Komm.R.Kiehl: Mir ist nicht ganz klar, warum in einer Zeit, in der der Konsum so und so schlecht ist, nicht gleich zu Beginn des Jahres 2006 die Mehrwertsteuer erhöht wird und alle anderen wichtigen Maßnahmen, wie Senkung der Lohnnebenkosten, etc., gleichzeitig gestartet werden? Die nochmalige Schuldenaufnahme wäre überflüssig...so werden nur die Zinsen erhöht und noch weniger gekauft als so und so schon gekauft wird...

Straubinger, 26.11.2005
Bundesrat gegen Streichplane bei Hartz IV
Länderkammer will Wahlgesetz ändern: Ersatzbewerber statt Neuwahl - Neue Düngeverordnung

Berlin. (dpa/AP) Seine erste Sitzung nach dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung hat der Bundesrat noch einmal wegen mangelnder Vorlagen in einer Rekordzeit von nur 46 Minuten absolviert. Um die von der neuen Bundesregierung angekündigten Sparmaßnahmen noch rechtzeitig vor dem Jahreswechsel verabschieden zu können, verlegte die Länderkammer ihre letzte Sitzung in diesem Jahr auf kurz vor Weihnachten. Die wichtigsten Beschlüsse des Bundesrates vom Freitag:

SOZIALES: Der Bundesrat lehnt die Streichung der Zuschüsse an die Gemeinden für Unterkunfts- und Heizkosten von Langzeitarbeitslosen ab. Dies hatte die alte rot-grüne Bundesregierung im Rahmen der Hartz IV-Reformen vorgesehen. Die Städte und Gemeinden beharren auf einem Nachschlag von rund einer Milliarde, um auf die zugesagten 2,5 Milliarden Euro Entlastung zu kommen.

WAHLEN:Mit der Zulassung von Ersatzbewerbern sollen künftig Nachwahlen zum Bundestag im Fall des plötzlichen Todes eines Direktkandidaten vermieden werden. Der Ersatzbewerber soll dem Vorschlag zufolge auch nachrücken, wenn der gewählte Direktkandidat vorzeitig aus dem Bundestag ausscheidet.

DATENSCHUTZ:Der Bundesrat hat den Vorstoß des EU-Parlaments und des -Rates begrüßt, die Vorschriften für eine Vorratsdatenspeicherung zu harmonisieren. Dies betrifft Telefon- und Internetverbindungsdaten. Die Speicherung sei zu Zwecken der Strafverfolgung und zur Verhütung von Straftaten erforderlich. Die in dem EU-Vorschlag vorgesehene Erstattung der entstehenden Kosten durch die Mitgliedstaaten lehnt der Bundesrat ab.

ABHÖREN: Der Bundesrat hat gegen eine vorsorgliche Telekommunikations-und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt keine Einwendungen. Eine entsprechende Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes hat die Bundesregierung vorgelegt und kam damit Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nach. Berücksichtigt wird jetzt auch der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensführung. Die Überwachungsmaßnahmen sollen helfen, illegale Exporte von Massenvernichtungswaffen zu verhindern.

AGRAR:Mit einer neuen Düngeverordnung sollen Gewässer besser vor der Verunreinigung durch die Landwirtschaft geschätzt werden. Mit der neuen Verordnung werden die alten Vorschriften abgelöst und der EU-Nitratrichtlinie angepasst. Seit zwei Jahren läuft gegen Deutschland ein Verfahren der Vertragsverletzung, weil die EU-Richtlinie nicht EU-konform umgesetzt worden sei. Der Bundesrat änderte die Vorlage der Bundesregierung aber ab und entschärfte die Bestimmungen. So muss sich ein Landwirt bei Überschreitung der Grenzwerte nicht mehr selbst anzeigen.

