Chip im Auge: Photozellen ahmen den Sehvorgang nach und ersetzen zerstörte Lichtsinneszellen

Sehen durch den Microchip
VDI nachrichten, Radevormwald, 26.11. 04 -

Wissenschaftler arbeiten an der Realisierung eines Wunders: Eine elektronische Netzhaut soll erblindeten Menschen zumindest wieder das Orientieren in vertrauter Umgebung ermöglichen.

Es ist wundervoll, nach so langer Zeit wieder ein Licht zu sehen. Es war blau", schildert ein blinder Patient die Eindrücke mit einer künstlichen Netzhaut. Den mit wenigen Fotozellen bestückten Mikrochip hatten ihm US-Forscher am John HopkinsHospital in Baltimore versuchsweise eingepflanzt. Die Pioniertat vor sechs Jahren gab vielen Betroffenen Hoffnung, ihr Augenlicht mit Hilfe der Technik bald zurückzuerlangen.

Auftrieb verspürten auch deutsche Forscher. Das Bundesforschungsministerium(BMBF) stattete seinerzeit ein Konsortium aus Neuroinformatikern, Mikrosystemspezialisten, Materialforschern und Chirurgen von Universitäts-, Fraunhofer-Instituten und Angenkliniken mit insgesamt 18 Mio.DM aus, um ein Gesamtkonzept für eine intelligente Sehprothese zu entwickeln. Inzwischen liegt der Prototyp einer elektronischen Netzhaut vor und wird klinisch getestet.

"Grundidee eines Implantats ist, die zerstörten Lichtsinneszellen im Auge durch Fotodioden zu ersetzen. Das auftreffende Licht wird in Strom umgewandelt und der stimuliert die Nervenzellen, erläutert Reto Weiler, Direktor des Forschungszentrums Neurosensorik an der Uni Oldenburg.

Allein hierzulande gibt es 155 000 blinde Menschen. Die meisten von ihnen sind im Laufe des Lebens durch Unfall oder Krankheiten erblindet und verfügen noch über funktionsfähige Sehnerven. Das ist Voraussetzung für das künstliche Auge, damit die in elektrische Nervensignale umgewandelten Lichtreize ins Gehirn gelangen können, wo der Seheindruck entsteht. So einfach sich die Idee anhört, die Realisierung ist äußerst anspruchsvoll.

Ein Problem: Beim natürlichen Sehvorgang werden die Nervenzellen von den Lichtsinneszellen auf chemischem Wege gereizt. "Die Signale bewirken unterschiedliche Reaktionen in den Nervenzellen, so dass dort bereits eine neuronale Verarbeitung stattfindet", sagt Weiler. Da liegt der Haken: Die Forscher müssen den biochemischen Signalweg durch einen elektronischen ersetzen. Die Herausforderung ist dabei, die neuronale Verarbeitung der Netzhaut möglichst authentisch nachzubilden, um eine dem natürlichen Sehvorgang entsprechende Antwort der Nervenzellen zu erhalten.

Die komplexe Übersetzungsaufgabe könnte ein lernfähiger Neurocomputer übernehmen-, doch ein solcher Computer ist erst in Ansätzen entwickelt.

Immerhin meldet die Firma jetzt den Abschluss einer klinischen Studie, die erstmals die Wirksamkeit des Netzhautchips belegen soll. Dabei wurde an 20 erblindeten Patienten überprüft, ob eine zuverlässige und sichere elektrische Reizung mit Hilfe des implantierbaren Mikrochips möglich ist. Zwar kann Geschäftsführer Stefan Rietiker noch keine Angaben zum Ausgang der Tests machen. Er gibt sich aber zuversichtlich, sein Ziel bald zu erreichen: "In zwölf Monaten wollen wir sämtliche Komponenten entwickelt haben und damit in klinische Tests gehen."

Einen anderen Ansatz verfolgt die Retina Implant AG in Reutlingen. Das 2003 von mehreren Augenchirurgen aus dem BMBF-Projekt ausgegründete Unternehmen setzt auf eine Technik, bei der das Chipimplantat nicht auf, sondern unter die Netzhaut geschoben wird, um für die zerstörten Lichtsinneszellen einzuspringen. Der Vorteil: "Es kommt zum direkten Kontakt mit den nachgeschalteten Nervenzellen. Eine Übersetzungsfunktion ist unnötig", erklärt Retina-Vorstand Walter Wrobel.

Herzstück des Implantats ist ein Silizium-Mikrochip. Darauf sitzen 1500 Mikrofotodioden, die das Licht sammeln. Verglichen mit den etwa 130 Mio.Lichtsinneszellen des menschlichen Auges mutet die Zahl noch bescheiden an. Das Verfahren nutzt aber den Effekt, dass auch beim natürlichen Vorbild die Informationen in einer weitaus geringeren Zahl nachgeschalteter Nervenzellen zusammengeführt werden. "Wir streben mit dem Implantat eine Sehfähigkeit an, die es Erblindeten erlaubt, in vertrauter Umgebung zu Experimentieren, sagt Wrobel. In ersten Hälfte 2005 wollen Forscher mit ihrem bislang mit Tierversuchen getesteten Microchip in die klinische Erprobung gehen. S.VON DER WOVL

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