VDI nachrichten, 22.Okt 2004

 

Schlaganfall: Neue Diagnose-Methoden und Therapien

 

Wenn die halbe Welt verloren geht

 

Trotz fortgeschrittener Methoden auf dem Gebiet der bildgebenden Diagnostik und neuer Therapien ist das Schlaganfallrisiko hoch. jährlich erleiden in Deutschland etwa 250 000 Menschen einen Hirninfarkt. Forscher bewiesen nun, dass Entzündungsprozesse und Bindegewebsschwäche in den Arterien Auslöser für Schlaganfall und Herzinfarkt sind. Das eröffnet neue Möglichkeiten in der Prävention.

 

Manchmal beklagt sie sich, ihre Portionen seien zu klein, aber das kommt davon, dass sie nur von der rechten Hälfte des Tellers isst. Es kommt ihr nicht in den Sinn, dass er auch eine linke Hälfte hat. Manchmal trägt sie Lippenstift und Make-up auf, aber nur auf der rechten Seite ihres Gesichts; die linke lässt sie völlig unbeachtet. " So beschreibt der bekannte britische Neurologe und Buchautor Oliver Sacks in seiner Fallsammlung "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte", eine Patientin, deren Hirn nach einem Schlaganfall geschädigt ist.

Denn je nachdem, ob der Scheitellappen in der linken oder rechten Hirnhälfte geschädigt ist, kommt es nach einem Hirninfarkt zu unterschiedlichen Ausfallerscheinungen. Meist verlieren Patienten nach einer Schädigung der rechten Hirnhälfte die Fähigkeit, auf ihre linken Körperteile oder Objekte in der linken Raumhälfte zu reagieren. Fachleute sprechen daher vom "contralateralen Neglect".

Diese Patienten können diese Seite der Welt zwar sehen, beachten sie aber nicht, da ihre Aufmerksamkeit für eine Raumhälfte gestört ist. Wenn die linke Hirnhälfte betroffen ist, sind Sprachprobleme "Aphasie" und Störungen von Bewegungsabläufen "Apraxie" zu beobachten. Ebenso lassen sich andere fatale Auswirkungen nach einem Apoplex feststellen: Doppelbilder, verschwommenes Sehen, Erblinden auf einem Auge, Schwindel, Benommenheit, Verwirrtheit, starke Kopfschmerzen und Übelkeit. Bilden sich diese Symptome innerhalb weniger Minuten bis Stunden zurück, spricht der Mediziner von einer "TIA", einer Transitorisch Ischämischen Attacke - sozusagen einer Vorstufe des Schlaganfalls. Die TIA ist ebenso wie der Schlaganfall, bei dem die Symptomatik länger als einen Tag besteht, ein dringender medizinischer Notfall.

Ein Team von Neurowissenschaftlern um Gereon Fink vom Forschungszentrum Jülich und der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Aachen untersuchen jetzt mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (FMRT) die Mechanismen, die dazu führen, dass für manche Menschen die Hälfte der Welt einfach aufhört zu existieren. Die Jülicher Forscher können erstmals mit dem bildgebenden Verfahren, das ohne Strahlenbelastung detaillierte Bilder des lebenden Gehirns zeigt, diese Probleme im Gehirn genauer nachvollziehen - eine Voraussetzung dafür, künftig gezielte Therapien zu entwickeln.

"Mit der Magnetresonanztomographie können wir eine Region sichtbar machen, die die Kernzone des Hirninfarkts umgibt", erklären die Forscher. In dieser Zone des Schlaganfalls, der so genannten Penumbra, werden die Zellen durch die Minderdurchblutung zwar geschädigt, sie können jedoch prinzipiell noch vor dem Zelltod gerettet werden.

Eine solche Rettung könnte etwa das körpereigene Blutbildungshormon Erythropoetin sein. Unter dem Kürzel "Epo" ist es Laien vor allem als Dopingmittel bekannt und soll bei Nierenkranken und erschöpften Krebspatienten die Bildung roter Blutkörperchen im Körper anregen. Eine erste Studie am Göttinger Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin mit Hirninfarkt-Patienten führte im Zusammenhang mit Epo zu überraschenden Ergebnissen. Das vielseitige Hormon schütze unterversorgte Hirnzellen sehr effektiv vor dem Absterben, hemme Entzündungen ebenso wie Schäden durch aggressive Sauerstoffverbindungen und verschiedene Zellgifte, beschrieb die Neurologin Hannelore Ehrenreich die ersten Erfolge.