UMWELT:Nach einem Vorschlag Nordrhein-Westfalens sollen Industrie und Landwirtschaft von Umweltauflagen entlastet werden. Die Gesetzesinitiative will Bürokratie im Immissionsschutzrecht abbauen, indem die Anforderungen für genehmigungsbedürftige Anlagen deutlich verringert werden.

Straubinger, 26.11.2005
Länderchefs machen Front gegen Sparpläne
Warnung vor Kürzungen im Nahverkehr – Minister Tiefensee nennt Aufregung verfrüht

Berlin. (AP/dpa) Gegen die geplante Kürzung der Bündeszuschüsse für den Personennahverkehr formiert sich vor allem in den Ländern massiver Widerstand. Nach den Ministerpräsidenten von Bayern und Rheinland-Pfalz, Edmund Stoiber (CSU) und Kurt Beck (SPD), warnten am Freitag auch Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Harald Ringstorff (SPD) und der Kieler Verkehrsminister Dietrich Austennann (CDU) vor Kürzungen.

Ringstorff wies im Deutschlandfunk darauf hin, dass Kürzungen der Ausgaben für den Nahverkehr nur im Einverständnis mit den Bundesländern möglich seien. Die Regionalisierungsmittel seien den Ländern zugesagt worden und hätten sogar dynamisiert werden sollen. Wenn es dort erhebliche Einschnitte gebe, "würde gerade in den ländlichen Regionen eine ausreichende Versorgung mit Nahverkehrsleistungen überhaupt nicht mehr möglich sein".

Austermann erklärte im Deutschlandradio Kultur, die Kürzungen würden zu erheblichen Preissteigerungen und damit zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Zusammen mit der beschlossenen Kürzung der Pendlerpauschale sei das eine Doppelbelastung, die die meisten Arbeitnehmer nicht verkraften könnten.

Bayern sucht deshalb im Bundesrat Mehrheiten, um die Kürzungen zu verhindern. Derzeit führe die Staatsregierung Gespräche auf Länderebene, um das Vorgehen im Bundesrat auszulosen, sagte eine Sprecherin im Münchner Verkehrsministerium.

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) nannte dagegen die notwendigen Einsparungen zur Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien und zur Aufstellung verfassungskonformer Haushalte eine Aufgabe, die Bund, Länder, Gemeinden und Städte gleichermaßen angehe. Derzeit gehe es darum, herauszufinden, wie das Sparpaket geschnürt werden könne. Sich schon jetzt über mögliche Auswirkungen von Maßnahmen aufzuregen, die zwischen Bund und Ländern noch nicht einmal ansatzweise erörtert worden seien, sei verfrüht.

Auch der Parlamentarische CDU/ CSU-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen wies die Proteste zurück. "Wir müssen die Betroffenen daran erinnern, dass sie es mit verhandelt haben und mit für richtig befunden haben", sagte er im ZDF. Die Länder gehörten zu den Begünstigten der Koalitionsvereinbarung. Wenn sie an einer kleinen Stelle mit herangezogen würden, mache das den Saldo für sie immer noch positiv. Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer kritisierte die geplanten Kürzungen hingegen als "fatal". Eine zehnprozentige 'Kürzung der Mittel bedeute wegen der hohen Fixkosten der Betriebe entweder eine Reduzierung des Angebots an Zügen und Fahrstrecken um 20 Prozent oder eine Steigerung der Fahrpreise um 20 Prozent, warnte der Oppositionspolitiker in einem Interview.

Nach Berechnungen der Allianz pro Schiene würden die drei Flächenländer Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen bei einer 15-prozentigen Mittelkürzung zusammen 435,6 Millionen Euro pro Jahr einbüßen und damit die Haupt Verlierer der Maßnahme sein.

