Straubinger, 7.Dez 2004

Hochmut kommt vor dem Fall
Wie die bayerischen Sozis 1954 die Schwarzen auf die Oppositionsbank schickten

Bayern ohne die CSU - kaum mehr vorstellbar. Seit Jahrzehnten haben die Christsozialen das Regierungsheft im Freistaat fest in der Hand, die SPD ist dauerhaft in die Opposition verbannt. Und doch war das nicht immer so. Vor genau 50 Jahren gelang es den Roten, die Schwarzen von der Macht zu vertreiben - wenn auch nur für drei Jahre: Am 9. Dezember 1954 unterzeichnete die SPD in einem Überraschungscoup eine Koalitionsvereinbarung mit der konservativen Bayernpartei, der Vertriebenenpartei BHE und der FDP die CSU war ausgebootet.

Dabei hatten die Christsozialen bei der Landtagswahl vom 28. November 1954 kräftig zugelegt und waren mit 38,4 Prozent stärkste Fraktion geworden. Ihr bisheriger Koalitionspartner SPD landete praktisch unverändert bei 28,1 Prozent. Die CSU strotzte nur so vor Selbstvertrauen, und ihr damaliger Fraktionsvorsitzender, Prälat Georg Meixner, meldete für die Koalitionsverhandlungen unverhohlen einen "unbedingten Führungsanspruch" seiner Schwarzen an. "Das gute Wahlergebnis hat unsere Leute überheblich gemacht", erinnert sich der spätere Staatssekretär Franz Sackmann, der damals gerade neu für die CSU in den Landtag gewählt worden war. "Sie waren zu sicher, auf alle Fälle die Regierung bilden zu können", sagt der heute 84-Jährige. Die kleineren Parteien, die die CSU statt der ungeliebten Sozis mit ins Boot holen wollte, reagierten auf den Hochmut verschnupft. Vor allem die Bayernpartei wollte sich nicht zu einem Anhängsel der CSU machen lassen.

Das war die Stunde der SPD. Ihr Vorsitzender Waldemar von Knoeringen witterte die Chance, die "Kleinen" über die Bildungspolitik als Partner für sich zu gewinnen. Denn in diesem Punkt waren sich die ansonsten sehr unterschiedlichen Parteien einig: Sie alle wollten - gegen die Linie der CSU - die Lehrerbildung reformieren und dem Zugriff der Kirche entziehen.

Hinter den Kulissen begann eine eifrige Pendeldiplomatie. Wilhelm Ebert, später Vorsitzender des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), nahm im Auftrag Knoeringens als eine Art Postillon d'Amour Kontakt zu den kleineren Parteien auf. "Der schwierigste Partner war die Bayernpartei", erinnert sich der heute 81 -jährige.

"Wir mussten mehrere Tage lang intensiv verhandeln."

Erst als Ebert dem damaligen Parteichef Josef Baumgartner den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten in Aussicht stellte, war der Deal perfekt: Am 10.Dezember konnte Knoeringen unter dem Schlachtruf "Licht für Bayern" die Viererkoalition vorstellen. Zum Ministerpräsidenten wurde Wilhelm Hoegner (SPD) gewählt.

Die CSU war von den Ereignissen völlig überrumpelt. "Ich hatte von den Plänen vorher erfahren und in der Fraktion gewarnt", sagt Sackmann. "Aber da gab es nur schallendes Gelächter." Als der "Benjamin" der Fraktion dann aber Recht behielt, war bei den Christsozialen das Entsetzen groß. "Da sind einige schon sehr demütig geworden."

Die Arbeit der Viererkoalition wird im Nachhinein recht unterschiedlich bewertet. "Die zentralen Reformen im Bereich Bildung und Schule wurden verfehlt", schreibt etwa der Historiker Maximilian Lanzinner. Verhandlungsführer Ebert ist sich gleichwohl sicher, dass das ungewöhnliche Bündnis eine Zäsur in der bayerischen Nachkriegsgeschichte markiert. "Keine Partei ist so geblieben, wie sie war." Vor allem die CSU habe den Abschied von ihrer klerikal-konservativen Linie eingeläutet.

Lange währte die bunte Regierungsliaison freilich nicht. Nach dem Erfolg der Union bei der Bundestagswahl 1957 fürchteten die kleinen Parteien, bei der Landtagswahl ein Jahr später für ihren Flirt mit der SPD abgestraft zu werden - BHE und Bayernpartei ließen die Viererkoalition platzen. Am 16.Oktober 1957 wurde der CSU-Politiker Hanns Seidel zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Seither ist die CSU in Bayern wieder ununterbrochen am Ruder. In drei Jahren kann sie ihr 50.Regierungsjubiläum feiern. Nada Weigelt, dpa

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