Wissenschaftler um Jerzy- Roch Nofer von der Uni Münster und Markus van der Griet vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin Berlin berichteten kürzlich im Fachblatt "Journal of Clinical Investigation", dass das Lipoprotein hoher Dichte (HDL), die Fähigkeit besitzt, den gefäßerweiternden Botenstoff Stickoxyd in den Arterienwänden freizusetzen. Dieser scheint vor Arteriosklerose zu schützen, indem er z. B. Entzündungen hemmt, vor Thrombose bewahrt und Zellwucherungen in der Gefäßwand unterdrückt. Neue Einblicke in die Ursachen des Schlaganfalls und Herzinfarkts gewann nun auch der KardiologeWolfgang Koenig von der 11. Medizinischen Klinik der Universität Ulm. Glaubten Ärzte vor wenigen Jahren noch, dass sich Blutgefäße wie verkalkende Rohre durch Ablagerungen immer weiter verengen, bis es zu einem Infarkt kommt, ist nun erwiesen, dass Entzündungsprozesse in den Wänden der Schlagadern Auslöser der lebensbedrohlichen Krankheit sind. Koenig konnte nachweisen, dass sich mit einem Bluttest viel zusätzliche Information über das Risiko gewinnen lässt, einen Herzanfall oder Schlaganfall zu bekommen. Hierzu bestimmt Koenig einen Eiweißkörper mit dem Namen C-reaktives Protein (CRP). Das CRP wird in der Leber vermehrt gebildet, wenn sich im Körper eine Entzündung abspielt. Bei der CRP-Bestimmung stellt der Arzt die Konzentration des Eiweißkörpers im Blut des Patienten fest. Ein Anstieg ist ein Hinweis auf entzündliche Prozesse, die sich auch in den Arterienwänden, im Endothel, feststellen lassen. Ein gesundes Endothel, also das Gewebe, das die Arterien innen auskleidet, kann Entzündungen stoppen. Irgendwann ist der Schaden jedoch nicht mehr aufzuhalten und es bilden sich dauerhafte Ablagerungen aus Fetten, Cholesterin, verschiedenen Entzündungszellen und Bindegewebe. Die Folge: Die arteriosklerotische Plaque entsteht. Eine Heidelberger Forschungsgruppe hat bei elektronenmikroskopischen Untersuchungen an Hautproben von Schlaganfallpatienten eine Bindegewebsschwäche der Arterienwände als weitere Ursache für den Schlaganfall ausfindig gemacht. "Damit ist erstmals bewiesen, dass spontane Arterieneinrisse, so genannte Sissektionen, die einen Schlaganfall auslösen, auf einer Bindegewebsveränderung beruhen", berichtet der Leiter des Teams, Tobias Brandt von den Schmiedehrkliniken in Heidelberg. Analysiert wurden kleine Hautproben, die über dem Ellenbogen entnommen wurden. In mehr als der Hälfte der Proben fand man Unregelmäßigkeiten in der Bindegewebsstruktut, die sich auch in den Wänden hirnversorgender Arterien nachweisen ließen. B. DORRA / j. VON DAHLEN

wwwkompetenznetz-schlaganfall.dewww.dsg.de
www.fz-juelich.de

Schlaganfall

250 000 Menschen jährlich betroffen

Der Schlaganfall (Apoplex) ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland, ein Fünftel der über 65-Jährigen ist davon betroffen. Auslösend ist ein plötzlicher Gefäßverschluss oder eine Blutung im Bereich des Gehirns. Zu den Risikofaktoren gehören Bluthochdruck, Diabetes mellitus, "die Pille", Rauchen und erhöhte Blutfettwerte. In Folge des Schlaganfalls treten neurologische Ausfälle auf, z. B. Bewusstlosigkeit, halbseitige Lähmungen und Sprach- und/oder Schluckstörungen. Die Nervenzellen in den entsprechenden Gebieten werden beim Schlaganfall beschädigt oder gehen sogar zugrunde. Leicht beschädigte Zellen können sich teilweise wieder regenerieren, abgestorbene können nicht wieder ersetzt werden.

Die Todesrate bei Schlaganfall-Patienten ist deutlich zurückgegangen. Seit 1970 ist sie beispielsweise um 45 % gesunken. Das liegt an besseren Untersuchungen, einer besseren Vorsorge sowie effektiveren Behandlungsmethoden, aber auch an der bewussteren Gesundheitseinstellung eines Großteils der Bevölkerung. Trotzdem bleibt der Schlaganfall einer der Hauptgründe für die Pflegebedürftigkeit im Alter. Jährlich sind in Deutschland etwa 250 000 Menschen von einem Schlaganfall betroffen. mww/jok

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