 

Mittelbayerische, 26./27.11.2005
Milliarden im Osten sinnlos versenkt
Fazit einer Tagung in Regensburg zu 15 Jahren Einheit: Deutschland wird immer ärmer
VON HARALD RAST, MZ

Politiker der SED-Nachfolgepartei PDS raunten sich gerne folgenden Witz zu: "Wir haben die DDR kaputt gemacht. Das schaffen wir auch mit ganz Deutschland." Mag sich die deutsche Einheit politisch und menschlich als Erfolgsmodell präsentieren - wirtschaftlich droht sie in einem Desaster zu enden. 15 Jahre nach der Wiedervereinigung dominieren Massenarbeitslosigkeit, sinkender Wohlstand, Kindermangel und Zukunftsangst unsere Gesellschaft. Was lief schief? Eine ehrliche Bilanz von 15 Jahren Einheit wurde am Freitag bei einer Fachtagung an der Uni Regensburg gezogen, organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Institut für Politikwissenschaften.

Moderiert von Harald Zintl, dem Leiter des Regensburger Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, und dem Politologen Professor Frank Pilz kam es bei einer Podiumsdiskussion zu einer schonungslosen Analyse. "In Deutschland herrscht seit 15 Jahren fast Nullwachstum", stellte der Politikwissenschaftler Roland Czada fest. Der an der Universität Osnabrück lehrende Professor kritisierte die "massenhafte Stilllegung von Arbeitskraft" per Vorruhestand und Arbeitszeit-Verkürzung. "Wir arbeiten immer weniger und dadurch wird das Land immer ärmer." Deutschland stecke in einer Spirale ökonomischen Niedergangs. Dafür zeichne nicht die Globalisierung sondern der "dilettantisch gemanagte Aufbau Ost" verantwortlich, ereiferte sich Czada. "Wir feiern in den neuen Ländern Infrastruktur Maßnahmen, die dort niemand mehr braucht."

Darin gab ihm Edgar Most, der frühere Direktor der Deutschen Bank AG, Recht. "Wir verschleudern Milliarden für Straßen zu Dörfern, die es in zehn Jahren gar nicht mehr gibt", versicherte Most mit Blick auf die massive Abwanderung aus der ehemaligen DDR. Für überflüssige Regionalflughäfen und sinnlose Projekte wie einen unnötigen Tunnel in Leipzig sei "richtig viel Geld versenkt worden".

Flickschusterei der Politiker

Der jährliche Finanztransfer von West nach Ost betrage zwischen 70 und 90 Milliarden Euro, erklärte Most, der 1990 als letzter Vizepräsident der DDR-Staatsbank fungierte. Diese Summe wandere überwiegend in den Konsum, statt zur Wertschöpfung beizutragen. "Wir ernähren Ostdeutschland von der Substanz Deutschlands."

Most hält auch das soziale Netz wegen der zunehmenden Überalterung für nicht dauerhaft finanzierbar. "In 20 Jahren tragen nur noch 20 Prozent der deutschen Bevölkerung zur Wertschöpfung bei - was machen wir mit den übrigen 80 Prozent? Auf derlei Probleme reagiere die Politik nur mit "Flickschusterei", wie zum der Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Most für falsch hält.

Der Zusammenbruch der DDR habe zu einer "fundamentalen Systemkrise geführt, die unsere Politik nicht bewältigen kann", versicherte auch Professor Gerhard Lehmbruch. Der Politologe an der Uni Tübingen hält das föderative System der Bundesrepublik für überfordert und verlangt eine Änderung der Verfassung.

Eberhardt Pfeiffer von der Erfurter Zeitung "Thüringer Allgemeine" prophezeite, dass im Westen bald die gleichen Probleme auftauchen würden, wie in den neuen Ländern: Überalterung und Abwanderung der jungen und wirtschaftlich produktivsten Kräfte ins Ausland. Einen Lichtblick sieht Pfeiffer aber in der Tatsache, dass nun zwei Naturwissenschaftler aus dem Osten an der Spitze der deutschen Politik stünden: "Angela Merkel und Matthias Platzeck kennen den Unterschied zwischen der allgemeinen und der speziellen Relativitätstheorie. Das macht mir Mut", scherzte er augenzwinkernd.

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