente der Verbraucherschützer für unbegründet. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries führt jedoch an, dass die Ausführungen zur Überschussbeteiligung im Versicherungsvertragsgesetz noch in dieser Legislaturperiode präzisiert werden sollten, um den Verbrauchern mehr Transparenz und damit Rechtssicherheit zuzugestehen. Das deutsche Niederstwertprinzip könnte schon bald mit der Einführung der internationalen Bilanzierungsregeln IFRS ohnehin unter Druck geraten. Sollte es kippen, weiß derzeit noch niemand, wie die Lebensversicherer darauf reagieren werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist frühestens im Dezember dieses Jahres zu erwarten.

ELKE DOLLE-HELMS

Insgesamt haben sich 2003 rund 8,6 Mio. Bundesbürger für den Abschluss einer Lebensversicherung entschieden, 15,6 % weniger als ein Jahr zuvor. Dafür bezifferte sich die versicherte Summe auf 269,4 Mrd.E, 10 % mehr als 2002. Hierbei kletterte die durchschnittliche Versicherungssumme von knapp 24 000 € auf gut 31 200 €. Die Beiträge aus dem Neugeschäft überstiegen das Vorjähresergebnis um rund 15 % und erreichten 16,6 Mrd.E.                                    GDV

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